Donnerstag, 27. Dezember 2018

Georg Kafka: Segen der Nacht




Segen der Nacht

Ich bin, Geliebte, Gottes schmaler Spiegel,
In den er blickt, eh' er zur Ruhe geht.
Mein Herz ist seines Ringes rotes Siegel,
das er dem Abend aufprägt, eh' er ganz verweht.

Ich bin, Geliebte, Gottes Silberschale,
Aus der er oft des Schlummers Rotwein trinkt,
Von deren tiefem Grunde, wie aus einem Tale
Des bleichen Monds das Lied der Schwermut klingt.

Ich war, Geliebte, Gottes stummer Spiegel.
Nun sing ich in der Ferne leise Lieder
Zur Laute Dir, wenn rings die Sterne steigen.

Mein Herz war Gottes abendrotes Siegel.
Nun spricht er zu mir aus der Sterne Schweigen:
In meinem Garten sehet ihr euch wieder. . . 

(1943)

Georg Kafka war ein entfernter Verwandter von Franz Kafka. Er stammte aus Teplice. Am 23. Juli 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, am 25. Mai 1944 nach Auschwitz, wohin er seiner in den Transport eingereihten Mutter freiwillig folgte. Er wurde später weiter verschleppt und kam Ende 1944 im KZ Schwarzheide ums Leben.

Das Bild ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch

Sonntag, 23. Dezember 2018

Konstantin Balmont: Die drei Edelsteine und andere Gedichte


           






Die drei Edelsteine

Das güt'ge Schicksal schenkte mir drei Edelsteine
Von grosser Zauberkraft; verschieden war ihr Sinn:
In fremde ferne Länder führte mich der eine
Und zu dem hellen Glück der ersten Liebe hin.

Es gab mir Macht der zweite über eine Menge
Von Menschenherzen. Doch der dritte Zauberstein
Der zeigte mir die tiefverborg'nen engen Gänge,
Die in die Tiefen führen, in mein Herz hinein.

Ins Meer warf ich den ersten lachend vom Balkone;
Und auch den zweiten; heb' vielleicht ihn wieder auf.
Der dritte aber ist ein Kleinod meiner Krone,
Und er allein erhellt mir meines Lebens Lauf.



- - - - - 

Sie gab sich mir hin ohne Klage,
Sie hat nicht an Reue gedacht.
- Wie klar sind die sonnigen Tage,
Wie ist doch das Meer voller Pracht!

Sie sagte nicht: "Nein! lass mich gehen",
Sie wollte von mir keinen Schwur.
- Wie mild uns die Winde umwehen,
Der Abendhauch kühlt schon die Flur!

Die Schande, das drohende Dunkel
Der Zukunft erschreckten sie nicht.
- Wie sanft ist der Sterne Gefunkel,
Wie mild ist ihr ewiges Licht!

- - - - - 


Dort, bei den Pflanzen

Dort, bei den Pflanzen ist’s gut.
Tief ist der Meeresgrund, still;
Schwach und voll Schatten das Licht.
Wogen erreichen uns nicht.

Reglos der Pflanzen Gewirr.
Tiefgrün und sorglos ihr Blick.
Leidenschaftslos, ohne Laut,
Wachsen und blühen sie auf.

Wortlos und tief ist der Grund.
Meeresgras bleibt immer stumm.
Liebe und irdisches Wort,
Findest du nirgendwo dort.

Schimmernde Steine und Sand.
Fische, gespensterhaft. – Weit
Von uns Leidenschaft, Leid.
Gut, dass im Meer ich versank!


Übersetzung von Alexander Eliasberg


Konstantin Dmitrijewitsch Balmont geboren am  15. Juni 1867 auf dem Gut Gumnischtschi bei Wladimir (Russland); gestorben am 23. Dezember 1942 in Noisy-le-Grand bei Paris, war ein russischer Lyriker des aus dem silbernen Zeitalter der russischen Poesie.

Im Winter 1911/12 schrieb Igor Strawinski die Kantate Le Roi des étoiles auf einen Text dieses Dichters.

Alexander Eliasberg (* 22. Juli 1878 in Minsk; † 26. Juli 1924 in Berlin) war ein jüdisch-russischer Literaturhistoriker, Übersetzer, Herausgeber und Autor.



Aus: Russische Lyrik der Gegenwart
Deutsch von Alexander Eliasberg
Mit einer Einleitung und vier Bildnissen
München und Leipzig R. Piper & Co Verlag 1907




Alexander Puschkin: Tatjana, Dorothea. . .



Tatjana, Dorothea, zwischen euch
Setzt blinder Hader die gestreiften Pfähle
Und pflanzt den Zaun von dürrem Dorngesträuch
Als Wärter um die grenzenlose Seele.

