Donnerstag, 31. Oktober 2019

Ernst Stadler: An die Schönheit / Hier ist Einkehr, René Schickele über den Dichter



An die Schönheit

So sind wir deinen Wundern nachgegangen
wie Kinder· die vom Sonnenleuchten trunken·
ein Lächeln um den Mund· voll süßem Bangen

und ganz im Strudel goldnen Lichts versunken·
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Fern ist im Rauch die große Stadt ertrunken·

kühl schauernd steigt die Nacht aus braunen Tiefen.
Nun legen zitternd sie die heißen Wangen
an feuchte Blätter· die von Dunkel triefen·

und ihre Hände tasten voll Verlangen
auf zu dem letzten Sommertagsgefunkel·
das hinter roten Wäldern hingegangen – –

ihr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.

1904

Aufbruch: Hier ist Einkehr

Hier ist Einkehr. Hier ist Stille, den Tagen und Nächten
zu lauschen, die aufstehen und versinken.
Hier beginnen die Hügel. Hier hebt sich,
tiefer landwärts, Gebirge, Kiefernwälder
und durchrauschte Täler.
Hier gießt sich Wiesengrund ins Freie.
Bäche spiegeln gesänftigt reine Wolken.
Hier ist Ebene, breitschultrig, heftig blühend,
Äcker, streifenweis geordnet,
Braunschollig, grün, goldgelb von Korn,
das in der Julisonne reift.
Tag kommt mit aufgefrischtem Himmel,
blitzend in den Halmen;
Morgen mit den harten, kühlen Farben,
Die betäubt in einen brennendgelben Mittag sinken –
grenzenlose Julisonne über allen Feldern,
In alle Krumen sickernd, schwer ins Mark versenkt,
bewegungslos,
In langen Stunden weilend, nur von Schatten überwölbt,
die langsam weiter laufen,
Sich strecken und entzündet in das violette Farbenspiel
des Abends wachsen,
Das nicht mehr enden will.
Schon ist es Nacht, doch trägt die Luft
Mit Dämmerung vollgesogen
noch den lichten Schein,
Der tiefer blühend auf der Schwingung
der gewellten Hügelränder läuft –
Schon reicht unmerklich Frühe an die Nacht
der weißen Sterne.
Bald weht aus Büschen wieder
aufgewirbelt junges Licht.

Und viele Tag und Nächte werden in der Bläue
auf- und niedersteigen,
Eintönig, tief gesättigt,
wunschlos in der großen Sommerseligkeit –
Sie tragen auf den schweren
sonngebräunten Schultern Sänftigung und Glück.

Der Lyriker Ernst Stadler, geboren am 11. August 1883 in Colmar, Elsass; starb am  30. Oktober 1914 bei Zandvoorde nahe Ypern in Belgien („Flandernschlacht“). Leider wurde er, bevor er eine Gastprofessur in Toronto annehmen konnte zum Militärdienst eingezogen.

"Ist Ernst Stadler Deutscher oder ist er ein Franzose, der das Deutsch als Kultursprache schreibt, etwa wie die Belgier französisch schreiben? Seine "Präludien" sind Ausklänge, zufällig. Ein schöner und zarter Traum, den ein ursprünglicher Charakter nachträumt, um das Nachher besorgt und von neuen Geistern längst besessen. Es ist weder Verlaine, noch Régnier. Herr Stadler hat sich in ihre Landschaften verirrt und baut ihre Gärten nach eigenem Empfinden um. Es ist ein Kunststück, er beweist, daß er zu dichten versteht, auch in dieser Gegend, die ihm übrigens sehr sympathisch erscheint; in diesen flüchtigen Gebilden, vor Sonnenaufgang, schwankt ein dunkler Kern, ein ganz eigener, überlegen. Stadlers Gedichte bezeugen eine wirkliche Originalität durch scheinbares, liebevolles Eingehen auf fremde Techniken, auf Empfindungsarten anderer. Ein ahnungsweises Eingehen. Dabei finden sich keine zehn Zeilen, die rein anempfunden wären, wiewohl sie die Originalität verschleiern und manchmal auszulöschen drohen. Der dunkle Kern in der Orgie matter Farben, zärtlicher Musik, das Eigene läßt sich schwer bestimmen, nur daß es lebt, läßt sich fühlen. Kinderaugen blicken in perverse Pracht und gefahrvolle Landschaften und zucken nicht. Fromme Hände flackern unzüchtig. Nicht, als ob die Originalität lediglich ideeller Art wäre, auch die Form verwahrt ein Heiliges, Eigenes. Eine Form, die nur scheinbar den Marmor sucht; sie verflüchtigt sich vielmehr wie Wind und Welle. Wenn es vorüber ist, bleibt ein schmiegender Duft, fallen immer wieder zwei, drei Töne in Moll. In Moll, ewig in Moll: das scheint Stadlers Naturell. Kontraste und Dissonanzen fehlen. Ich glaube nicht daran, meine vielmehr, daß dies eine Wirkung der Dichtart ist, in der er sich ergeht. Wie er sie empfand, weich, verträumt, giebt er sich wieder. Unfreiheit, Schüchternheit bannten ihn in die Farben und Klänge der Dämmerungen; mir scheint, es gilt allein, das Klima zu wechseln. Man muß eben weit gehen, um seine Heimat zu finden, um den Ort, wo man zutiefst wurzelt, zu begreifen, denn man hat sich zu früh verirrt"

