Dienstag, 7. November 2017

Albin Zollinger: Stille des Herbstes



Stille des Herbstes

Im Herbste kommen der Wiese die Herbstzeitlosen
und mir die Lieder,
die lieben Kinder der Melancholie,
die dämmernden Lampen im Nebel blühn wieder,
sanft dunkelt das tiefe Zuhause gebrochener Lüfte,
die Landschaft am Lethe,
der Sommer verwelkt, und Verträumung
füllt Gärten des Himmels, balsamische Beete.

Wie einer, der heimkehrt, nachdenksam verweilt
sich das Jahr in den Räumen der Stunden,
in diesem Meer, dieser Stille von Schilf
voller Weite, in der sich die Wasser gefunden.
Strömt alles zurück? Kommt die Kindheit noch einmal mit
Abend, mit Ängsten, mit ahnenden Wonnen
von Regen des Nachts? Du bist da, trübes Herz,
an des Herbstes melodischem Bronnen!


Albin Zollinger, Schweizer Dichter, geboren am 24.01.1895 in Zürich; gestorben am 7.11.1941 ebendort.

Emil Rudolf Weiß:Frühsommerphilosophie / Dein Bild

Ein Bild der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch


Frühsommerphilosophie

Die roten Tulpenflammen sind verglüht;
Maiglocken wachen auf; der Flieder blüht;
Die Eiche, die so lange sich besann,
Steht nun in Laub; es steckt die Kerzen an,
Die grünen Kerzen, übertrieft von Saft,
Der alten Fichten innerliche Kraft.
Um jede Blüte ist ein Surretanz
Von Schwebewesen, ein lebend´ger Kranz
Von Schillerflügeln gelb, grün, blau von Glanz,
Und an den Stengeln kriecht im Drängelauf
Das Käfervolk bunt, tausendfüßig auf.

Die liebe Welt! Ob sie auch lange ruht,
Sie machts zuletzt doch immer wieder gut.
Mag sie nicht schelten.
Eh´ eine andre uns nicht voller mißt,
Glaub ich einstweil, daß sie die beste ist
Von allen Welten.

Aus: Emil Rudolf Weiss. Der Wanderer. Mit acht symbolischen Holzschnitten und Buchumschlag. 1895 bis 1900. Baden-Baden, Eigenverlag 1900.

Emil Rudolf Weiß, geboren am 12. Oktober 1875 in Lahr, Baden; gestorben am 7. November 1942 in Meersburg, war Typograf, Medailleur, Grafiker, Maler, Lehrer und Dichter.

Da er sein Augenmerk nicht nur auf alle gestalterischen Aspekte eines Buches richtete – das heißt neben Satz und Schrift auch auf Illustration, Einband- und Umschlaggestaltung –, sondern regelmäßig auch die poetischen Texte selbst beisteuerte, wurden seine Bücher echte Gesamtkunstwerke.

Seit 1910 als Professor an der Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin tätig, wurde er aufgrund einiger als entartet verunglimpften Gemälde 1933 von den Nationalsozialisten in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.


Dein Bild

Der Regen rauscht
schwer nieder,
mein Herz lauscht
auf Lieder.

Meine Augen gehen
von den frühen Blumen,
die im Glase stehen
vor deinem Bild,

in die Regenwelt,
stumm und kühl und wild,
die dein Bild im Herzen
einzig mir erhellt.

Maria Luise Weissmann: Abend im Frühherbst / Das frühe Fest

Maria Luise Weissmann,
                                

Am 7. 11. 1929 starb in München die Lyrikerin Maria Luise Weissmann an den Folgen einer schweren Angina.

Abend im Frühherbst

Weit ausgegossen liegt das breite Land.
Der Himmel taucht den Scheitel noch ins Licht,
Doch seitlich hebt gelassen eine Hand
Die dunkle Maske Nacht ihm ins Gesicht.

Viel fette Lämmer weiden auf der Flur,
In Gärten steht das Kraut in seiner Fülle,
Herbstwälder ziehn als eine goldne Spur,
Am Baum die Frucht glänzt prall in ihrer Hülle.

Es ist der letzte dieser kurzen Tage:
All Ding steht reif und rund und unbewegt
Schwebend in sich gebannt wie eine Waage,
Die Tod und Leben gleichgewichtig trägt.


Das frühe Fest

Du bist die silberne Weide am Bach.
Schatten der Wolke Du schwimmend.
Du gehst über die mondenen Wege.
Die Städte-Straßen kennen Dich.
Tiere spürten Deiner Fährte all.

Nun suchen Waller, steile, Dich gebetvoll.
Da rot mein Fuß ging - Deine Ferne brannte! -
Liebend erkannten sich die Wandernden.