Das irre Spiel unheiliger Geschicke
Trennt Herz von Herzen, scheidet Blut von Blut
Und lenkt in dumpfer Trübung eure Blicke
Vom rechten Pfade – wisst ihr, was ihr tut?

Ihr stürzt in Staub die Pfeiler eures Baus,
Ihr schlagt mit scharfem Stahl nach euren Myrten
Und werft den Brand in eurer Kinder Haus...
Ich weiß, ich weiß die Umkehr euch Verirrten!

Und übers Land, weit hingedehnt und hüglig,
Das schon den Keim der jungen Ernten wiegt,
Läuft meine Liebe hin, die silberflüglig
Und lachend alle Schranken überfliegt.

Alexander Puschkin, Übersetzung Henry von Heiseler

„Wenn man mehr Getreide und weniger Phrasen dreschen würde, gäbe es auf der Welt bald kaum noch Hungrige.“

Henry von Heiseler, geboren am 23. 12.1875 in St. Petersburg, gestorben am 25. 11. 1928 in Brannenburg (Inntal), war ein deutsch-russischer Lyriker, Erzähler und Essayist, außerdem Übersetzer von Puschkin, Leskow und Yeats

Bild: Paul Klee, Der Winter

Sonntag, 16. Dezember 2018

Selma Merbaum: Welkes Blatt



Welkes Blatt

Auf der halbvergilbten Seite
liegt das dünne, gelbe Blatt,
liegt es traurig, zart und matt
wie ein Tränenblick ins Weite.
Und der Stengel ist so biegsam zart,
dass man fast des dünnen Kleides harrt,
das diese Gestalt bekleiden soll.

Und das Blatt ist wie ein Lied in Moll,
weil es an den Herbst gemahnt,
wie ein Kind, das traurig ahnt,
dass es krank ist und bald sterben soll,
ganz so süß und voll verhaltnem Weh.
So ist auch der letzte Schnee...

Selma Merbaum (in anderer Schreibweise Selma Meerbaum-Eisinger), deutschsprachige Dichterin aus der Bukowina, 5. 2. 1924 geboren, starb 16. 12. 1942 als verfolgte Jüdin im Zwangsarbeitslager Michalowika in der Ukraine.

Aufmerksam auf diese Dichterin bin ich von der Schriftstellerin Marion Tauschwitz gemacht worden, die auch eine lesenswerte Biografie über die Dichterin geschrieben hat. Dafür danke ich sehr herzlich.

Freitag, 30. November 2018

Ite Liebenthal: Ich weiß noch Wälder / Nun schlafen die Gärten. . .




Ich weiß noch Wälder, in denen Gott wohnt.
Da geht er groß und gelassen im Schweigen
heiliger Bäume, die sich schützend verzweigen,
auf Wegen, die noch jeder Fuß verschont.

Und um ihn her sind nur die unschuldigen
Tiere, die träumend im Moose ruhn,
und die mit ihren stillen, geduldigen
Augen einander nichts Böses tun;

die dicht am Rand seines Kleides spielen
und doch nicht wissen, wem sie nahe sind.
Aber die Gräser und Blumen auf hohen Stielen
beugen sich ihm entgegen im singenden Wind.

Wer, du mein Freund, weist uns den Weg ins Gehege.
Ob wir in Ewigkeit wandern, wir finden ihn nie.
Und doch wartet Gott auf einen, der an sein Knie
kindlich gelehnt das Haupt in den Schoß ihm lege ...



                       ¨˜“ª¤.¸* ☸ *¸.¤ª“˜¨



Nun schlafen die Gärten; die Teiche schlafen.
Wetter verziehen; die Winde sind still.
Auf Wegen, wo unsere Spuren sich trafen,
liegt Schnee, der die Zeichen begraben will.

Am einsamen Fenster, von Blumen verdunkelt,
die frostiger Anhauch zum Blühen gebracht,
erwart ich den Stern, der allein mir noch funkelt
am ruhigen Himmel in schlafloser Nacht.

Doch heut ziehen Nebel, und Wolken umgleiten,
gespenstige Schiffe, den frierenden Mond,
verstoßne Gestalten, verlorener Zeiten,
die nun keines Lächelns Erinnerung lohnt.

Und wie von zerrissenen Segeln und Fahnen
fliehn zitternde Schatten vorüber der Welt.
Doch sieh, es öffnen die ferneren Bahnen
sich leuchtend vom einzigen Lichte erhellt.

Ite Liebenthal, Lyrikerin, geboren am 15. Januar 1886 in Berlin, am 27. November 1941 wurde sie zusammen mit anderen deutschen Juden nach Riga deportiert. Dort wurde sie unmittelbar nach ihrer Ankunft am 30. November mit allen anderen Insassen des Massentransports im Wald von Rumbula bei Riga ermordet.