René Schickele aus: Das litterarische Echo. Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde.
Jg. 7, 1904/05, Heft 16, 15. Mai 1905,

Das Bild "Kleine Hütten im Wald" ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch.

Freitag, 18. Oktober 2019

Karl Gustav Vollmoeller: Sonett / Die alte Weise / Des morgens in einem fremden Land



Sonett

Denkst Du daran? - Wir gingen still zusammen,
Tief durch den Schnee in dämmerige Weite,
Und vor uns her auf die verschneite Heide
Warf noch die Sonne ihre letzten Flammen.

Denkst Du daran? - Wir gingen still zusammen,
Und manchmal lächeltest du wie im Traume,
Wie blauer Duft wob es am Waldessaume,
Am dunkeln Himmel lichte Wölkchen schwammen.

Die andern waren weit vorausgegangen,
Wir gingen still und sahen still uns an,
Es hatte sacht zu dunkeln angefangen,

Leis fiel der Schnee in großen weißen Flocken,
Wir gingen still und sahen still uns an.
Von ferne läuteten die Abendglocken.

Aus: Simplicissimus 1896


Die alte Weise

Die alte Weise kann ich nimmer finden.
Der Mondschein flutet silbern in den Gründen
es ist als wollt die Nacht im Duft vergehen.

In solchen Nächten kamst du sonst zu mir
Dann klangen feine Stimmen in den Winden
und leise träumend saß ich fromm bei dir
Nun ist es lang dass ich dich nicht gesehen.

Kennst du das Herz und der Gedanken Sünden
Die alte Weise kann ich nimmer finden.


Des morgens in einem fremden Land

Des morgens im Frühlichtschwanken
wenn es tastend zu dämmern begann
da kommen die verworrnen Gedanken
die mein Herz nicht bannen kann:

Ein Schuppen, alt und verfallen
wir Kinder sitzen spät noch darin
still draussen die Flocken fallen
Kennt ihr die Schneekönigin?

Und die Mädchen erzählen mit Flüstern
von der kalten Königin klingender Pracht
die die Kinder verlockt in der düstern
schneestreuenden Winternacht

und wie in des Teufels Krallen
der Zauberspiegel in Splitter zersprang
in weß Herz die Splitter fallen
der krankt daran sein Leben lang,

Mich fröstelt‘ ich schmiege mich fester
an dich (mein Herz ist bang und weh)
was bist du so kalt meine Schwester,
gingst du zu lange im Schnee?

Ich wollte ja gern mit dir wandern.
Ich suchte dich immer. Was winkt ihr mir zu
und lächelt so höhnisch ihr andern?
Mein alter Freund, da bist auch du:

wir hielten zusammen im schroffen
jähen Wechsel von Leid und Lust.
haben dich nun die Splitter getroffen
oder trag ich sie in der Brust

Und mein Vater, du mit dem blassen
verstörten Antlitz, was suchst du hier?
Vater, wo hast du die Mutter gelassen..
und was wollt ihr denn alle von mir

Schneekönigin lass mir die Seele
dein Lächeln ist Frost, Eis deine Stirn
Die Angst sitzt mir an der Kehle
Das Blut braust in meinem Hirn

des morgens im Frühlichtschimmer
da es tastend zu dämmern begann.
starr seh ich umher im Zimmer:
Etwas Fremdes schaut mich an.

