Dienstag, 31. Januar 2017

René Schickele: Mondaufgang / Kinderglaube



                      Mondaufgang

Verschüttet Herz, du Mond noch nicht im Klaren,
brich durch, das letzte Licht erlosch im Abendwind ...
Bald werden alle meine Gedanken, die Verdammte waren,
strahlen, weil sie schwebend und einsam sind.

Nie mehr vor fremden Seelen betteln gehn!
Nie mehr um die Erfüllung werben!
Nicht mehr mit jeder Sehnsucht sterben
und falschen Herzens auferstehn.

Gefäß der Zuversicht, du Mond im Klaren ...
Die Welt verlor den Glanz im Abendwind.
Es kam die Nacht. Nun strahlen, die erblasste Sklaven waren,
die Gedanken, weil sie über Meer und Erde mächtig sind.

Kinderglaube

Ein Engel, hieß es, als wir Kinder waren,
ist unterwegs, der sammelt jeden Schmerz,
den bösen, ungerechten, unduldbaren,
und fliegt hinauf und rührt an Gottes Herz.

Und zu Musik wird einer Schande Name,
es trägt als Duft ihn jeder Wind,
und Traumgespiele, helle, wundersame,
gesellen sich dem Schmerzenskind.

Das plötzlich strahlt. Es sieht: die Himmel rüsten,
dem Qualverstummten Gottes Arm zu leihn…
Ach, wär es wahr, sagt, wieviel Engel müßten
da heute wohl auf allen Wegen sein!

René Schickele (1883 – 1940); Dichter aus dem Elsass, setzte sich nach dem ersten Weltkrieg engagiert für die deutsch-französische Aussöhnung ein. Schon 1932 ahnte er, was sich in Deutschland anbahnte und emigrierte nach Südfrankreich. Dort lebte er, bis er einige Monate nach Einmarsch der Wehrmacht am 31. 1. 1940 an Herzversagen starb. Auch seine Werke wurden von den Nationalsozialisten den Flammen übergeben.


Samstag, 28. Januar 2017

Zum Gedenken an Felix Fechenbach, Kurt Eisner, Ernst Toller

Felix Fechenbach, geboren am 28. Januar 1894 in Mergentheim, wurde am 7. August 1933 im Kleinenberger Wald zwischen Paderborn und Warburg während seiner Deportation in das Konzentrationslager Dachau von den Nationalsozialisten "auf der Flucht erschossen". Er war ein politischer Journalist und Dichter, Sozialdemokrat und überzeugter Pazifist. 



An Ernst Toller


Du bist fein raus.
Nicht einen Tag geschenkt.
Wobei man an Herrn von Arco denkt.

Sei gegrüßt! Du kamst ans Licht!
Herr Ebert kümmert sich um dich nicht.

Er mag sich nicht mit Bayern schlagen.
Und da hat er auch nichts zu sagen.

Vor den Rechtsausschuß gingst du? Gar nicht schlecht.
Da findest du alles – nur kein Recht.

Wer Gefangene schindet, ist der nicht ehrlos?
Herr Held ist ein Held; die sind ja wehrlos.

Sag es laut! Gott gab dir den Schrei.
Sag es – du warst ja mit dabei!

Und denk auch an ihn, der im Ungemach,
an ihn:
an Felix Fechenbach.


Theobald Tiger
                                 (Die Weltbühne, 14.08.1924, Nr. 33, S. 265.)


Felix Fechenbach wurde vom Münchner Volksgericht zu elf Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust verurteilt. Auch Artikel zur Kriegsschuld Deutschlands waren Prozessgegenstand. Fechenbach musste aber auf Grund des öffentlichen Drucks gegen das Urteil nur bis zu seiner Begnadigung 1924 im Zuchthaus bleiben.

1925 brachte er das Buch: Im Haus der Freudlosen - Bilder aus dem Zuchthaus. (J. H. W. Dietz Nachf., Berlin 1925) heraus. Diesem Buch ist folgendes Gedicht von Kurt Eisner voran gestellt:

               Letzter Marsch (Beim Rundgang im Kerkerhof zu singen)


Schritt für Schritt,
O, Freund, geh mit!
Die Not
Wirbt Mut.
Blick umher
Die Zeit läuft quer!
Der Tod
Säuft Blut.

Ich und du
Verjagen Ruh:
Die Stadt
Wird wach;
Schreitet schwer,
Ein düstres Heer.
Verrat
Schleicht nach.

Schritt für Schritt,
Der Tod geht mit.
Das Haupt
Trag hoch!
Liegt nichts dran:
Du warst ein Mann!
Wer glaubt
Siegt doch!