Bereits 1906, mit 20 Jahren, veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband (Aus der Dämmerung). Weitere Veröffentlichungen folgten in der Zeitschrift Die Argonauten. 1921 erschien ein Band mit Gedichten im Erich Lichtenstein Verlag Jena. Eines der letzten Gedichte in diesem Band ist das folgende:

Mehr als mich wirst du die Erinnerung lieben,
wenn das lebendige Bild hinter den Schleier entweicht,
wenn nur der schwebende Hauch verwehender Worte geblieben,
wenn dich der letzte Sinn versunkener Blicke erreicht.

Dann werd ich ganz dein alterndes Leben umschließen,
Einsamster unter den Menschen, daß nie deine Seele verdirbt.
All meine inneren Quellen, die heut noch verborgen dir fließen,
münden gestillt in dein Herz, und alles Leiden stirbt.


(Wiki)

Mittwoch, 21. November 2018

Victor Hadwiger: Trüber Tag



                Trüber Tag

So graues Wetter in den Gassen
Und schmale, kranke Flammen im Kamin,
An allen Dingen ein Erblassen
Und die Gebärden, müde im Erfassen
Schwanken verworren drüber hin.

Es fliegen ernste Vögel durch dein Land,
Und Lieder, die ihr pflegt und heilig haltet,
Weil sich darin ein liebes Bild gestaltet,
Sie sind mir wie von fern gesandt,
Ein Märchen, sonderbar entfaltet.

Es werden Dinge über uns geschehn,
Die sich in unsre armen Stirnen graben;
Und nur die Stummen werden es verstehn
Mit uns und über uns hinaus zu gehn,
Wenn wir genug verstanden haben.

Die süßen Schläfen komm ich dir zu küssen,
Und deine guten Hände trink ich aus. -
Und für alles, was wir wissen müssen,
Liegt mir ein Kranz bereit zu deinen Füßen
Und Sterne wandern um dein stilles Haus.


Victor Hadwiger, 1878 - 1911

Aus: Die Aktion Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur
Herausgegeben von Franz Pfemfert
Nr. 20 Jahrgang 1911

Sonntag, 18. November 2018

Ilse Weber: Ich wandre durch Theresienstadt




Ich wandre durch Theresienstadt

Ich wandre durch Theresienstadt,
das Herz so schwer wie Blei,
bis jäh mein Weg ein Ende hat,
dort knapp an der Bastei.

Dort bleib ich auf der Brücke stehn
und schau ins Tal hinaus:
Ich möcht so gerne weitergehn,
ich möcht so gern – nach Haus!

»Nach Haus!« – du wunderschönes Wort,
du machst das Herz mir schwer,
man nahm mir mein Zuhause fort,
nun hab ich keines mehr.

Ich wende mich betrübt und matt,
so schwer wird mir dabei,
Theresienstadt, Theresienstadt
– wann wohl das Leid ein Ende hat –

wann sind wir wieder frei?

Ilse Weber, geborene Herlinger (geboren am 11. Januar 1903 in Witkowitz, Österreich-Ungarn; ermordet am 6. Oktober 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau)

Donnerstag, 15. November 2018

John Höxter: Pro Domo



Das "Café des Westens" in Berlin, auch "Café Größenwahn" genannt, eine der Wirkungsstätten von John Höxter


Pro Domo

Wenn ich wollte, was ich könnte,
Könnt´ ich eher, was ich wollte;
Doch wie will ich wollen können,
Und wie kann ich können wollen,
Ohne Muß zum Können wollen,
Da man wollen kann, wer muß!
Müßt´ ich wirklich, was ich müssen wollte,
Könnt´ ich sicher, was ich können muß.
Seht! Ein Mann, der manches können könnte,
Wenn der gute Mann nur wollen wollte.
Er verstummt und macht vorzeitig Schluß,
Weil (nach Nathan) kein Mensch müssen muß!

John Höxter, am 2. Januar 1884 in Hannover geboren, Dichter und Maler, und der genialste Schnorrer der Berliner Bohéme nahm sich am 15. November 1938 in Berlin das Leben.

Friedrich Hollaender textete über ihn dieses Couplet:

Ich pendle langsam zwischen allen Tischen.
Ab zwanzig Uhr beherrsch ich dieses Reich.
Ich will mir einen edlen Gönner fischen.
Vor mir sind Rassen und Parteien gleich.
Irrenärzte, Komödianten,
Junge Boxer, alte Tanten,
Jeder kommt mal an die Reihe
Jeder kriegt von mir die Weihe:
Könnse mir fünfzig Pfennige borgen?
Nur bis morgen?
Ehrenwort!

