Sonntag, 31. Dezember 2017

Elisabeth Janstein: Kreislauf



Kreislauf

Alles ist nur Weg zu dir:
Winterfrühen voll Vertrauen,
Zärtliches an Plänen bauen,
Staunendes gefangen stehn
Vor dem Blaß der Orchideen.
Schau nach weißen Wolkenballen,
Die erhellt in Blicke fallen,
Losgelöstheit schlanker Hand,
Reinern Ländern zugewandt.
O Erfülltheit, strenges Wirken
Klar in herrschenden Bezirken,
Himmel tief und weit in mir -
Alles ist nur Weg zu dir . . .


Aus: Elisabeth Janstein Gebete um Wirklichkeit Gedichte
1919 Verlag Ed. Strache Wien Prag Leipzig


Elisabeth Janstein, geboren als Elisabeth Jenny Janeczek am 19. Oktober 1893 in Iglau, Österreich-Ungarn; starb am 31. Dezember 1944 in Winchcombe, Borough of Tewkesbury, England im Exil. Sie war eine böhmisch-österreichische Dichterin und Journalistin.
 

Das Foto zeigt einen herbstlich gestimmten Waldweg im Solling bei Fredelsloh.
           

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Irene Forbes Mosse: Zugvögel / Auf der Düne / In die Luft gesungen / Aus: Der kleine Tod




Zugvögel

So laß mich mit Dir ziehn
Im stillen Sternenscheine,
O nur wir zwei alleine
Im menschenleeren Raum.

In fremden Städten gehn
Wir abends durch die Gassen,
Die Brunnen sind verlassen,
Wir gehen wie im Traum.

An dunkler Kirchentür,
Auf grauen Treppensteinen,
An Deiner Brust zu weinen . . .
Was gibst Du, Welt, dafür?

Wenn rings der Abend quillt
Hört man die Wasser rauschen,
Ich will dem Brunnen lauschen,
Der all mein Dürsten stillt.


Auf der Düne

Als Deine Linke
Unter dem Haupt mir lag,
Und Deine Rechte
Mich wiegte und herzte,
War es wohl sonnige Zeit . . .
Als ich, die Augen voll Tränen,
Immer ins Blaue starrte,
In die schüchtern grünenden Wipfel,
Sang mir's im Herzen:
Gesegnet, gesegnet
Seien die länger werdenden Tage!


In die Luft gesungen

Wie eine Rose, Blüte um Blüte,
Hin in den sterbenden Sommer verschenkt,
Blüht meine Seele, denn zaubernde Güte
Hat ihr auf's neue die Wurzeln getränkt.

Was ich auch wurde, ist alles Dein eigen,
Was mich beseligt und was mich betrübt,
Sehnen und Wähnen und schmerzliches Neigen . . .
Segen um Segen . . . wir haben geliebt!

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905

Irene Forbes-Mosse, geb. von Flemming, geboren am 5. August 1864 in Baden-Baden; gestorben am 26. Dezember 1946 in Villeneuve, Schweiz, Schriftstellerin. Sie schrieb Gedichte und Erzählungen und arbeitete als Übersetzerin. Im Dritten Reich wurden ihre Bücher verboten.

Der Dichter Karl Wolfskehl, wie sie nach 1931 im Exil, schreibt 1935 über ihre Erzählungen:

"(…) entzückt und bewegt mich der märchenhafte Reichtum, der aus so viel sicheren und originellen Einzelzügen, so viel farbigen Tupfen, Bildern und Bilderfolgen zusammenschmilzt, die, zart und stark zugleich, in sich selber bestehen, aus sich selber zu wachsen scheinen. Was Sie alles wissen, sehen und aufspüren! Das ist nicht mehr Beobachtung oder bloßes Wissen um Charaktere, Altersstufen, menschliche Bezüge, Toilettengeheimnisse und Gastronomie (…): es ist bei Ihnen immer, als erfaßten Sie die geheimnisvollen Fäden, das gesamte Astralgewebe, aus dem Situationen und Begebnisse erst ihren Sinn erhalten. Alles Halbtonige, das "Zwischen", der abschattende Hauch, den der Gang der Dinge rückläßt, das Unausweichliche eines Schicksalswegs und das süße Mitfühlen des Lieblich-Unzulänglichen alles Erdendaseins: das sind die Elemente, aus denen Ihre Figuren gehoben und gestaltet sind, daraus sie wachsen und welken. Dabei als Gefühlsstand eine warme, mitzitternde Klarheit, sie verbirgt sich und andern nicht die kleinste Falte, verbietet sich kein Lächeln und keine Ironie –– wer kann heut noch so wundervoll boshaft sein, so fein und selbstgewiß doch auch des andern, des Angeschauten Teil und Recht mit freundlichem Achselzucken wahrend, die armen, tölpischen Kinder, genannt Erwachsene, also auf ihr Getue und Getapse hin ansehen und rubrizieren! Eigentlich gilt Ihr stärkstes, Ihr ganz mitzitterndes Schauen und Erkennen ja doch jener unheimlichen, aus Frohlocken und Trübsinn gewobenen, noch halb jenseitigen Zwischenwelt kurz vor Tage."

