Donnerstag, 31. August 2017

Julius Havemann: In der Nacht



In der Nacht

Oft in der Nacht,
wenn der Mond auf mein Kissen scheint,
lehnt es sich sacht
mir ans Ohr und weint.
Und ich kann mich nicht rühren und kann nicht fragen:
Was kommst du mir klagen?

Oft in der Nacht
lieg’ ich in Stummheit und dunklem Bluten
tief verwacht
in meines Herzens roten Fluten
und ist in den Weiten nicht eine Hand,
die mich zöge an ein festes Land.

Oft in der Nacht
starr’ ich hinauf in das ewige Schweigen
und sehe die Macht
der Götter entthront ins Dunkel steigen;
und aus Nichts beginn’ ich in Lieben und Lügen
die Welt zu fügen.




Julius Havemann, geboren am 1. Oktober 1866 in Lübeck; gestorben am 30. August 1932 in Klempau).

1929 erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nicht wieder erholte. 1930 setzte sich Thomas Mann, dessen Werk Havemann 1909 in der konservativen Zeitschrift Eckart ausführlich besprochen und gewürdigt hatte, für ihn ein.

Samstag, 26. August 2017

Franz Werfel: Wie nach dem Regen

Andrea Rausch "Nach dem Regen"




Wie nach dem Regen

Ich bin wie nach dem Regen
Der Stadtpark vor dem Haus.
Der Wind hat ausgekeucht,
Doch Bäum' und Beete sind noch feucht
Und wiegen mir und hegen
Die schönsten Tropfen Regentaus. -

Ich bin so ganz voll Feuchtigkeit,
Voll nassem Grün und Regenglück,
Weil ich dich heut' gesehn.
Darum möcht' ich auch nah und weit
Und wohl ein gutes Gartenstück
In mir spazieren gehn.


Franz Werfel, geboren am September 1890 in Prag, Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker, ging 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich ins Exil, zuerst nach Frankreich, dann in die USA. 1941 erhielt er die amerikanische Staastsbürgerschaft. Er starb am 26. August 1945 in Beverly Hills, Kalifornien.

Montag, 21. August 2017

Leo Greiner: Leben

Andrea Rausch: Waldlandschaft im Schrank


Leben

Und immer fremder sind mir Tag und Räume ...

Was weht um mich? Man sagt: ein Menschenwort.
Was rauscht um mich? Man sagt: die dunkeln Bäume,
Die rauschen noch seit deiner Kindheit fort.
Und Gärten stehn im abendlichen Land,
Ihr Schatten grüßt mich kühl und altbekannt.

Ich aber wandre dunkel fort, im Innern
Ein uralt Schattenbild, das leise weint.
Die nenn' ich Mutter, diesen nenn' ich Freund
Und lächle tief und kann mich nicht erinnern.





Am 21. August 1928 starb der österreichische Lyriker und Übersetzer Leo Greiner in Berlin. Er wurde am 1. April 1876 in Brünn geboren. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Werke über den Dichter Nikolaus Lenau.

Freitag, 18. August 2017

Johannes Theodor Baargeld: Du folgst jetzt all den Wegen / Du blickst befremdet auf die alten Spuren

Das Bild ist von der im Februar verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch



(Du folgst jetzt all den Wegen)


Du folgst jetzt all den Wegen,
Die durch dich ziehn.
Sie scheinen Dir gelegen
Mit eignen Mühn.
Du glaubst dem fernsten Winken
Ob es Dir galt?
Die fernen Zinnen sinken,
Doch Du warst kalt.
Schon lang sind Deine Höhen
Im Dunst gelöst.
Es ist bald wie ein Stehen,
Nun Deinen Weg Du weitergehst.

1923

(Du blickst befremdet auf die alten Spuren)


Du blickst befremdet auf die alten Spuren
wo Du des immer Neuen Grund
gewähnt, und dich erschreckt der Fund,
und wieder blickst du auf den jungen Schnee der Fluren.

Doch du begreifst nicht, daß vor Jahresstund
du dich am selben Wegkreuz maßest,
und daß du schier ein Jahr vergaßest
und wie so stark sein könne ein zerbrochner Bund.

                             1924
                                               
Johann Theodor Baargeld, der Künstlername von Alfred Ferdinand Gruenwald, Grafiker, Maler, Dadaist, Dichter und leidenschaftlicher Bergsteiger, geboren am 9. 10. 1892 in Stettin; verunglückte tödlich am 18. 8. 1927 am Mont Blanc.

Die beiden Gedichte gehören zu den vier sogenannten ›Engadiner Gedichten‹, die sich im Hüttenbuch der ›Carl von Salis-Hütte‹ im Oberengadin finden ließen. Baargeld, der sich als Bergsteiger Jesaias nannte, unternahm in den zwanziger Jahren von hier aus zahlreiche Bergtouren und trug sich insgesamt viermal mit einem Gedicht ins Hüttenbuch ein.

Zu Lebzeiten des Autors nicht veröffentlicht. Zuerst publiziert 1985 in: Walter Vitt (Hrsg.), Bagage de Baargeld, Starnberg