"Ich bin noch ein ungeübter Selbstmörder" schrieb er in seinem Abschiedsbrief an Leo von König, aber auch: "Möge das edle, naive deutsche Volk eines Tages jene furchtbare Schande von sich abwaschen, die es auf sich lud als es all zu willig sich der Herrschaft der unheiligen Dreieinigkeit des Wahnteufels, des Hetzteufels und des Gierteufels unterwarf."

Montag, 12. November 2018

Carl Busse: Nächte




Nächte

I.

Das ferne Rauschen selbst der Quellen
Verwehte längst und ging zur Ruh,
Den silberroten Mondeswellen
Neigt sich die nächtige Blüte zu.

Der weiße Flieder atmet leise,
Süß über schwüle Rosenpracht
Klingt eine wundersame Weise,
Und blau verdämmernd liegt die Nacht.


II.

Der Vögel Sonnenlieder starben,
Nachzitternd seiner Königin
Dehnt blaß sich und orangefarben
Der weite Abendhimmel hin.

Und stiller wird die Luft und wärmer,
Kaum daß es sacht herüberdringt,
Wenn surrend ein Ligusterschwärmer
Im Flug aus vollen Kelchen trinkt.


III

Ein müder Falter, tief im Traume,
Vergißt berauscht das Weiterziehn,
Und wiegt sich auf dem Kronensaume
Des schwülen, schwankenden Jasmin.

Sternrosen spiegeln wirr sich wider
Im sammetdunklen Wasserrand,
Und winkend schimmert weißer Flieder
Wie eine weiche Totenhand.




Carl Hermann Busse, geboren am 12. November 1872 vermutlich in Lindenstadt bei Birnbaum in Posen; gestorben am 3. Dezember 1918 in Berlin, Lyriker und Literaturkritiker.




Samstag, 3. November 2018

Walter Calé: Wir tauchen aus dem Strom / Und abermals wirst du. . .



Wir tauchten aus dem Strom. . .

Wir tauchten aus dem Strom, der jenseit fließt,
Und wo wir eines waren willenlos,
Und wandeln nun für eine kurze Weile
In argen Fesseln unter Raum und Stunden,
Wir gehen Wege, welche weit getrennt sind,
Und nur mit Blicken, welche trösten sollen,
Von fern uns winkend – eine kurze Weile,
Bis daß wir wieder zu dem Strome tauchen
Und wieder eines sind und willenlos.


Und abermals wirst du. . .

Und abermals wirst du geboren werden
Auf andern Sternen, deiner selbst nicht kundig,
Und wirst die Wege gehen allen Lebens,
In Schmerzen bald und manches Mal in Lächeln.
Doch steigt aus Dämmerungen einer Nacht
Gleichwie aus Schächten, die verschüttet sind,
Ein Bildnis auf, ein Schatten und ein Ruf,
So wisse du: Der Bruder ruft nach dir,
Der abermals dem Tode sich entrang
Gleich dir und abermals das Leben wandelt
Auf andern Sternen fern und trauervoll.

Walter Calé geboren am 8. Dezember 1881 in Berlin; Freitod am 3. November 1904 in Freiburg im Breisgau.

Donnerstag, 1. November 2018

Simon Kronberg: Tiefe Nacht




                  Tiefe Nacht

Du tiefe Nacht, nach der ich müde bin,
so müde Nacht für Nacht
verschlafen und verwacht  -
ich will nicht mehr den Tag, noch den Gewinn
von Stunden, die nur schlagen.
Dies geh ich, Gott zu sagen.
Und auch dies: bin ich sein Kind so sehr,
warum kommt keines seiner Märchen mehr
zu mir und blüht den Frieden?
Seinen Duft hernieden
In „es war einmal“ und „schlaf mein Kind“.
Ich fehlte ihn. Daß ich ihn jemals find,
das müßte Gott schon sagen.
Mehr werde ich nicht klagen.





Simon Kronberg, Schriftsteller und Dichter, geboren am 26. Juni 1891 in Wien; gestorben am 1. November 1947 in Haifa.

Das Bild ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch. 


Donnerstag, 25. Oktober 2018

Otto Pick: Wie lange noch . . . / Noch immer. . .



Wie lange noch . . .

Die Zeit entstirbt so dir wie mir,
Wie lange noch bestehn wir hier?
Was gibt uns Mut zu Wort und Tat?
Ist, dass wir sind, nicht schon Verrat
Am Gang der Zeit, die uns nicht braucht,
Die ohne uns ins Leere taucht,
Wie sie uns jetzt herunterreißt,
Den Frommen wie den Feuergeist.
Die Zeit entstirbt. Wir sind noch hier ...
Rafft’s mich nicht fort, so gilt es dir.
Was unser war, Leid, Schmerz und Glück:
Vorbei, vorbei ... Ins Nichts zurück.