Nun gib zurück, was von der Erde war,
Die dunklen Stunden und die hellen Stunden,
Die Rosen tiefverwurzelt in den Wunden,
Der Arbeit Krone auf gebleichtem Haar ...
Der Schönheit Hornruf, zauberndes Geläute,
Der Wahrheit Schauern, ihren Geisterschritt,
Die Glut der Seele, die gefangen litt ...
Das Unvergeßne ... und das Unbereute.

Wenn du ein grünes Blatt gegen die Sonne hältst, siehst du die zarten Äderchen, durch die doch des ganzen Baumes, des ganzen Waldes Lust und Leben geflossen ist. Und du denkst an die winzigen Pflanzen, die der Windausgesät hat,wie sie zwischen Farnen und Weidenröschen und dem wilden gelben Löwenmaul stehen, wo die Sonne brütet und die Hummeln in den Distelköpfen einduseln ... aber fern tönt der Axtschlag, wo die Riesen gefällt werden.

Oder du siehst sie, wie sie dann zu Wäldern wurden, in denen immer, ob Frühling oder Herbst, der Boden rostbraun ist vom Laub des Vorjahres. Oben säuseln die Kronen; es wird dunkel, wenn eine Wolke vorbeizieht, aber dann kommt die Sonne wieder, schräg und duftig, und die Stämme leuchten auf, silbern und fremd. Es müßten Hexen zwischen ihnen hergehen, schöne, unselige Hexen, mit schönen, schlimmen Blumen in den Armen, Nachtschatten und Hellebore und Fingerhut.

Und dann ist's wieder die lässige Rosenpracht grauer toskanischer Mauern, wo der Schatten der Oliven auf dem Pflaster zuckt und zittert, und der Überfluß niederträuft, und man dazwischen aufsteigt, der Schönheit so gewohnt wie der Luft, die man atmet. Darum, meine ich, schenkt das Wort reicher als das Bild. Denn das Bild zieht an sich, will uns nicht loslassen, will, daß wir in ihm wohnen bleiben; aber das Wort weist hinaus auf andere Wege und führt jeden dahin, wo es ihm gefällt.

Die große Buche mitten im Weg: ganz hohl; zwei Menschen könnten in ihr aufrecht stehen wie in einem Schilderhaus. Die Krone ist noch grün; aber das meiste an ihr ist hohler, verwitterter Stamm. Darum wird sie nur wenig Geld bringen. Und ist doch gezeichnet: diesen Winter muß sie fallen. So alt. Wie lange schon steht sie hier, ernsthaft, geduldig im lastenden
Schnee, im ersten zitternden Frühlingshauch erwachend, grüngolden, säuselnd im Sommer; und dann im Herbst, rostbraun, mit sinkenden Blättern. Man könnte sie wohl Alters sterben lassen; die Walderde gäbe ihrein mildes Gnadenbrot, der Wind streichelte leise den letzten Seufzer aus ihrem Wipfel.

Aus: Der kleine Tod, 1912, S. Fischer, Verlag, Berlin

Dienstag, 19. Dezember 2017

Felix Grafe: So gehst du abends. . . / Im roten Abend

Ein Bild der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch


So gehst du abends durch das Tor,
wenn schon vor Nacht die Sonne sinkt,
wenn schon im letzten Licht ertrinkt
der bunten Stimmen süßer Chor.

Und fühlst: dein Sinn wird wieder leicht,
den dir der Tag so schwer gemacht,
und merkst, aus dumpfem Traum erwacht,
wie sehr dein Herz den Blumen gleicht.

