Erich Mühsam
von Senna Hoy
Es ist Einer, den wir lieben.
Wir, die wir noch nicht so übermenschliche Uebermenschen sind, daß wir Einen
deswegen weniger schätzen, weil er ein gutmütiger Mensch ist und ein blödsinnig
gutmütiger; die wir dem Dichter gestatten, auch Dichter zu sein, wo er auf
Erden sich bewegt in verdammt prosaisch irdischen Problemen; die wir nicht mit
dem strengen Richterblick Harmonie verlangen und Ausgeglichenheit und
Abgeklärtsein kat exochen, das erhaben ist über den Mittagssturm der Empörung und
Leidenschaft, wie über das Tauweinen der Sehnsucht und das Trauerwehen der
Enttäuschung, - mit dem strengen Richterblick, der im Grunde und unter des
Bewußtseins Schwelle das kluge Wort spricht: Richtet schnell, auf daß man Euch
nicht richte ...
Daß du hart wärest, Erich Mühsam! daß Deine Kinderaugen einmal blitzen könnten,
zornig zerschmetternd jene Bübchen, die Gold haben und morgen erzählen, sie
hätten an deinem Tisch gesessen im Café des Westens oder du an dem ihrem, und
du hättest schöne Witze erzählt und Schüttelreime, worüber sie sehr gelacht
hätten, und es war sehr schön ... und jene Bübchen, die sich weltweit dünken,
weil sie von Schönheit reden und sagen, daß sie den Jünglingskörper wahnsinnig
gern sähen und verächtlich von den Weibern reden und schelten, wenn andre sie
anschaun, namentlich "Weiber", und die so merkwürdig sicher urteilen
über Menschen, Könner und Nichtkönner - meistens sind's Nichtkönner und fast
immer Leute, wie sie schön sagen und uns schöne Worte verderben - und die kein
Auge verwenden von denen, die gedruckt sind, und von Weibern, wenn sie glauben,
man folge ihren Augen nicht; auch ihren innern...
Oder tun sie dir leid, Erich Mühsam, wie man so warmes Mitleid fühlt mit den
kleinen Mädchen, denen man nichts gesagt hat, und um deren Augen heiße einsame
wunschtolle Nachtstunden dunkle Schatten zeichnen?
Du bist Einer, den wir lieben.
Wie wir Peter Hille lieben, über den du so wundervoll geschrieben hast, Peter
Hille, den wunderfeinen Menschen, dessen feinen Körper, dessen wunderfeine
Seele man durch den Gehrock sah, den er statt der Toga trug, dem wir die feinen
weißen Hände küssen konnten, - mit einer Liebe der Art lieben wir dich, Erich
Mühsam.
Wären wir nicht stolz, würden wir sagen, es sei ein Stück heilige Ehrfurcht in
dieser Liebe.
- Ich glaube: Du meinst immer noch, du seiest ein Zyniker. Und wenn Du den
Radikalismus predigst, dann ist der Egoismus dein Fanal. - Ach Erich Mühsam,
wer soll dir das glauben, der einmal in deine Augen gesehen hat, wenn du
wußtest, daß einem geholfen werden müsse; der dich in deinem großen, stets
halbdunklen Zimmer herumlaufen sah, dessen Wände Bilder tragen von Margarethe
Beutler und Wilhelm Bölsche und manchen andern und Federzeichnungen und die
heilige Maria, die deiner Wirtin gehört und deinen Schlaf beschirmt, - die
Augen ratlos, die Hände tief in den Hosentaschen, den Kopf vorgestreckt und
"Donnerwetter, was macht man da?!" murmelnd ...
Wer soll dir das glauben, der dich von deinem letzten Fünfgroschenstück sechs
Sechser weggeben sah für Zigaretten, da irgendein lieber Kamerad gefragt , ob
du welche habest, und Mittag hattest du noch nicht gegessen...Wer glauben, der
deine Empörung gesehn, wenn du andre vergewaltigt sahst, der dich reden gehört
in Versammlungen.
Und wer da weiß, daß man auf dich rechnen kann in jeder Stunde, und daß du dein
Caféhaus opferst, wenn es nicht gerade dich angeht, was dazu veranlassen
könnte, und wie du alles für andre hast: Zeit und Geld, erarbeitetes und
erpumptes, Kraft, Worte, Hände...
Leider auch Gedichte.
Bei Eiselt sind sie erschienen in Gr.-Lichterfelde-Berlin, Büttenpapier,
Buchschmuck von Kaspar Hauser, und kosten M. 2,40. "Wüste" heißen
sie.