Noch immer. . .

Noch immer dies nicht zu uns selber kommen!
Tag bröckelt ab. Was denken? Lose Dinge,
Verächtliche und ferne, zu geringe,
Inhalt zu sein, da alles fortgenommen?

Wenn, was wir ohne Augenleuchten sagen,
Nicht Ausflucht ist, dann besser: zu beenden.
Schwärt aus den Aussatz an den müden Händen,
Dass wir einander ihren Druck versagen?

Von Mensch zu Mensch ... Wann redeten wir so?!
Wir kränken uns in jeglicher Sekunde,
Der Geist, das reine Kind, irrt frierend irgendwo,
Uns stirbt das Wort ab im erstarrten Munde,

Und nannte jeder eine Mutter sein,
Und strahlte jedem Heil aus guten Augen.
In welche Hölle stürzten wir hinein,
Die Hirn und Herz zerfrisst mit bösen Laugen?

Wir möchten Liebe denken. Da verschwimmt
Das reine Bild vor unseren Tränenblicken,
O dunkle Hand, die alles trübt und nimmt
Und einsam wacht, bis wir uns selbst zerstücken.

Am 25. Oktober 1940 starb der deutsch-böhmische Dichter und Übersetzer Otto Pick im Exil in London.

Das Bild ist von der im Februar 2016 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch.

Dienstag, 23. Oktober 2018

Camill Hoffmann: Schwermut





Schwermut

Hinter langen Liliensäumen,
Die um schlanke Beete liefen,
Schliefen, schliefen
Rote Rosen schwer in Träumen.

Manchmal weckten sie Fontainen,
Die am Abend lauter sangen,
Und befangen
Fasste sie ein fernes Sehnen.

Und es seufzten auf die zarten
Rosen in den bleichen Zweigen.
Tiefes Schweigen -.
Doch voll Düfte stand der Garten.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902

Camill Hoffmann wurde am 31. Oktober 1878 in Kolín, Böhmen geboren; im Oktober 1944 wurde er im KZ Auschwitz ermordet.

Samstag, 27. Januar 2018

Richard Zach: Ich bin den andern Weg gegangen




Ich bin den andern Weg gegangen

Was soll ich um mein Leben rechten?
Ich hab' gewagt
, hab' nicht gefragt,
ob's gut ist
, wenn man alles wagt,
und ob die Taten Zinsen brächten!

Bequemer wäre es gewesen,
den Kopf zu senken, klug zu lächeln,
die Knie verrenken, Demut fächeln
und kein verbotenes Buch zu lesen.
 
Die Möglichkeit stand häufig offen,
sich wirklich gut und weich zu betten
,
den eigenen schönen Kopf zu retten
und auf Beförderung zu hoffen.
 
Ich bin den anderen Weg gegangen.
Verzeiht
- es tut mir gar nicht leid,
obwohl es elend steht zur Zeit
.
Wird keiner um sein Leben bangen,
 
der weiß, wozu er es verwendet,
bedachte, was sein Glaube wiegt.
Er hat am Ende doch gesiegt
,  
und wenn er auf der Richtstatt endet!

Richard Zach geboren am 23. März 1919 in Graz, war ein österreichischer Widerstandskämpfer und Dichter. Am 31.Oktober 1941 wurde er verhaftet und von einem Militärgericht in Berlin am 18.August 1942 wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt und am 27. 1. 1943 in Berlin – Brandenburg hingerichtet. In der Zeit seiner Haft schrieb er mehrere hundert Gedichte.

Mittwoch, 24. Januar 2018

Clara Blüthgen: Brautlied




Brautlied

Komm her zu mir! Im wallenden Gewande,
Umweht vom Nelkendufte harr ich Dein.
Komm her zu mir! Wir sind im Zauberlande,
der Mittag brütet rings - wir sind allein.

An meinen Busen lehne Deine Wangen -
so sanft ward nie Dein Dichterhaupt gewiegt;
so haben keine Arme Dich umfangen,
so hat kein Herz an Deines sich geschmiegt.

Belausche dieses Herzens mildes Regen
und seine Wünsche sprich sie hold zur Ruh.
Sieh! Meine Lippen blühen Dir entgegen
und meine Seele duftet Deiner zu.

Nicht traure um die Jahre, die entschwunden:
Jung wie das erste Weib im Paradies,
von Liliths Zauber bin auch ich umwunden,
wie jener Küsse sind die meinen süß.