Maria Luise Weissmann, geboren am 20. August 1899 in Schweinfurt; gestorben am 7. November 1929 in München. 
Foto von Mary Hausner (1895–1941)

Samstag, 4. November 2017

Franz Janowitz: Der rastende Wanderer / Auf der Terrasse; Karl Kraus: Franz Janowitz

Ein Bild der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch


Der rastende Wanderer

Wie ruft des Landes hingestreckte Ruhe
mich in der tiefsten Seele an!
Verwurzelt scheinen meine schweren Schuhe
in dem ergrünten Wiesenplan.
Es landen Vögel leicht in Lindenkronen:
Ich biete ihrem Flug mein Haupt
und lasse sie — für sie bin ich belaubt —
zufrieden mir im Astwerk wohnen.
Ein Herz scheint uns Getrennte zu beleben.
O liebe Flur, wann kommt doch unser Glück,
da hochzeitlich wir ineinander schweben,
und Gott in uns und wir in ihn zurück?

Aus: Arkadia, Jahrbuch für Dichtkunst, Kurt Wolff, Berlin 1913


Auf der Terrasse

Drei kleine Lichter zeigen,
wo das Städtchen liegt.
Der Mond ist hell im Steigen,
im Baum die Grille singt.
Die Augen wollen sich neigen,
der Nachtwind Blüten bringt.
Im Innern beginnt es zu schweigen,
die Erde von dannen fliegt.

Aus der Sammlung Auf der Erde. Gedichte.

Franz Janowitz wurde am 28. Juli 1892 in Podiebrad geboren, am 4. November 1917 starb er nach einer Schussverletzung im Feldspital in in Unter-Breth

16 seiner Gedichte wählte Max Brod für sein Jahrbuch Arkadia aus, das im Kurt Wolff Verlag herauskam.

Zwei Jahre nach seinem Tode gab Karl Kraus im Kurt Wolff Verlag aus seinem Nachlass einen schmalen Band seiner Lyrik unter dem Titel „Auf der Erde“ heraus.


Meinem Franz Janowitz

(getötet am 4. November 1917)

Ein Landsknecht du? Vier Jahre deines Seins
hast du dein frühlinghaftes Herz getragen
durch Blut und Kot und alle Pein und Plagen
und wurdest der Millionen Opfer eins?

Und durftest, was du mußtest, uns nicht sagen
und fühltest Vogelsang des grünen Rains
und lebtest stumm am Rande dieses Scheins
und fromm genug, um ferner nicht zu fragen.

Und da dein reines Herz erstickt in Kot,
das Mitgefühl der Zeit mußt du entbehren.
Ein treuer Bursch nur stand bei deinem Tod.

Doch seine Tränen wird die Welt vermehren,
färbt einst nicht Blut mehr, färbt die Scham sie rot.
Bis dahin mag sie ihre Henker ehren!

Karl Kraus

Freitag, 3. November 2017

Carl Sternheim: Aus "Fanale"

Heinrich Vogeler (1872 - 1942): Sehnsucht


Aus: Fanale

1.

Scheideflammen


Um unsre Plätze ist ein heilig Schweigen,
Und unsre Flüsse hält ein großes Stocken,
Von unsern Bäumen tiefes Niederneigen,
Und in den Lüften zittern wirre Glocken.

Ich schreite einsam zu den weißen Steinen
Und lasse rote Flammen aufwärts schlagen,
"Du bist gegangen", soll es weithin sagen,
Und zu mir tritt ein grenzenloses Weinen.

2.

Heilige Stätte im Hain

Die Stätte, da du morgens sorgend fragtest
Um meinen Frieden und um meine Freuden,
Sie muß ein stummes Heiligtum bedeuten,

Ich will nicht wieder sie betreten.

Und erst wenn Jahre kamen, Jahre gingen,
Soll mir ein Enkelkind die Blumen grüßen,
Die still da überall Erinnerung sprießen

Und mir von ihnen Flüstergrüße bringen.

3.

Vorabend

Vorabend war's, der lange bang geahnte.
Wir mußten unsre letzten Gänge machen
Und schritten so in lieben sich verlieren.

Wir konnten einer noch den andern spüren,
Die Sonne gab ein letztes leises Lachen,
Das sich durch dunkle Zweige zu uns bahnte.

Dann standen wir an irgend einem Orte,
Und lehnten uns an Starkes, uns zu halten;
Wir wußten um den Abschied keine Worte.

Und hatten nur ein großes Händefalten.

4.

Es lag wohl auch in deinen schlanken Gliedern
Das Lied, das meine Seele trunken sang.

Wenn Abendläuten über Erde klang,
Mußt ich dir deinen Händedruck erwidern.

Dann dacht ich das: Wer solche Hände
Doch einmal weich um seinen Nacken fände.

5.

Wir spielten König einst und Bettlerin,
Ich sprach von meines Reiches Macht und Weite,
Und wie es täglich größer ward und mehr verstanden,
Du schrittest träumend zögernd mir zur Seite.

Ich aber schwieg und lächelte im Stillen,
Wie eigenlos ich war in deinen starken Banden,
Und wie das ganze ging nach Deinem Willen;
Wir spielten Bettler einst und Königin.

Carl Sternheim, geboren am 1. April 1878 in Leipzig; gestorben am 3. November 1942 in Brüssel im Exil.