Deine Gedichte sind gut, Erich Mühsam. Nicht gar sehr oft sind bessre
erschienen. Und öfter nicht gute, wie diese. Ich habe sie mit dem tiefen Atmen
gelesen, das uns die Brust hebt, wenn der Flügelschlag des Genies den
Alltagstag gestreift. Und mir tut es leid, Erich Mühsam, daß du deine
Wüstengedichte in die Welt gesendet hast; hinausgestreut. Nicht, weil sie so
wunderfein klangen aus dem individuellen tönenden Manuskriptpapier, darauf dein
Herz sie geschrieben, auch nicht, weil schlechte darunter, die nicht du sind,
sondern Heine sein sollen und andre, - sondern weil "Man" sie lesen
wird, wenn man gerade eine halbe Stunde Zeit hat und auf der Couchette liegt
oder auf der Hochbahn fährt, und weil man von ihnen sagen wird: sie seien süß
oder frech oder goldig oder entzückend oder weil man hinzufügen wird:
"Donnerwetter, das hätt' ich diesem Mühsam nicht zugetraut!" O Gott,
dieses "Man" und dieses "zutraun"! Zum Teufel mit beiden
und mit allen, die Dir was zutraun und nicht zutraun! Als seiest du eine
Maschine, die man mit veritablen Pferdekräften mißt, und als hättest du sie für
sie geschrieben. Aber sie haben sie ja gekauft bei Lazarus oder bei Lilienthal
für M. 2,40.
Aber von uns laß dir danken. Wir wissen, daß du ein Guter bist, und ich weiß,
daß du ein Könner bist, den ich so gern bei Dalbelli neben Peter Hille sah,
dieser menschgewordene [!] Aesthetik, dieser körperlichen Harmonie. Und du bist
das menschgewordene Leben mit seinen Tiefen und Untiefen, mit seinen öden
zerstörenden Wüsten und seinen goldenen Sommertagen, seinem tosenden
Frühlingsföhn und seinen sehnenden, aufpeitschenden Winternächten. Und seinen Caféhausnächten.
Ach ja, Erich Mühsam, seinen Caféhausnächten! -
Und wenn sie sagen, ich hätte Blödsinn über dich geschrieben, das sei gar
nichts, dann sehn wir uns an, und du drückst mir wieder die Hand, wie nur
wenige mir sie gedrückt haben. Dein Auge blickt mich an mit dem merkwürdigen
augurenlächelnden Kinderblick, - den du wohl gelernt hast, als du den Kamin
ließest und auf die Straße gingst...
Damals kannte ich dich nicht, aber ich liebte dich damals. Ich liebe überhaupt
immer Abstraktes.
Es sind jetzt sieben Jahre vorüber, da
diese Zeilen geschrieben wurden. Der sie schrieb war ein Zwanzigjähriger. Heute
ist er auf achtundzwanzig Jahre in der Citatelle zu Warschau begraben. Im Namen
der russischen Willkür. Dem er sie schrieb, Erich Mühsam, darbt in dem
Nationalzuchthaus Deutschland. Im Namen der deutschen Presse. Ein Protest
unserer Großen (Heinrich Mann, Thomas Mann, Frank Wedekind) gegen das
Folterverfahren unserer Redaktionen verpuffte wirkungslos. Denn unbarmherziger
als alle Zarendiener sind deutsche Zeitungen. Sie schämen sich nicht,
Unbeträchtlichkeiten vom Schlage eines Leo Heller zu drucken und Dichter
auszuhungern. Daß sie im Falle Mühsam einen schmunzelnden Zuschauer in Karl
Kraus gefunden haben, sei nur nebenbei erwähnt.
Franz Pfemfert.
Senna Hoy: Erich Mühsam. In: Die Aktion
1. Jg. 1911. Nr. 5. Sp. 139-141. Zuerst in: Das neue Magazin Nr. 73. 1904. S.
292f.
Senna Hoy
(eigentlich Johannes Holzmann; *
30. Oktober 1882 in Tuchel; † 28. April 1914 in Meschtscherskoje bei Moskau), deutscher
Anarchist und Schriftsteller.
Senna Hoy
Seit du begraben liegst auf dem Hügel,
Ist die Erde süß.
Wo ich hingehe nun auf Zehen,
Wandele ich über reine Wege.
O deines Blutes Rosen
Durchtränken sanft den Tod.
Ich habe keine Furcht mehr
Vor dem Sterben.
Auf deinem Grabe blühe ich schon
Mit den Blumen der Schlingpflanzen.
Deine Lippen haben mich immer gerufen,
Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.
Jede Schaufel Erde, die dich barg,
Verschüttete auch mich.
Darum ist immer Nacht an mir
Und Sterne schon in der Dämmerung.
Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden
Und ganz fremd geworden.
Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt
Und wartest auf mich, du Großengel.
Else Lasker Schüler