Sprich nicht von Herbst. Nimm atmend warmes Leben,
Erneute Jugend saug aus meinem Kuß.
Komm her zu mir! Noch hab ich reich zu geben -
erschauert's Dich in diesem Überfluß? - -




Clara Blüthgen, geborene Kilburger, geboren am 25. Mai 1856 in Halberstadt; gestorben am 24. Januar 1934 in Berlin, war Schriftstellerin, Dichterin und Aphoristikerin.

Dienstag, 23. Januar 2018

Ernst Blass: An Gladys / Strand / In sanften Wehen ist der Herr




An Gladys (Die Straßen komme ich entlang geweht)

So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht,
Den schwarzen Hut auf meinem Dichterhaupt.
Die Straßen komme ich entlang geweht.
Mit weichem Glücke bin ich ganz belaubt.

Es ist halb eins, das ist ja noch nicht spät. . .
Laternen schimmern süß und schneebestaubt.
Ach, wenn jetzt nur kein Weib an mich gerät
Mit Worten, schnöde, roh und unerlaubt!

Die Straßen komme ich entlang geweht,
Die Lichter scheinen sanft an mir zu saugen,
Was mich noch vorhin von den Menschen trennte;

So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht. . .
Freundin, wenn ich jetzt dir begegnen könnte,
Ich bin so sanft, mit meinen blauen Augen!


Am 23. Januar 1939 starb in Berlin nach schwerer Krankheit und vereinsamt der Dichter Ernst Blass, der 25 Jahre vorher zu den bekanntesten Lyrikern des Expressionismus gehörte. Sein erster Gedichtband  -  „Die Straßen komme ich entlang geweht“ erschien 1912. Von einem Lyriker wünschte er sich: „. . . daß er manchmal recht ins Alltägliche hineingeklebt ist; der noch in der Erhebung weiß, daß man nicht immer erhoben ist.“

Später wandte er sich mit seiner Arbeit mehr der Naturlyrik zu, von Stephan George beeinflusst. Das fand nicht immer den Gefallen seiner Freunde. Genutzt hat ihm es nichts, die Nazis verbrannten seine Bücher trotzdem. Heute ist Ernst Blass ein Vergessener. Zu Unrecht. Schrieb er doch so wunderbare Zeilen wie die folgenden aus seinem Gedicht „Nachts“:

Auf des Daseins geschwungener Brücke
Höre ich dann und wann so ein Lied
Kann nicht recht vorwärts und kann
Nicht zurücke
Doch fühle, daß alles geschieht.

„Der neue Dichter (der den Alltag kennt, der den Schwindel durchschaut) wird gegen künstlerisches Schaffen überhaupt, soweit es unkritisch ist, etwas skeptisch sein, – dennoch wird er eine Melodie haben ...

Weil er wahrheitsliebend ist, werden seine Dichtungen um viel Melodieloses im Erdenleben wissen, – dennoch Dichtungen sein; Dichtungen voll der Schönheit und Intensität eines großen Willens zur Ehrlichkeit. Er wird etwas geben, was, wie Kurt Hiller sagt, funkelt »zwischen Stahl und der Blume Viola«.

Zusammengefaßt: Der kommende Lyriker wird kritisch sein. Er wird träumerische Regungen in sich nicht niederdrücken. Noch im Traume wird er den ehrlichen Willen zur Klärung diesseitiger Dinge haben und den Alltag nicht leugnen. Und diese Ehrlichkeit wird die tiefste Schönheit sein.“

Aus dem Vorwort zu „Die Straßen komme ich entlang geweht“ 1912


Strand

Wir fühlen Sand und Sommer und die Wellen,
Die nachmittags an unsre Träume spülen,
Und sehen in dem Duft von frischen Kühlen
Sehr sichre Segler hell vorüberschnellen.

Und während wir die leichtbeladnen Stunden
Halb spielend und halb fliehend übergleiten,
Steht still in unsern Blicken, ohne Wunden,
Altkluge Trauer und der Glanz der Weiten. 



In sanften Wehen ist der Herr

So war der Lenz, ewigen Glaubens Spender,
Selber so ewig nicht, wie er gelind:
Der heitren Jugend kam der rauhe Wender,
Und unsrer Wiesen Herrscher ward der Wind!

Doch glauben wir, getreu dem ersten Bunde,
Die Kraft von stillen und erhabnem Lied
Und preisen in der nun erhaltnen Wunde
Die Einfachheit des Opfers, das geschieht.

Denn nicht im Feuer und im Wolkenbruche,
Nicht in der Schlachten blutigem Gezerr:
Es lebet Gott in einem schlichten Spruche,
In sanften Wehen ist der Herr.


Montag, 22. Januar 2018

Else Lasker Schüler: Urfrühling / Paul Leppin über die Dichterin

Else Lasker Schüler an Franz Marc 1913: Die Stadt Theben ist entzückt von der Gemse und ich der Kaiser im höchsten Maße gerührt. Zahm wird mein Selbstbild. Was soll ich zu all den bunten Geschenken sagen, Ihr teuren Brüder.


Urfrühling

Sie trug eine Schlange als Gürtel
Und Paradiesesäpfel auf dem Hut,
Und meine wilde Sehnsucht
Raste weiter in ihrem Blut.

Und das Ursonnenbangen,
Das Schwermüt'ge der Glut
Und die Blässe meiner Wangen
Standen auch ihr so gut.

Das war ein Spiel der Geschicke
Ein's ihrer Rätseldinge . . .
Wir senkten zitternd die Blicke
In die Märchen unserer Ringe.

Ich vergass meines Blutes Eva
Ueber all' diesen Seelenklippen,
Und es brannte das Rot ihres Mundes,
Als hätte ich Knabenlippen.

Und das Abendröten glühte
Sich schlängelnd am Himmelssaume,
Und vom Erkenntnisbaume
Lächelte spottgut die Blüte.


Paul Leppin: Die Lasker-Schüler

Keine von den Frauen, die ich kenne, ist so meilenweit von aller Literatur entfernt, so unbedingt in ihre Gesichte versponnen, mit Riten, Symbolen, Liebhabereien gesegnet, wie Else Lasker-Schüler. Sie ist die Verkünderin, die inbrünstige Ausdeuterin in einer kaum vorstellbaren Weise. Sie hat eine legendenhafte Art, mit den Herrlichkeiten der Schöpfung zu kosen, sie andächtig zu betrachten, mit den Fingern an sie zu rühren. Die lichtgesprenkelte Pfauenschleppe des Kometen, der blühende Mond, das Abendrot, dunkle Rubine funkeln in ihren Verszeilen. Sie hat Schicksal, Einsamkeit, brennendes Herzweh erlebt, dürftige Jahre, heischende Pflichten. Nichts, was mit ihr geschehen konnte, war angetan, die drängende Fülle ihrer Berufung zu zerstören. Sie ist wie die Bäume, von denen sie erzählt, daß sie im Erdboden haften, wo die Erwartung des Himmels sie festhält. Der Baum, die Pflanze, die Blume haben keine Weltanschauung. Aber die Welt kommt zu ihnen, sie lassen sich feierlich von der Welt anblicken und wachsen in ihre Träume. So geschieht es der Dichterin. Sie ist mit der Welt vertraut, ist mit ihr zusammen zur Schule gegangen und Gottes monumentaler Schrank beliefert sie mit Paradestücken. Wenn sie von ihrer Kindheit berichtet, dem sauren Kirschbaum im Garten des Vaterhauses, den Schaumkrautwiesen und versunkenen Wäldern ihrer Sonntagsausflüge im Wuppertale, von der Knopfsammlung, die sie in ebenmäßiger Reihe als bunte Strophe auf dem Tische ordnete, kommen Geheimnisse zutage, schüchterne Anmerkungen und Bekenntnisse. Da war ein Knopf, der war der schönste von allen, der durfte überall liegen, wo er wollte. »Er war aus Jett, besät mit goldenen Sternlein, und ich staunte ihn an. Er war das Himmelreich meiner Knöpfe und hieß: Josef von Ägypten. So oft neckt man mich mit einem Ausdruck, der sich immer wiederhole in meinen Gedichten. Es ist wahrscheinlich der sternbesäete Knopf.«

Der Hang zu Tand und schimmernden Nichtigkeiten, farbigen Schnüren, Perlen und koboldartigen Dingen ist ihr geblieben. Er ist wohl in der spanischen Blutmischung begründet, die ihr »liebmütterlicherseits« zuteil ward. Als ich sie kennenlernte, als junger Mensch, der neugierig im Wellenschlag des Berliner Literaturlebens stöberte, war sie mein stärkster Eindruck. Sie war anders als der Betrieb, der sie mitriß, unnachgiebig und sonderbar. Sie war vor Zugeständnissen gefeit, die ihr an den Leib rückten. Sie hatte Geschenke und Auszeichnungen zur Hand, mit denen sie Auserwählte beglückte: Glassteine aus einer vertrackten Schatulle, die sie stolz und verheißungsvoll auskramte, Ordenszeichen und Titel, mit denen sie Freunde dekorierte. Snobismus und journalistische Halbheit haben sie nie erreicht. Sie war immer vom Geiste besessen, der in ewigen Räumen schweifte, ein unzerbrechliches Gefäß der Offenbarung in einer von stumpfer Begier zerbröckelten Gegenwart. In den Kaffeehäusern ihres Bezirkes saßen die Aristokraten, die ihre Gnade ernannt hatte, ihre Zuneigung salbte. In allen Städten Europas hatte sie Statthalter ihrer Freundschaft. In der Nacht ihrer Not erhob sie sich selbst zum Prinzen von Theben. Es ist naheliegend, über ein Zeremoniell zu spotten, das Embleme und fremdartige Anschriften ersann, mit Siegel und Halbmond ihre Dekrete fertigte. Aber die unerschütterliche Haltung dieser Frau, ihr allezeit beglaubigtes Dichtertum, der Glanz des »Gottostens«, der ihren Sprüchen vorausgeht, die Gerechtigkeit und der Sinn ihres reinen Herzens strafen die nüchterne Skepsis Lügen. Die Staatsgalerie hat vor einigen Jahren ihre bizarren Zeichnungen angekauft, gekrönte Köpfe, paradiesische Fahrten ins Flitterland ihrer Gedanken, Mondsicheln und Heiligkeiten. Es sind vom Wege verirrte Szenen, vergittertes Temperament, Schwüre und Verzückungen, die so stark auf sie einströmten, daß die Umfriedung ihrer Verse nicht ausreichte, daß sie Tuschfeder und Goldlack zu Hilfe nehmen mußte, um sie zu bannen.

