Samstag, 26. September 2015

Ernst Wilhelm Lotz - Nachtgesang




Am 26. September 1914 starb der Dichter Ernst Wilhelm Lotz an der Westfront bei einem Angriff auf einen französischen Schützengraben. Der Übersetzer von Rimbaud und Verlaine war als Freiwilliger in den Krieg gezogen. Der Krieg schien ihm wohl, wie so vielen der expressionistischen Dichter, als die Möglichkeit des Ausbruches aus der wilhelminischen Kasernengesellschaft. Schrieb er doch in seinem Gedicht „Aufbruch der Jugend“:

„Also zu neuen Tagen erstarkt wir spannen die Arme,
Unbegreiflichen Lachens erschüttert, wie Kraft, die sich staut,
Wie Truppenkolonnen, unruhig nach Ruf der Alarme,
Wenn hoch und erwartet der Tag überm Osten blaut.

Grell wehen die Fahnen, wir haben uns heftig entschlossen,
Ein Stoß ging durch uns, Not schrie, wir rollen geschwellt,
Wie Sturmflut haben wir uns in die Straßen der Städte ergossen
Und spülen vorüber die Trümmer zerborstener Welt.

Wir fegen die Macht und stürzen die Throne der Alten,
Vermoderte Kronen bieten wir lachend zu Kauf.
Wir haben die Türen zu wimmernden Kasematten zerspalten
Und stoßen die Tore verruchter Gefängnisse auf.

Nun kommen die Scharen Verbannter, sie strammen die Rücken,
Wir pflanzen Waffen in ihre Hand, die sich fürchterlich krampft,
Von roten Tribünen lodert erzürntes Entzücken,
Und türmt Barrikaden, von glühenden Rufen umdampft.

Beglänzt von Morgen, wir sind die verheißnen Erhellten,
Von jungen Messiaskronen das Haupthaar umzackt,
Aus unsern Stirnen springen leuchtende, neue Welten,
Erfüllung und Künftiges, Tage, sturmüberflaggt!“

Dass der moderne Krieg wenig mit diesem Aufbruch zu tun hat, und in einem Massenmorden endete, wurde vielen erst zu spät gewahr, wenn sie denn nicht schon vorher „fielen“.
Doch Ernst Wilhelm Lotz konnte auch anders, er schrieb viele zarte und anrührende Liebesgedichte wie „Nachtgesang“:

             Nachtgesang

Sieh, die Treppen des Gebirges
Kam die Nacht heraufgestiegen,
Und sie pflückte alle Abendrosen ab.

Sieh, die Treppen des Gebirges
Kam der Mond heraufgestiegen,
Und er pflanzte
Stille weiße Lilien ein.

Wie sie zitternd Blüten treiben
Hoch und leuchtend in die Nacht.

Hör, die Treppen meines Hauses
Sehnsucht kommt heraufgestiegen,
Und sie pflückt mir meine roten Rosen ab.

Mädchen, kämst du wie ein Vollmond
Still herauf auf meiner Treppe,
In die Brust mir
Deiner Brüste Lilien pflanzend,

Daß sie große Blumen tragen
Weiß und traumhaft in die Nacht.






Donnerstag, 24. September 2015

Alfred Lichtenstein - "Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot"


Am 25. 9. 1914 starb der Dichter Alfred Lichtenstein an der Westfront. Einer der vielen Dichter der expressionistischen Generation, die in den Krieg zogen, teilweise freiwillig, wie Ernst Wilhelm Lotz, der einen Tag später als Alfred Lichtenstein „fiel“, teils widerwillig und voll Todesahnung, wie Lichtenstein. 


 
                        Abschied

Wohl war ganz schön, ein Jahr Soldat zu sein.
Doch schöner ist, sich wieder frei zu fühlen.
Es gab genug Verkommenheit und Pein
In diesen unbarmherzgen Menschenmühlen.

Sergeanten, Bretterwände, lebet wohl.
Lebt wohl, Kantinen, Marschkolonnenlieder.
Leichtherzig laß ich Stadt und Kapitol.
Der Kuno geht, der Kuno kommt nicht wieder.

Nun, Schicksal, treib mich, wohin dir gefällt.
Ich zerre nicht an meiner Zukunft Hüllen.
Ich hebe meine Augen in die Welt.
Ein Wind fängt an. Lokomotiven brüllen.

                      Abschied (II)

Vorm Sterben mache ich noch mein Gedicht.
Still, Kameraden, stört mich nicht.

Wir ziehn zum Krieg. Der Tod ist unser Kitt.
O, heulte mir doch die Geliebte nit.

Was liegt an mir. Ich gehe gerne ein.
Die Mutter weint. Man muß aus Eisen sein.

Die Sonne fällt zum Horizont hinab.
Bald wirft man mich ins milde Massengrab.

Am Himmel brennt das brave Abendrot.
Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.
 
„Der einzige Trost ist: traurig sein. Wenn die Traurigkeit in Verzweiflung ausartet, soll man grotesk werden. Man soll spaßeshalber weiter leben. Soll versuchen, in der Erkenntnis, dass das Dasein aus lauter brutalen, hundsgemeinen Scherzen besteht, Erhebung zu finden.“

Alfred Lichtenstein