Karl Gustav Vollmöller, geboren am 7. Mai 1878 in Stuttgart; gestorben am 18. Oktober 1948 in Los Angeles, der Stadt seines Exils. Er war ein Tausendsassa: Archäologe, Philologe, Lyriker, Dramatiker, Schriftsteller, Drehbuchautor, Übersetzer, Rennfahrer, Flugzeugkonstrukteur, Pionier des Stumm- und Tonfilms und Reformer des deutschen, europäischen und amerikanischen Theaters. Sein Gedichtband „Parcival – Die frühen Gärten“ verhalf ihm 1903 zu seinem Durchbruch als gefeierter Lyriker.

"Bei Vollmoeller (wird) die technische Perfektion bis zu einem Punkte gebracht, über den hinaus keine Steigerung mehr möglich ist … An Vollmoeller fasziniert, daß er den Weg seiner Epoche bis an den Rand des Abgrunds mitgeht.”

Klaus Günther Just in: Übergänge – Probleme und Gestalten der Literatur 1966

Sonntag, 13. Oktober 2019

Gerrit Engelke: Allheimat / Am Meerufer



Allheimat

Könnt ich mich lösen vom starren Gebein,
Von erdegeborener Schwere:
Könnt in Lüften eine Wolke sein,  -
Ein Funkeln im Sternenheere  -

Könnt ich zerbrechen den drückenden Zaum,
In Licht und in Brausen verließen:
In rollende Wogen, in stürzenden Schaum
Die dirstende Seele ergießen  -

O könnt ich in rauschendem, rasendem Spiel,
Im Sturm sein ein seliger Reiter:
Ich weiß nicht wohin  -  ohne Maß, ohne Ziel
Immer weiter, immer weiter  -  - 


Am Meerufer

Und Welle kommt und Welle flieht
Und der Wind stürzt sein Lied.
Schaumwasser spielt an deine Schuhe
Knie nieder, Wanderer, ruhe.

Es wälzt das Meer zur Sonne hin,
Und aller Himmel blüht darin.
Mit welcher Welle willst du treiben?
Es wird nicht immer Mittag bleiben.

E braust ein Meer zur Ewigkeit,
In Glanz und Macht und Schweigezeit,
Und niemand weiß wie weit  -
Und endlich kommst du dort zur Ruh,
Lebenswandrer, Du.

Gerrit Engelke wurde am 21. Oktober 1890 in Hanover geboren. „Gewiß ist Engelke der Dichter des Maschinenzeitalters, doch unter dem Einfluß Whitmans erscheint bei ihm die Arbeitswelt in idealisierter Sicht.  . . . Trotz aller Faszination teilte er freilich den unreflektierten Fortschrittsglauben seiner Zeit nicht.“ , heißt es über ihn im Buch „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen  -  Vergessene und verkannte Autoren des 20. Jahrhunderts“ von Hans J. Schütz.

Am 13. Oktober 1918 fiel er an der Westfront, kurz nachdem er einem Freund geschrieben hatte, er wolle über das „vom Krieg befreite, wieder menschlich-brüderlich werdende Völkereuropa der Städte, der Arbeit, des Lebens“ schreiben.

Dass Engelke dem städtischen Leben jedoch auch kritisch gegenüber stand zeigt sein Gedicht „Ich will heraus aus dieser Stadt“, in dem es unter anderem heißt: „Bald hab ich diese Straßenwochen, / bald diesen Stadtbann aufgebrochen / und ziehe hin, wo Ströme durch die Ewig-Erde pochen, / ziehe selig in die Welt!“

Leider lässt sich nicht sagen, wohin sich der frühverstorbene Dichter entwickelt hätte. Doch eines lässt sich gewiss sagen: Er ist zu Unrecht dem Vergessen anheim gefallen.

Das Bild ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch

Samstag, 5. Oktober 2019

Victor Hadwiger: Bewegter Wald, Erich Mühsam: Erinnerungen an Victor Hadwiger



Bewegter Wald

Wie eine große Welle ist der Wald
Und wie das Ringen weiter Seligkeiten
Der Sturm. - -
Dann laß die Schatten meiner Seele untertauchen,
Und mich ins Herz der Erde horchen
Wenn meine Zeit kein Pendel mehr zerreißt -
Und horchen und suchen
Die Spur der Ausgangslosen.