Nun ist nach langer Frist eines durch Ungunst erzwungenen Verstummens ihr neues Buch erschienen. Es nennt sich »Konzert« (Rowohlt-Verlag in Berlin) und bringt die gläubig gebündelte Ausbeute von Jahreszeiten und Jahren, die über verklärten Landschaften, gedämpften Erinnerungen stehn. In dieser Folge von Bildern, Gedächtnistagen und Schwärmereien begegnen wir immer wieder dem Angesichte Gottes, wie sie es glühend erlebt, dem Erzengelzauber ihrer Vision, der Bundeslade überirdischer Süchte. St. Peter Hille, der prophetische Apostel, ihr Gottkamerad, wie sie ihn erschauernd anspricht, hat wieder ein ehrfürchtiges Denkmal bekommen. Dieser »abstrakteste Mensch, der zurzeit auf Erden wandelte«, muß ihr wohl irgendwie geglichen haben. Auch sein, des heimlichen Papstes Vatikan, war nicht von dieser Welt. Seine biblische Jüngerin, die er in zärtlich gesinntem Spiel vormalig »Tino«, das Mädchen mit den Knabenaugen nannte, ist gleich ihm der Sentimentalität verfremdet. Und sie verfällt ihr auch nicht, wenn sie in schlichter Verhaltenheit von einem Verstorbenen redet, ihrem süß-schönen Sohne Paul, der als Maler ihre Talente erbte, der nicht nur ihr Kind, der auch ihr kleiner Bruder gewesen war und dem sie ihr Buch in Liebe zueigen gibt. Das »Konzert« der Else Lasker-Schüler ist die Musik der Mythe. Tote und Abtrünnige schlagen die Lider auf, Heerscharen, Gebete und Tierseelen sind darin verzaubert. Es ist Prosa, die tief und einfältig leuchtet und es wundert uns gar nicht, wenn zwischen den Blättern dieser Erzählungen, wie Gold im Gestein, der Rhythmus eines Gedichtes verstreut ist. Versöhnung, edelgewordener Alltag sind holdselig aufgetan. Kummer öffnet den strahlenden Kelch und duftet:

Es ist so dunkel heut,
Man kann kaum in den Abend sehen.
Ein Lichtchen loht,
Verspieltes Himmelchen spielt Abendrot
Und weigert sich in seine Seligkeit zu gehen.
– So alt wird jedes Jahr die Zeit –
Und die vorangegangene verwandelte der Tod.
* * *

Aus: Prager Presse. Jg. 12, Nr. 201 vom 24. Juli 1932. S. 9 (»Kulturchronik«).

Else Lasker-Schüler, geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld; gestorben am 22. Januar 1945 in Jerusalem)

Paul Leppin (1878–1945), Schriftsteller in Prag. Seinen einzigen überregionalen Erfolg erzielte er mit dem 1905 erschienenen Roman »Daniel Jesus«, den Else Lasker-Schüler 1908 in der Zeitschrift »Das Magazin« (Jg. 77, H. 4 vom Januar 1908. S. 65) besprach. Sie hatte Leppin im März 1907 bei einer Lesung im Berliner »Salon Cassirer« kennengelernt und ihn im April 1913 während einer Vortragsreise in Prag besucht. Sie nannte ihn nach seiner Romanfigur »Daniel Jesus« oder auch »Daniel Jesus Paul«. Leppin selbst war auf Else Lasker-Schüler durch ihr »Peter Hille-Buch« (1906) aufmerksam geworden, das er 1909 in der Zeitschrift »Deutsche Arbeit« (Prag) rezensierte (Jg. 8, H. 6 vom März 1909).