Dein Herz, das jedes Lied bewahrt
so zwischen Auf- und Niedergang,
ein Lied von jung und altem Klang,
wie deiner Liebsten Hände zart.

Das Dunkel sinkt, das Licht verging,
auch du gehst heim, ein armer Tor,
der Licht und Seligkeit verlor.
Dann sprich zu deiner Seele: Sing

die Lieder liebreich und verhaßt
von ungekanntem Glück und Schmerz -
horch, Herz!
Gott selbst ist heut bei dir zu Gast.



Im roten Abend ging mein später Schritt,
von ferne kreischten noch die Gassenhauer
zu meinem Ohr - erst an der weißen Mauer
des Parkes blieb ich stehn - und langsam glitt

mein Blick in dieses Abends süße Trauer,
verwundert, daß mein totes Herz es litt,
noch einmal aus verloschner Schönheit Schauer
dies auferstehn zu sehn - was ich erstritt

in schweren Nächten und dann doch verlor -
da schlug es zehn - der Wächter kam und rief -
ich lachte leis - war diese Nacht so tief,

daß ich mit leichtem Herzen durch das Tor
heimschreiten durfte, gleich als ob ich schlief?
und hell - und froh - und kindisch wie zuvor?


Felix Grafe, als Felix Löwy am 9. Juli 1888 in Humpolec, Böhmen geboren, am 18. Dezember 1942 in Wien gestorben, war Lyriker und Übersetzer.

Nach dem Ersten Weltkrieg lebte Grafe in Wien. Hier wurde ihm 1941 ein antifaschistisches Gedicht zum Verhängnis, das er für die illegale kommunistische Zeitschrift Hammer und Sichel verfasst hatte. Er wurde im Juli verhaftet und schließlich am 18. Dezember 1942 wegen Zersetzung der Wehrkraft und Vorbereitung zum Hochverrat im Landesgericht Wien in der Landesgerichtsstraße 11 hingerichtet.

Donnerstag, 14. Dezember 2017

Wassily Kandinsky: Poesie / Sehen








Am 13. 12. 1944 starb in Neuilly-sur-Seine, Frankreich der 1866 in Moskau geborene Maler Wassily Kandinsky.

1913 erschien im Piper-Verlag (München) in einer Auflage von 345 Exemplaren sein als „musikalisches Album“ konzipiertes Buch „Klänge“. Darin sind 38 Prosagedichte, 12 farbige und 44 schwarz-weiße Holzschnitte abgedruckt. Es ist ein grenzgängerisches Werk zwischen Literatur und Malerei, die Texte waren in deutscher Sprache geschrieben.


Poesie

Die Blüten der Poesie sind überall verstreut.
Versuch’, sie zu einem immergrünen Kranz zu flechten.
Du bist gefesselt, trotzdem bleibst du frei.
Du bist allein, trotzdem bist du nicht einsam.


Sehen

Blaues, Blaues hob sich und fiel.
Spitzes, Dünnes pfiff und drängte sich ein, stach aber nicht durch
An allen Ecken hat’s gedröhnt
Dickbraunes blieb hängen scheinbar auf alle Ewigkeiten.
Scheinbar, Scheinbar.
Breiter sollst Du deine Arme ausbreiten.
Breiter, Breiter.
Und dein Gesicht sollst du mit rotem Tuch bedecken.
Und vielleicht ist es noch gar nicht verschoben: bloß du hast dich verschoben.
Weißer Sprung nach weißem Sprung.
Und nach diesem weißen Sprung wieder ein weißer Sprung.
Und in diesem weißen Sprung ein weißer Sprung. In jedem weißen Sprung ein weißer Sprung.
Das ist eben nicht gut, das du das Trübe nicht siehst: im Trüben sitzt es ja gerade.
Daher fängt auch alles an.......................................................................................
..................Es hat gekracht.....................................................................................


Kandinsky in „Das Geistige in der Kunst“: Je tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche (…). Sehr tiefgehend entwickelt das Blau das Element der Ruhe. Zum Schwarzen sinkend, bekommt es den Beiklang einer nicht menschlichen Trauer.


Dienstag, 5. Dezember 2017

Hubert Gsur: Abschied



Am 5. Dezember 1944 wurde der 1912 geborene Lyriker Hubert Gsur im Wiener Landesgericht I als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus hingerichtet. Das Gedicht „Abschied“ entstand nach der Urteilsverkündung, es ist sein letztes Werk Außer in der Anthologie „Dein Herz ist Deine Heimat“, 1955 von Rudolf Felmayer herausgegeben, gibt es von ihm keine Veröffentlichungen.