Ein langes, langes Beten wird mein Leben,
Ein Schauen, ein Schauern wird es,
Und endlich kalt und groß
Und dunkel wie der Wald.
Was heiß und licht in meiner Seele war
Ich gabs dem Sturme
Was heiß und licht und sündig
Es rauscht, es rauscht,
Die Augen meiner Seele sehen
Den fernen Zug.
Wie eine Schaar von Wandervögeln
Wie ein beredtes Heer von tausend Drosseln
Aufsteigt aus dem Wacholderhain! -
Euch meine besten Sünden gab ich hin,
Dort - dort - und weiter, weiter -
Sie fliegen um den Mond
Den hellen Hof entlang
Vorbei, vorbei - -
Dort wohnt der liebe Gott. -
Ein langes, banges Beten war mein Leben
Ich hör das Herz der Erde pochen.
"Und gieb mir nur das Eine
Vergieb mir nichts,
Laß dort mein Angedenken weiterrauschen
Die braunen Wandervögel." -
Fühl ich es nicht, wie blaß und braun durchs Nebelmeer
Die weichen Flocken fallen, -
Und Flügelchen um Flügelchen. - - -

Das Herz der Erde pocht
Der Wald ist kalt und groß
Und stumm und schrecklich,
Wie eine schwarze Woge in den Himmel
Greift, gräbt der Wald -
Der Wald rächt mich.

Aus: Die Aktion Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur
Herausgegeben von Franz Pfemfert
Nr. 21 Jahrgang 1911

Aus Erich Mühsam „Unpolitische Erinnerungen“ über Victor Hadwiger (1878 - 1911): Meiner Wirtin muß wohl die Boheme-Atmosphäre, die ich in ihre Wohnung gebracht hatte, sehr zugesagt haben. Denn eines Tages berichtete sie mir, daß der Herr, der die beiden kleineren Zimmer auf der anderen Seite des Korridors bewohne, ausziehe; es wäre ihr recht, wenn einer meiner Freunde sie nähme. Ich hatte gerade wieder einen Schlafburschen zu beherbergen. Das war der Prager Lyriker Viktor Hadwiger, der plötzlich im »Café des Westens« aufgetaucht war und mir dort eine Empfehlung, ich glaube von Hugo Salus, überbrachte. Ein großer, schwerer Mensch, dem die ungeordneten blonden Haarsträhnen und der kräftige Knebelbart ein ziemlich wildes Aussehen gaben, das, zumal in Verbindung mit seinem äußerst robusten Auftreten, die tiefe Bildschönheit seiner Verse nicht ahnen ließ. Der wurde also jetzt mein Zimmernachbar, und ich wurde der ständige Zeuge seiner Maßlosigkeiten. Hadwiger war maßlos in allem: im Trinken, Rauchen und Fluchen, im Überschwang der Glückseligkeit und im Weltschmerz. Hatte er kein Geld, um Tabak oder Schnaps zu kaufen, war er bei einer Frau abgefahren, ärgerte er sich über irgendwas, dann konnte er mörderisch schimpfen; ich habe keinen anderen Menschen getroffen, dem in der Wut eine solche Sturzflut haarsträubendster Unflätigkeiten zur Verfügung stand. War ihm aber etwas zum Guten ausgegangen, hatte er unerwartet Geld bekommen, war ihm ein Gedicht gelungen, hatte sich ein Mädchen von ihm küssen lassen, dann leuchteten seine großen, hellblauen Augen, seine Stimme wurde weich und schmeichelnd, und man spürte ein inneres Tanzen in dem mächtigen Körper des Mannes. Mehrmals weckte mich Hadwiger in der Nacht auf, kam polternd in Unterhosen in mein Zimmer herüber und wollte wissen, ob mir ein Vers gefalle oder ob ich diese oder jene Wortverbindung in einem Gedicht für zulässig halte. Oder er brachte ein eben fertig gewordenes Gedicht, erklärte es in unbändiger Begeisterung als das beste, das ihm je gelungen sei, und trug es mit Bärenstimme vor. Ich hielt so viel von Hadwigers dichterischer Begabung, daß ich ihm einen Abend im Peter-Hille-Kabarett zur Vorlesung verschaffte, bei dem ich in einleitenden Worten die Überzeugung aussprach, hier wachse das lyrische Talent der Zukunft heran. Viktor Hadwiger ist 1911 mit dreiunddreißig Jahren gestorben. Außer dem 1903 erschienenen Versband Ich bin und wenigen Novellen ist meines Wissens zu seinen Lebzeiten kein Buch von ihm gedruckt worden. Nach seinem Tode gab Dr. Anselm Ruest ein ganz kleines Bändchen ausgewählter Gedichte heraus, das unter dem Titel Wenn unter uns ein Wanderer ist bei Alfred Richard Meyer verlegt wurde. Auf dem Umschlag des Heftes, sprechend ähnlich und psychologisch glänzend erfasst, steht, von John Höxter gezeichnet, der Kopf des Dichters.