Kurt Eisner (Eisner wurde am 21. Februar 1919 von einem völkisch-antisemitischen Attentäter erschossen.)

„Zum Geleit


Ich kam nicht ins Zuchthaus wie tausend andere. Mein Dasein im grauen Haus der Freudlosen war nicht das gleiche wie das der sogenannten »gemeinen Verbrecher«. Aber ich habe Augen und Ohren. Und was ich beobachtet, geschaut und erlebt habe, erzählen – soweit es die besonderen bayerischen Verhältnisse gestatten – diese Blätter.

Wißt, daß es Schicksale von Menschen sind, die zermalmt werden von all dem Leid, der Entseelung und Entwürdigung des Zuchthauses.

Lest dies Buch und gleitet dann noch gedankenlos über Nachrichten von Zuchthausurteilen in Zeitungen weg – wenn Ihr es könnt.

Dresden, Februar 1925
Felix Fechenbach“


Zum "Schwalbenbuch" von Ernst Toller geht es hier: 

http://dingefinders-lesebuch.blogspot.de/search/label/Ernst%20Toller 

Mittwoch, 25. Januar 2017

Christian Morgenstern: Palmström wird Staatsbürger (und andere aus dem Nachlass)


Palmström wird Staatsbürger

I

Palmström weigert sich (ganz selbstverständlich),
irgendwelchen Heeresdienst zu tun.
Doch die Mehrzahl schilt dies feig und schändlich.

Denn man ist noch rings um ihn katholisch
oder protestantisch usw.
und da gilt es diabolisch,

einen Christenmenschen nicht zu morden,
heischen dies Gott, König, Vaterland.
Palmström ist hierauf verhaftet worden.

II

Im Gefängnis sitzt der Brave,
doch er sagt sich: ins Gefängnis
sollte jeder, der kein Sklave.

Alle wahrhaft freien Seelen
sollten diese ihrer einzig
werte Stätte nicht verfehlen.

Ohne Murren, ohne Zucken
Sollten sich der Freien Nacken
unter der Gewalt Joch ducken.

Bis das Volk der breiten Fährte
erst durch Staunen, dann durch Denken
gleichfalls sich zur Freiheit klärte.

III

Korf geht mitten durch die Wachen,
die ihn pflichtbeflissen greifen,
doch sie greifen in die Leere.

Und sie stoßen die Gewehre
hin und her durch ihn, doch heiter
wandert er zu Palmström weiter.

IV

Mit dem Wärter, der das Essen
bringt, betritt er die Kamurke,
drin sein Freund der Schurke Palmström,
haust.

Stotternd, stolpernd, stürzt der Wächter
fort und fabuliert von Geistern,
die er nicht zu meistern wisse. . .
Man

kommt in copore gelaufen. . .
Alle werfen sich auf Korfen - -
Doch umsonst geworfen! Korf ist –
    Geist. . .

V

Es ist unmöglich, Palmström zu behalten
(obwohl er selbst am liebsten bleiben möchte);
denn Korfs Erscheinung ist nicht auszuschalten.

In zwölf Gefängnissen ist Palm gewesen. . .
Doch haben überall so Direktoren
wie Untergebne den Verstand verloren.

So daß man ihn mit aufgehobnen Händen
zuletzt beschwört, sich heimwärts zu entschließen,
und ihm erlaubt, niemanden totzuschießen.

Ein Interview

Palmström wird gefragt, wie er sich zu der
Todesstrafe stelle.
Er erwidert: „Lieber Herr ud Bruder,

gibt´s denn da noch wirklich ein Sich-Stellen
innert eine Welt
menschlicher Geschwister und Gesellen?

Bester Herr, was wollen Sie dem Armen
mit Gewehr und Beil?
Ist der Mensch so bar noch an Erbarmen?

Oder lassen sie mich anders sprechen:
Ist man ohne Teil
an dem sei´s auch traurigstem Verbrechen?

Wer es ist, der trete vor und hebe
seine Hand zum Licht. . .
Oder aber unser Bruder - - lebe!“

Die Heldin

Muhme Kunkel geht voraus
wo´s ein Tier zu schützen gilt.
Tapfer hält sie ihren Schild
vor die kleinste Ackermaus.

Ihre Dienstmagd Lulu Hammer,
welche Fleisch frißt wie ein Wolf
sperrt sie, samt dem Kälblein Rolf
eines Tags in ihre Kammer.