Abschied

Nun bin ich nur noch eine kleine Weile
Auf eurem Weg. Schon schweigt der erste Stern.
Und wie ich noch mit eurem Schatten eile,
Bin ich euch schon um tausend Träume fern.

Schon weiß ich nicht mehr zwischen euren Blicken
Mich sanft zu schaukeln in des Himmels Blau,
Schon steh ich unter schwereren Geschicken
Im Totenhof der dunklen Abendfrau.

Schon streifen eure Worte meine Wangen
Wie eines längst entführten Windes Traum,
Schon bin ich endgültig von euch gegangen,
Ich Überschatteter vom Schicksalsbaum.

Schon schlucken mich die Schluchten ernster Straßen
In einer fremden grauen Abendstadt;
Dort ist, den eure Worte gern vergaßen,
So stark, daß er mich bald bezwungen hat.

Und wie ich Sonnenlicht mit euch noch teile,
Winkt mir der Bote schon des dunklen Herrn.
Es schneit. . . und über eine kleine Weile
Bin ich verweht. . . stumm scheidet Stern von Stern.


Das Bild ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch, mit freundlicher Genehmigung der Hedi Kupfer Stiftung Fredelsloh als Nachlassverwalterin- 

Samstag, 2. Dezember 2017

Ludwig Jacobowski: Trost der Nacht/Auf dem Lande




Trost der Nacht

Weiche Hände hat die Nacht,
Und sie reicht sie mir ins Bette;
Fürchtend, daß ich Tränen hätte,
Streicht sie meine Augen sacht.

Dann verläßt sie das Gemach;
Rauschen hör´ ich, sanft und seiden;
Und den Dornenzweig der Leiden 
 Zieht sie mit der Schleppe nach.


Dieses kleine Gedicht erinnert mich an das „Wiegenlied“ von Clemens Brentano:

Wiegenlied

Singet leise, leise, leise,
Singt ein flüsternd Wiegenlied,
Von dem Monde lernt die Weise,
Der so still am Himmel zieht.

Singt ein Lied so süß gelinde,
Wie die Quellen auf den Kieseln,
Wie die Bienen um die Linde
Summen, murmeln, flüstern, rieseln.


Auf dem Lande

Roter Mohn, noch frisch betaut,
Federnelken und Lupinen,
Hederich und Wegekraut,
Alles sonnengelb beschienen.

Nirgend Qualm und Schornsteinruß,
Düfte nur, die schmeicheln wollen,
Und ich selbst mit bloßem Fuß
Über Gras und feuchte Schollen.

Ach, ich armes Städtekind
Hab’ mit Steinen spielen müssen,
Die so ungefügig sind,
Dass die Finger sich Zerrissen.

Zwischen Mauern hochgetürmt,
Die die kleine Seele drücken,
Schlich mein Sehnen ungeschirmt,
Um im Lärm fast zu ersticken.

Dass ich fern dem Brausen bin,
Schenkt mir Lust, mich auszutollen,
Und so lauf’ ich nur so hin
Über kühle Wiesenschollen,

Über Mohn, der frischbetaut
Zwischen Nelken und Lupinen.
Wer noch nie ein Gras gekaut,
Geh’ und mach’ betrübte Mienen.

Ludwig Jacobowski, geboren am 21. Januar 1868 in Strelno (Provinz Posen), gestorben am 2. Dezember 1900 in Berlin, war Lyriker, Schriftsteller und Publizist.

Über das literarische Schaffen hinaus liegt die Bedeutung von Ludwig Jacobowskis in seinem repräsentativen Wirken im Berlin der Jahrhundertwende. Die Verschmelzung jüdischer und abendländischer Kulturimpulse führten zu einem außergewöhnlich reichen Schaffen auf verschiedensten gesellschaftlichen Gebieten. Neben der reichhaltigen publizistischen Begleitung seiner Zeit ist hier auch sein volkspädagogisches Engagement zu nennen, besonders sein Versuch, mit „Zehnpfennig-Heften“ wertvolle Literatur für die breite Masse verfügbar zu machen. Seine Mitarbeit im 1890 gegründeten Verein zur Abwehr des Antisemitismus schlug sich auch in seinem Werk nieder.