Legt ein Beilchen ihr parat,
spricht: Wofern dir Fleisch tut not
schlag denn dieses Fleisch selbst tot  -
oder aber iß Salat.

Lulu, ganz in sich gewandelt
fühlt, wie grauslich ihre Gier,
bittet ab dem Bruder Tier.
Ja, noch mehr, sie hat gehandelt

wie sonst nur des Helden Weise:
Nämlich gab, fürwahr, sie tat es,
Rolf die Köpfe des Salates
und verblieb selbst ohne Speise.

Schließlich ruft sie nach der Muhme. . .
Diese läßt die Zwei heraus.
Lulu lebt seither im Haus
reinerer Moral zum Ruhme.

Christian Morgenstern, geboren am 6. 5. 1871 in München, gestorben am 31. 3. 1914 in Untermais, Tirol

Mittwoch, 4. Januar 2017

Hugo Ball - Hymnus I




Hymnus I



Zu sagen ist nichts mehr. Vielleicht, daß etwas noch gesungen werden kann. „Du magisch Quadrat, jetzt ist es zu spat“ So spricht einer, der zu schweigen versteht. „Ambrosianischer Stier“: gemeint ist der ambrosianische Lobgesang. Eine Hinwendung zur Kirche zeigt sich an in Vokabeln und Vokalen. Der Hymnus beginnt mit militärischen Reminiszenzen und schließt mit einer Anrufung Salomons, jenes großen Magiers, der sich tröstete, indem er die ägyptische Königstochter an sein Herz zog. Die ägyptische Königstochter ist die Magie.



Du Herr der Vögel, Hunde und Katzen, der Geister und Leiber, Gespenster und Fratzen.
Du Oben und Unten, Rechtsum und Linksum, Geradeaus, Kehrteuch und Haltwerda,
Der Geist ist in dir und du bist in ihm, und ihr seid in euch und wir sind in uns.
Der Auferstandene bist du, der überwunden war.
Der Entfesselte, der seine Ketten zerriß,
Der Allmächtige bist du, Allnächtige, Prächtige, mit einem brennenden Topf auf dem Kopf.
In alle Sprachen und Windrichtungen ist dir der Donner im Kasten zersprungen.
In Vernunft und Unvernunft, im toten und lebenden Reiche raget dein Blechhals und saust
    deine Speiche.
Mit großem Brüllen kamst du, Sturmhaube der Rebellion, Krähtrompete, Völkersohn.
In Feuerschlünden und Kugelsaat, in Sterbegewinsel und endlosem Fluche,
In Blasphemien sonder Zahl, in Schwaden von Druckerschwärze, Oblaten und Kuchen.
So sahen wir dich, so hielten wir dich, in Gesichterregen, geschnitzt aus Achat.
Auf umgestürzten Thronen, zerspellten Kanonen, auf Zeitungsfetzen, Devisen und Akten,
Bunt aufgeputzte Puppe, hobst du das Richtschwert über die Vertrackten.
Du Gott der Verwünschungen und der Kloaken, Dämonenfürst, Gott der Besessenen.
Du Mannequin mit Veilchen, Strumpfbändern, Parfums und einem Hurenkopfe bemalt.
Deine sieben Jungen blecken die Zungen, deine Großtanten werden zuschanden, eine rote
   Kugel ist deine Gugel.
Du Fürst der Krankheiten und Medikamente, Vater der Bulbo und Tenderende,
Der Arsenike und Salvarsäne, der Revolver, eingeseiften Stricke und Gashähne,
Du Löser aller Bindungen, Kasuist aller Windungen,
Du Gott der Lampen und der Laternen, du nährst dich von Lichtkegeln, Dreieck und Sternen.
Du Folterrad, russische Schaukel der Qual, Homozentaurus, in Flügelhosen schwebend
   durch den Krankensaal,
Du Holz, Kupfer, Bronze, Turm, Zinke und Blei, als Eisengockel schwirrst du geölt vorbei.
Du magisch Quadrat, jetzt ist es zu spat, du mystisch Quartier, ambrosianischer Stier,
Herr unserer Entblößung, deine fünf Finger sind das Fundament der Erlösung.
Herr unseres Jäger- und Küchenlateins, Lemantotrommel unseres Daseins, Äthernist,
   Kommunist, Antichrist, oh! Hochweisige Weisheit des Salomo!

Text: Hugo Ball (1886 - 1927)
Aus: "Tenderenda der Phantast"

Zum Video:

Gesprochen und klanglich illuminiert von Dingefinder Jörg Krüger

Unter Verwendung eines Bildes der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch