Montag, 27. Februar 2023

Emerenz Meier: Die gereifte Eva

 


Die gereifte Eva

Im weiten Gebiet der Liebe
Blüht auch ein Wunderbaum,
Darunter die Eva träumet
Den wonnigsten Lebenstraum.

Dem Gatten, den Kindern ferne,
Nicht jung, doch schöner denn je,
Hat sie einen Knaben gerne,
Entsandt ihr aus Himmelshöh'.

Die köstlichste Unschuldsblüte,
Das süßeste Maienlicht, –
Sie beuget sich zu ihm nieder
Und zieht ihn ans Herz und spricht:

– Was war mir die erste Liebe!
Was war mir der reife Mann!
Was sind mir tausend Männer,
Mit Tigerfellen umtan! –

Dich liebe ich, holde Knospe,
So zitternd und so zart,
Für dich sterb' ich tausend Tode,
Du bist mir die rechte Art. –

Und Eva selig vergessend
Den ersten Sündenfall,
Sie sündigt nach Gottes Ratschluß
Zum zweiten- und schönstenmal.

Emerenz Meier, geboren am 3. Oktober 1874 in Schiefweg, Niederbayern; gestorben am 28. Februar 1928 in Chicago) war eine deutsche Schriftstellerin. Neben Lena Christ gilt sie als die bedeutendste bayerische Volksdichterin.

Zu Ende des Jahrhunderts wanderte der Vater wegen der zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Lage mit einigen Familienangehörigen in die USA aus. Im März 1906 folgte Emerenz Meier mit ihrer Mutter nach einem Intermezzo als Wirtin in Passau und Schriftstellerin in München dem ausgewanderten Vater und ihren Schwestern nach. Emerenz siedelte sich in Chicago im deutschen Viertel an. Der erhoffte persönliche wirtschaftliche Aufschwung stellte sich jedoch nicht ein. Im Jahr 1907 heiratete Emerenz Meier Josef Schmöller, der ein Landsmann aus dem Bayerischen Wald und ebenfalls ausgewandert war. Im Jahr 1908 kam ein Sohn zur Welt. Ihr Mann starb 1910 an Schwindsucht. Anfangs hielt Emerenz Meier noch Vorträge in deutschen Vereinen und verfasste Kurzgeschichten und Gedichte für deutschsprachige Zeitschriften, aber zu Wohlstand führte das nicht. In zweiter Ehe heiratete sie den Schweden John Lindgren.

Der Erste Weltkrieg verschärfte ihre Kritik an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in Europa und Amerika. Mit dem Kriegsausbruch riss der Kontakt in die frühere Heimat vorübergehend ab und wurde erst 1919 wieder aufgenommen. In Briefen an ihre Waldkirchner Freundin Auguste Unertl zeigten sich ihre Sympathien für den Kommunismus und ihre Abneigung gegen Kapitalismus und Kirche. Mit Geld und Sachspenden versuchte sie, die Not im Bayerischen Wald zu lindern, obwohl sie selbst nur wenig hatte. In der Zeit der Prohibition in den USA braute sie in Chicago Bier für ihre Landsleute und den eigenen Bedarf.

Emerenz Meier starb am 28. Februar 1928 in Chicago im Alter von 53 Jahren an den Folgen einer Nierenentzündung. (Wiki)

Link zum Emerenz-Meier-Haus Waldkirchen


Sonntag, 26. Februar 2023

Iwan Goll: Messe für die Dichter / Die Flucht nach Lesbos / Reise ins Elend

 


Messe für die Dichter

Himmlisch geboren,
Knieen sie ihren Schmerz in die Erde:
Orphisches Opfer war ihre Losung.

Güte, o Güte
Schlummert wie Schnee
Um ihre ruhig offene Lippe.

Todeslächeln tropft um ihr Wolfsherz.
Sonnige Fackel
Qualmt ihr Gesang in den freienden Wind.

O ihre Seelen,
Herbe, halbgeöffnete Knospen
Morgenschimmernden Mandelbaums,

Fallen von den gebrochenen Zweigen,
Schlagen wie Sterne
In unsre Nacht.

Iwan Goll, aus: Requiem für die Gefallenen von Europa, Kommissionsverlag von Rascher & Cie, Zürich – Leipzig 1917

Die Flucht nach Lesbos

Gold
War gerollt In der Nacht,
Und beide, Clo und Gynn,
Tänzerin und Tänzerin,
Hatten getollt und hatten gelacht.

Aber morgens, von den Fräcken verlassen,
Fanden ihre blassen
Hände sich . . .
Morgen weinten Clo und Gynn,
Und sie flohen, Tauben im Winde,
Bis zur seligen Insel hin.

Und ihr nachtschwarzes Tanzgewand
Flatterte mit der Nacht über Land,
Dass sie nun standen wie rosa Wolken,
Dass sie Hände hielten wie Möwen,
Dass sie Hüften bauschten wie Wellen,
Dass sie Füsse trugen wie Muscheln,
Dass sie stiegen, morgengross,
Schoss an Schoss.

Yvan Goll, aus: Films (Verse), Verlag der expressionistischen Gedichte, Berlin Charlottenburg 1914

Reise ins Elend

Wie aber schmerzt die Menscheneinsamkeit,
wenn Landschaften mit gleichem Leid wie du sich von dir wenden
und in sich selbst versinken, dir so fremd!
Wenn klein ein Bahnhof dich in kalten Regen stößt,
ein Güterwagen leer und ohne Zukunft dich anbettelt.
Da kriecht ein fahler Gaul auf dunklem Acker,
oh, wenn der wüßte, daß du existierst
und du ihn liebst, ihm würden Flügel blau zum Himmel wachsen.
Manchmal schaut Wasser auf zu dir mit großen Augen,
und weil es nicht dein Lächeln sah,
fällt freudlos es und schal in sich zurück.
So läßt du alles dort allein. Es reißt dein Schicksal dich dahin.
Die alte Bucklige am Damm wird ewig nach dir blicken,
untröstlich steht das schreiende Plakat am schiefen Giebel.
So läßt du alles dort allein in unerfüllter Liebesdemut
und weißt es doch, daß, Einsamer, dich eine Stadt erwartet,
in der du weinen wirst die lange Nacht im billigen Hotel.

Aus der Anthologie Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts, DTV, 1962

Iwan Goll, auch Yvan Goll, geboren am 29. März 1891 in Saint-Dié, Frankreich, gestorben am 27. Februar 1950 in Paris, „hat keine Heimat: durch Schicksal Jude, durch Zufall in Frankreich geboren, durch ein Stempelpapier als Deutscher bezeichnet.

"Iwan Goll hat kein Alter: seine Kindheit wurde von entbluteten Greisen aufgesogen. Den Jüngling meuchelte der Kriegsgott. Aber um ein Mensch zu werden, wie vieler Leben bedarf es. Einsam und gut nach der Weise der schweigenden Bäume und des stummen Gesteins: da wäre er dem irdischen am fernsten und der Kunst am nächsten“. (Iwan Goll über sich selbst)

Das Besondere in Leben und Werk dieses Schriftstellers wird in seinen Gedichten, Dramen, Romanen und publizistischen Arbeiten deutlich: aus ihnen spricht die Tragik eines Daseins, das sich nicht erfüllt hat und nicht erfüllen konnte. Zwar gelang es Goll immer wieder, den Anschluss an die bewegenden künstlerischen Strömungen seiner Zeit zu finden, doch wurde er nie zu den ganz „Großen“ gezählt.“

aus: Ausgewählte Gedichte, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, Klappentext, 1982

Verheiratet war Iwan Goll mit der Dichterin Claire Goll, geboren als Klara Aischmann (1890 - 1977)

Felix Meyer: Du und Ich

 



Du und Ich

Wir sind von einer Wurzel,
Zwei Tropfen einer Flut,
Es rollt in unsern Adern
Das gleiche warme Blut.
Was mich geformt, gebildet,
Das gleiche schuf auch dich,
Im Fühlen gleich und Denken,
Zwei Hälften eines Ich.

Wir sind von einem Feuer
Zwei Funken in der Nacht.
Wir sind von einem Heere
Zwei Streiter in der Schlacht.
Wir sind auf einem Gipfel
Zwei Tannen sturmgefegt,
Zwei Kiesel eines Strandes,
Von gleicher Flut bewegt.

Was immer ich gesprochen,
Hallt nach in deiner Brust.
Was etwa du verschwiegen,
Ist gleichwohl mir bewusst.
Sich selbst im Andern finden,
Der Gnaden höchste ist.
Ich möcht die Hand dir drücken
Und danken, dass du bist.

Gleichwie auf einer Insel
Lebt jeder Mensch allein.
Und von der Nachbarinsel
Sieht höchstens er den Schein.
Drum gilts als holdes Wunder
Wenn Ruf, der hier erklingt,
Auf Flügeln sanften Windes
Zur Nachbarseele dringt.

Felix Meyer, Lebensdaten unbekannt, aus der Emigration in England 1933 - 1945, Typoskript, Leo Baeck Institute, New York

Das Leo Baeck Institut (LBI) ist eine unabhängige Forschungs- und Dokumentationseinrichtung für die Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums mit drei Teilinstituten in Jerusalem, London und New York City mit Zweigstelle in Berlin. Es wurde 1955 von Hannah Arendt, Martin Buber, Siegfried Moses, Gershom Sholem, Ernst Simon und Robert Weltsch gegründet und setzt sich zum Ziel, deutsch-jüdische Geschichte und Kultur wissenschaftlich zu erforschen und ihr Erbe zu bewahren.

Das Bild ist von Josef Eberz (1880 - 1942)

Freitag, 24. Februar 2023

Emil Alphons Rheinhardt: Der leise Ruf

 



Der leise Ruf

Ich bin zu Gast, ich bin verliehn
An Taggeschick und Augenblick -
Das gibt mich weiter, ungediehn.
Was frag´ ich denn? Ich weiß es doch!
Ich weiß die Antwort: Immer noch
Zu Glück bereit und voll von Zeit
Und traurig trotzend: Aber doch!
O Abend, abgelebte Welt
Im bleichen Regen! Tief, so tief
Geschah mir, dass die Stille rief
Aus todessanften Felsen her.
Aus schon vergrauten Wiesen leicht
Hat mich der zarte Ruf erreicht:
Lass dein Gesicht, verlösch dein Licht,
Geh aus dem Haus und gib dich auf!
Du Gast, nichts ist dein eigen mehr -
(Nachtwind kam schon aus Wäldern her!)
Vergiss das Wort, lass alles dort,
Nimm deinen Namen, Mensch, und komm!
Leg´ dich ins nasse Gras und wein´
Dich heim zu deinem Seelensein.
Dann tu von dir, was übrigblieb,
Verlier dich sacht in Regennacht.
In einem todessanften Feld
Gib deinen Namen Gott zurück!
Komm, es ist Zeit! Denn auch das Glück
Ist länger keine Zuflucht mehr.
(Da schwieg der Wind aus Wäldern her.)
Ich stand, furchtbar mit mir verwandt,
Hielt meine Hand wie ferneher
Und wagte Regung nicht noch Schritt.
Ich wusste tief: was mich da rief,
Ein andermal nimmt es mich mit.
So stand ich noch - und lag doch schon
Vergangen unter rotem Mohn.
So lausch´ ich noch - und bin vorbei,
Bin Pappelseufzen, Eulenschrei
Und nur noch diesen Augenblick
Verliehn an Sinn und Ichgeschick.

Emil Alphons Rheinhardt, aus: Tiefer als Liebe, Gedichte, S. Fischer Verlag, Berlin 1919

Emil Alphons Rheinhardt, geboren 4. April 1889 in Wien, Lyriker, Lektor und Schriftsteller, Anfang 1918 wurde er Redakteur in der von Jakob Moreno herausgegebenen, kurzlebigen Zeitschrift Daimon. Er veröffentlichte 1919 seinen Gedichtband Tiefer als Liebe bei S. Fischer.

Im Jahr 1920 zog er als Lektor im 3-Masken-Verlag nach München um. Ab 1928 lebte er an der Côte d’Azur und schrieb hauptsächlich Biographien über bekannte Persönlichkeiten.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland gewährte der eher konservativ eingestellte Rheinhardt deutschen Flüchtlingen wie Golo Mann und Spanienkämpfern wie Bodo Uhse Gastfreundschaft, doch erst nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde er politisch aktiv und gründete mit Robert Musil, Franz Werfel, Joseph Roth, Alfred Polgar und Bruno Walter in Paris die „Liga für das geistige Österreich“.

Bei Kriegsausbruch wurde er in Les Milles interniert, die französische Staatsbürgerschaft hatte er nicht bekommen, auch ein Visum in die Vereinigten Staaten wurde abgelehnt. Nach der französischen Kapitulation zog es ihn wieder in sein Haus in Le Lavandou, das nun in Vichy-Frankreich lag. November 1942 wurde sein Wohnort von den Italienern besetzt. Diese verhafteten ihn am 28. April 1943 wegen Beteiligung am französischen Widerstand. Rheinhardt wurde an die deutsche Gestapo übergeben. Diese transportierte ihn am Juli 1944 von Marseille in das KZ Dachau, wo er am 25. Februar 1945 an Fleckfieber starb.

Das Portrait (1929) von ihm ist von Alexander Jewgenjewitsch Jakowlew (1887 - 1938)


Verse aus dem Schützengraben von Kurd Adler, Albert Michel, Simon Kronberg, Hans Leybold, Ernst Angel, Wilhelm Stolzenburg, Ludwig Bäumer

 



Verse aus dem Schützengraben  

Die Zeitschrift Die Aktion wurde Februar 1911 von Franz Pfempfert gegründet. Bereits 1914, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wurde die Zeitschrift erstmals beschlagnahmt. Mit Ausbruch des Krieges im August 1914 verschärfte sich die Situation noch, da jetzt eine schärfere Zensur galt. Franz Pfemfert, als Linker und Pazifist, beschloss deshalb, ab sofort nur noch literarische Texte zu veröffentlichen, um so ein vollständiges Verbot des Heftes zu vermeiden. Erstaunlicherweise gelang dies, und das obwohl Pfempfert in Rubriken wie „Ich schneide die Zeit aus“ hetzerische Artikel aus anderen Zeitungen geschickt montierte, und in einer Briefkastenrubrik Künstler und Intellektuelle, die den Krieg unterstützten, scharf angriff. Auch die literarischen Veröffentlichungen setzte er geschickt im Sinne des Antimilitarismus ein, indem er zum Beispiel regelmäßig Gedichte von der Front veröffentlichte, unter der Rubrik „Verse aus dem Schützengraben“

Das Bild ist von Hans Baluschek (1870 - 1935), aus dem Zyklus „Krieg“ von 1917

Spätsommerabend

Und wieder diese große Müdigkeit,
ganz schwer und dumpf, wie die Betrunknen fallen.
Getaner Tag! Verwehte Schüsse knallen
spottpfeifend in die weiche Dunkelheit.

Der schlanke Nebel beugt sich übers Tal.
Fröstelnd in Mänteln gehen die Kanoniere.
Von Laub umgattert, wie geschmückte Tiere
stehn die Geschütze. Irgendwo blinkt Stahl.

Die gleiche Sehnsucht packt uns alle an;
still rauchen zwanzig abgegriffne Pfeifen:
Jetzt stirbt auch dieses Sommers großes Reifen
über die kahlen Felder drängt´s: Wann? Wann?

Noch einmal jagt des Herbstes buntes Wehn
das Blut. In sehr sentimentalen Tönen,
pfeift einer jenes Lied zwischen den Zähnen
„Vom Waldrand, wo die Heckenrosen stehn.“

Kurd Adler, aus: Die Aktion 1915

Wir Jungen

Wir wanken angestrengt,
gepeitscht, gehetzt, entzwei gerissen;
und möchten doch nicht Freude missen
und Licht und Tag. . .
Doch unser Herze trauert,
Wir wissen nicht, was uns bedrängt
und fürchten immer einen Schlag,
der irgendwo im Ungewissen lauert.

Albert Michel, aus: Die Aktion, 1915

Nacht

Totenlampen lauern
im Gewölbe Nacht -
Steinerne Mauern trauern
um Särge von Geräusch -
Verbranntes Lachen liegt in den Gassen.

Simon Kronberg, aus: Die Aktion 1916

Auf einer Feldpostkarte

Zerflossen alles
in wirren Schaum,

mein Hirn ein weiter
luftleerer Raum.

Von außen schlagen
die Hämmer drauf:

mein Schädel ist
ein Kirchturmknauf.

Hans Leybold, aus: Die Aktion 1914

Wir. . .

Wenn auch Erkenntnis uns zur Flucht getrieben,
Umkreisen wir einander ohne Ende.
Doch Felder, Städte, Menschen, Zeiten schieben
Sich wachsend zwischen die erhobenen Hände.

Doch unser zwangsgestählter Wille schlägt
Geheime Brücken nach erhöhten Zielen:
Wir haben unsre Waffen abgelegt,
Und lassen die Gehirne weiterspielen. . .

Ernst Angel, aus: Die Aktion 1915

Gefallene

Für Franz Pfempfert

Dieser barg verschämt den Leib
in der ersten krausen Ackerfurche.
Sein Leib, die Erde, sind schon eins.
Jener bäumte sich, erschrocken, auf,
Rettung fordernd aus dem steilen Himmel.
An seinem Ort grinst noch ein Hilferuf.
Viele warten (die man nur vergaß!)
auf Signale, die rufen sollen. . .
Einer blättert lockere Erde auf,
in die straffen Knie gesunken.
Dieser fällt mit Lachen sein Gewehr!
Manche sind verwundert, daß sie fielen,
solch ein Staunen ist in ihren Mienen;
diese schrecken uns bei Nacht.
Kinder liegen über starken Männern,
Bart und Locken, wunderlich verschlungen.
Oft liegt Hand auf Hand auf einem Herzen.

Wilhelm Stolzenburg, aus: Die Aktion 1915, Rubrik Dichtungen vom Schlachtfeld

Aus den jenseitigen Gedichten

Einmal werden wir unsere grauen Hände pflegen.
Einer dem andern, und mit gebogenem Rücken
Unsere Gesichter an eine Flamme drücken,
Die für andere zu warm ist, und uns wenig bewegen.

Wir werden Worte ausschaufeln, die uns einmal begehrten,
Und mit ihnen spielen wie mit Kindertotenköpfen -
Wir werden mühsame Atem schöpfen
Wie in den Augenblicken, wo wir verwehrten.

Um unsere Stühle wird eine Stille läuten
Unserer alten Feindschaft, und das Besinnen
Wird uns überwinden, und wir werden beginnen
Uns aus dem Gewesenen herauszudeuten. . .

. . . Eine Stunde geht um dein Gesicht,
Von deinen schlanken Fingern tröpfelt Schwere,
In blaue Dämmer taut die Atmosphäre,
Und Balken fallen langsam ins Gewicht.

Ludwig Bäumer, aus: Die Aktion 1915, Rubrik Dichtungen vom Schlachtfeld

Über Kurd Adlers Leben ist kaum etwas bekannt. Er kämpfte als Soldat im Ersten Weltkrieg und schilderte in seinen Gedichten die Welt der Schützengräben und die kurzen Momente von Glück, die die Soldaten bei Fronturlauben erlebten. Die Gedichte wurden von Franz Pfemfert in seiner Anthologie Die Aktions-Lyrik. 1914-1916 veröffentlicht; sie waren ab 1915 in Pfemferts Zeitschrift „Die Aktion“ erschienen (unter anderem Das Geschütz, Ruhe an der Front und Betrachten). 1918 erschien eine Sammlung der Gedichte. Kurd Adler wurde am 6. Juli 1916 bei Kampfhandlungen an der Westfront getötet.

Zu Albert Michel: Notiz in Die Aktion, 1915: „Albert Michel, zwanzigjährig, wurde, Ende Juni, als dienstpflichtiger Soldat, im Westen getötet.

Simon Kronberg, Schriftsteller und Dichter, geboren am 26. Juni 1891 in Wien; gestorben am 1. November 1947 in Haifa.

Hans Leybold wurde am 2. April 1892 in Frankfurt am Main geboren. Er wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 eingezogen und schon bald vor Namur (Belgien) schwer verwundet. Drei Tage nach seiner Rückkehr zum Regiment erschoss er sich in der Nacht vom 7. zum 8. September.

Ernst Angel, Schriftsteller, Filmregisseur, Verleger und Psychoanalytiker, geboren am 11. August 1894, gestorben am 10. Januar 1986. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Durch seine Erlebnisse im Krieg gewendet schloss er sich Pazifisten wie Gustav Landauer an. Im Zusammenhang mit den Novemberpogromen 1938 wurde Angel in Berlin festgenommen und umgehend in das Konzentrationslager Sachsenhausen überführt. Er verbrachte rund fünf Wochen im KZ, am 15. Dezember 1938 wurde er entlassen. Diese Zeit veränderte das gesamte weitere Leben Angels radikal. Am 31. März 1939 konnte er Berlin in Richtung England verlassen. Anfang 1940 gelangte Angel schließlich nach New York.

Wilhelm Stolzenburg, geboren am 25. Dezember 1879 in Wetter/R. Er starb am 21. Februar 1938 in Essen. Von seinen „Umdichtungen chinesischer Lyrik“ abgesehen, veröffentlichte Stolzenburg lediglich vor dem Ersten Weltkrieg drei schmale Bücher mit zunächst neuromantischen Gedichten und zynischen Satiren, war jedoch seit 1914 Mitarbeiter an Franz Pfemferts Berliner „Aktion“ und anderen expressionistischen Zeitschriften.

Ludwig Bäumer, geboren am 1. September 1888 in Melle; gestorben am 28. August 1928 in Berlin lebte ab 1910 in der Künstlerkolonie Worpswede. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Unteroffizier teil, wandelte sich dann jedoch zum Kriegsgegner und war während der Novemberrevolution in Bremen als kommunistischer Politiker aktiv. Ende 1918 war er Delegierter auf dem Gründungsparteitag der KPD in Berlin. Im Januar 1919 wurde er Mitglied des Rates der Volksbeauftragten der Bremer Räterepublik. Bäumer wohnte bis 1922 weiter in Worpswede, schließlich als freier Schriftsteller in München und Berlin. Am 28. August 1928 nahm er sich in Berlin das Leben.

Donnerstag, 23. Februar 2023

Anna Ritter: Verzweiflung / Stille Zeit, Karl Ernst Knodt: Anna Ritter

 


Verzweiflung

Ich lache ja, bin lustig wie die andern!
Nur dann und wann
Schaut die Verzweiflung mich aus einem Winkel
Der Seele an.

Dann schleiche ich mit jäh erblaßten Lippen
Mich still hinaus,
Reiß mir das bunte Narrenkleid vom Leibe
Und weine mich aus.

* * *

Ich sah einen Adler sich wiegen
Hoch oben im leuchtenden Blau,
Er schaute aus ewigen Fernen
Herab auf mich einsame Frau.

Es standen so träumend die Felder,
So lockend die Berge umher,
Da flog meine Sehnsucht zum Adler,
Zog weitere Kreise als er.

Stille Zeit

Die Tage rinnen leise hin…
Ein jeder bringt ein liebes Glück
Und eine liebe Sorge mit,
Und schau ich so den Weg zurück,
Den ich mit dir gegangen bin,
Da will es mir fast bange werden
Um so viel Seligkeit auf Erden.

Anna Ritter, geborene Nuhn, geboren am 23. Februar 1865 in Coburg; gestorben an 31. Oktober 1921 in Marburg. Ihr bekanntestes Gedicht ist wohl „Vom Christkind"  - Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen! / Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee. . . .

Das Bild zeigt Anna Ritter, veröffentlicht in Die Gartenlaube 1899

An Anna Ritter

Die Sage singt, dass einst ein hohes Weib
Mit flüchtgem Schritt berührt die rauhe Erde,
Ein Sehnsuchtskind von wunderschönem Leib,
Mit Märchenaugen, leidender Geberde.

Sie sang so voll, wie nie zuvor die Welt
Von Frauenlippen hörte hohe Lieder.
Doch war für dies ihr eine Pflicht gestellt:
Für irdische Liebe keine Liebe wieder!

Nur reine Freundschaft. Nur ein heiliger Bund
Der Herzen, - bis gelöst die eigne Seele
Von allem Staub, damit sich Herz und Mund
Und Melodie den Seligen vermähle.

So hat auch dich die Gottheit wach geküsst
Zur Priesterin der Schönheit ... Süsse Töne
Sangst du der Welt. Dass sie dafür dich grüsst,
Sei ihr kein Dank, - kein Fallstrick deiner Schöne!

Frei schreite du durch allen Glast und Glanz,
Mit leichten Schritten, fest den Blick nach oben,
Dass du mit deinem letzten Liede ganz
Zur ewigen Vestale seist erhoben!

Karl Ernst Knodt (1856 – 1917), aus: Neue Gedichte, 1. Auflage 1902



Mittwoch, 22. Februar 2023

Kurd Adler: Japanische Zeichnung

 


Japanische Zeichnung

Ganz kleine Hände
hoben sich sinnend
dem duftenden Wind.
Warfen Gedanken
knospender Wünsche
lockend ihm zu.
Vertraulich starren
wissende Augen.
Gekeltertem Wein gleich.
Wie ein Hauch weitseidener
fantastischer Ärmel,
die Apfelblüten
regnen lassen
auf ganz kleine Hände.
Die beugen sich still,
wie gefallende Klagen
und trinken bewußt
gedunkelter Lust
entbehrte Fülle.
Und lauschen auf ferne,
unbekannte
verdeckte Geräusche.

Über Kurd Adlers Leben ist kaum etwas bekannt. Er kämpfte als Soldat im Ersten Weltkrieg und schilderte in seinen Gedichten die Welt der Schützengräben und die kurzen Momente von Glück, die die Soldaten bei Fronturlauben erlebten. Die Gedichte wurden von Franz Pfemfert in seiner Anthologie Die Aktions-Lyrik. 1914-1916 veröffentlicht; sie waren ab 1915 in Pfemferts Zeitschrift „Die Aktion“ erschienen (unter anderem Das Geschütz, Ruhe an der Front und Betrachten). 1918 erschien eine Sammlung der Gedichte.

Kurd Adler wurde am 6. Juli 1916 bei Kampfhandlungen an der Westfront getötet.

Die Reihe VERSENSPORN - Heft für lyrische Reize hat ihr Heft Nr. 43: Kurd Adler gewidmet.

Die Zeichnung ist von Katsushika Hokusai (1760 - 1849)



Montag, 20. Februar 2023

Edlef Köppen: Erlösung zur Nacht

 


Erlösung zur Nacht

So fallen Worte von uns ab, wie nachts der Wind
In leisem Rieseln Rinnsal wird und über Feuer rinnt
Und alle Blumen tötet, achtlos wie ein spielend Kind.

Und die Gebärden unseres Seins versteinen wie von Tieren,
Die unter blassen Blätter kaltem Hauch erfrieren
Und wie gebenedeite Male weglang junge Morgen zieren.

Ein Ton aus unserer Mutter müden Sterbeangstgebeten
Zerbricht in uns, eh das Tal der Erde je betreten
Und ehe warme Wellen je aus seinem Zittern wehten.

Leib wird zu kahlem Baum – langsam die Äste sinken,
– In letztem Hoffen noch ein letztes zages Winken
Und letztes Einmal noch die Milch der Sterne trinken –

Hingeht die wehe Welt. O goldenes Abendglühen!
Entflammt sind alle Glocken, und aus allen Höhen
Mild senkt sich Gnade. Und die stummen Steine blühen.

Edlef Köppen, geboren am 1. März 1893 in Genthin, war ein deutscher Schriftsteller und Rundfunkredakteur. Auch er trat, wie so viele seiner Generation, 1914 als Kriegsfreiwilliger in die Armee ein. Er diente als Artillerist und kam im Oktober 1918, von den Kriegserlebnisssen traumatisiert und desillusioniert, nach Hause. Die Erlebnisse verarbeitete er später in seinem großen Roman Heeresbericht. Köppen vertrat seitdem pazifistische Positionen.

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, wurde Köppen als Leiter der Funk-Stunde Berlin abgesetzt. Sein Weltkriegsroman fiel der Bücherverbrennung 1933 in Deutschland zum Opfer. 1935 wurde der Roman verboten.

Edlef Köppen starb am 21. 2. 1939 in einem Lungensanatorium in Gießen an den Spätfolgen seiner Kriegsverletzung.


Sonntag, 19. Februar 2023

Lotte Brunner: Klage

 


Klage

Vater, höre, dein Fürstenkind
Ist Aschenputtel geworden!
Und die vom Orden der Freien sind,
Irren durch die Welt und bangen
Wie Märchenkinder im Wald,
Weil Ungeheuer nach ihnen langen.
Vater, wozu sind wir königlich,
Wozu lehrtest du Königswort,
Wenn doch der Mord
Allein regiert?
Was sag ich mir?
Was sag ich ihnen allen?
Ich klopfe an deines Grabes Wand
Um Trost. - Sag ich:
Blickt in die Sonne,
So werden die Schatten hinter euch fallen?
Mein Wort ist Bildertand -

1941

Lotte Brunner (1883-1943), Lehrerin und Schriftstellerin, aus: Gedichte 1903 - 1942, handschriftliches Manuskript, Leo Baeck Institute, New York

Der Stiefvater von Lotte Brunner war Constantin Brunner (geboren am 27. August 1862 in Altona; gestorben am 27. August 1937 in Den Haag), eigentlich Arieh Yehuda Wertheimer (Rufname Leo), Philosoph, Schriftsteller, Literaturkritiker.

1895 heiratete er Rosalie, geb. Auerbach, die sich künftig Leonie nannte, in Anlehnung an Brunners Rufnamen Leo. Mit ihrer Tochter Elise Charlotte, geb. Auerbach, die fortan den Namen Lotte Brunne trug, verband Brunner später ein intensiver Austausch über Literatur und Philosophie. Lotte Brunner veröffentlichte unter dem Pseudonym E. C. Werthenau und führte von 1903 bis 1932 ein Tagebuch über Bemerkungen Brunners zu seiner Philosophie und über Besuche und Gespräche im Hause Brunners. Leonie und Lotte Brunner wurden im Februar 1943 im Lager Westerbork inhaftiert und im März 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

Fritz Oerter: Gedichte aus seinem Tagebuch 1914

 


Meine schönsten Gedichte genoß ich allein;
ich hab´ sie nicht niedergeschrieben;
es wär ihr Aroma bezaubernd und fein
sonst nicht mir erhalten geblieben.

Mein besseres Leben, ich lebte es nicht,
das habe ich nur geträumt;
im Übrigen zog ich am Wagen der Pflicht -
wie ein Esel bepackt und gezäumt.

Fritz Oerter, aus seinem Tagebuch, 13. 6. 1914

Das Vögelchen ist flügge,
will bleiben nicht zu Haus,
kennt nicht des Daseins Tücke
und flöge doch gern aus.
Du kleiner Kiek in d´ Welt,
Du prüf´ erst deine Kraft,
so stark sich mancher hält,
so schwer wird er bestraft.
Da lauert still der Geier
Der Habicht kreist und lacht -
flieg´Vogel nur, du „freier“
doch nimm dich gut in acht!

Tagebuch, 14. 6. 1914

Es fuhren viel hundert Züge dahin
Mit waffentragenden Leuten.
Die jubelten laut, des träumte ihr Sinn
nach künftigen Siegesfreuden.

Es fahren nun viele Züge nach Haus,
mit armen, zerschossenen Recken,
aus ihren Mienen spricht heimlich der Graus
vor den ausgestandenen Schrecken.

Tagebuch, 1. 11. 1914

Ein Jahr, so schlimm, wie keines war,
verging; wir trauern tief erschauernd.
Bring uns den Frieden, neues Jahr.
Bring ihn uns bald und mach ihn dauernd.

Die halbe Welt in Blut getaucht,
gepeitscht von glühenden Eisenruten,
von Not bedroht, vom Tod umhaucht -
Warum, o Völker, müsst ihr bluten?

Tagebuch, 23. 12. 1914

Fritz Oerter, aus: Tagebücher 1914 Auf der Seite Fürth Wiki als pdf

Fritz Oerter, geboren am 19. Februar 1869 in Straubing als Friedrich Oerter, gestorben am 20. September 1935 in Fürth, Lithograph, Schriftsteller und Buchhändler.

Zunächst trat Fritz Oerter im Jahr 1890 im Alter von 21 Jahren in die SPD ein. Gleichzeitig engagierte er sich für den Anarchismus und schmuggelte gemeinsam mit seinem Bruder Sepp Oerter Agitationsmaterial von den Niederlanden nach Deutschland. Beide Brüder werden im Dezember 1892 in Mainz wegen "aufrührerischer Reden" verhaftet. Fritz Oerter verstand sich als Verfechter der Anarcho-Syndikalistischen Bewegung und als geistiger Nachfolger Gustav Landauers, einem der wichtigsten Theoretiker und Aktivisten des Anarchismus in Deutschland um die Jahrhundertwende. Zur Zeit des erstens Weltkrieges wurde Fritz Oerter als "Anti-Kriegs-Aktivist" eingestuft und zu 15 Monaten Festungshaft verurteilt.

Seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, die er stets auch in seinen Publikationen zum Ausdruck brachte, und seine Kontakte zum demokratischen Widerstand gegen Nationalismus und Großkapital führte immer wieder zu Verhaftungen. Zuletzt wurde Oerter im Alter von 66 Jahren im September 1935 verhaftet und durch die SA verhört. Während der einwöchigen Haft wird Oerter offensichtlich schlecht behandelt, so dass er geschwächt und gebrochen die Haft verlässt. Kurze Zeit später verstirbt Oerter am 20. September 1935 an den Folgen einer Lungenentzündung im Krankenhaus, vermutlich infolge der Misshandlungen durch die SA und der Haftbedingungen. (Wiki)

Das Foto zeigt Fritz Oerter im Jahre 1921

Hier geht es zu den Tagebüchern 1914 auf FürthWiki:  Fritz Oerter Tagebücher 1914

Samstag, 18. Februar 2023

Carl Spitzweg: Ich als Dichter

 



Ich als Dichter

Wenn ich den Tag schon opfre doch
Rein nur Vergnügens Sachen,
So will ich wenigst ' abends noch
Ein klein Plaisir mir machen.
Ich bitt ' du magst nur hier vor all 'n
Auf jeden Scherz verzichten;
Am Tage nämlich tu ich mal 'n,
Und abends tu ich dichten.
Ich dicht ' auch emsig jeden Tag,
Nicht ohne ihn zu malen,
Ganz gleich, wenn es zuletzt auch mag
Gar manchem nicht gefallen.
Gehör zur Zahl der Dutzenddichter
Und will auch für die Zeilen nichts,
Das Honorar in Weis ' ist schlichter,
Bereits bezahlt ist 's mir - ich dicht 's,
Zum täglich Brot gehört mir Dichten,
Und bring ich 's auch nicht zu Papier,
Muß auf Verleger ich verzichten -
Der Selbstverlag bleibt selig mir.

Text und Bild: Carl Spitzweg (1808 - 1885)

Aus: Und abends tu ich dichten: Gedichte und Zeichnungen von Carl Spitzweg, herausgegeben von Eckhard Grunewald, DTV 1997

Lilli Recht: Allein

 


Allein

Draußen riecht es schon nach Sommer,
Kleine Kinder schrei’n,
Liebespaare geh’n vorüber
- Nur du bist allein.

Später holt dich ein Bekannter,
Küßt dir leicht die Hand
Und führt dich in seinem Wagen
Sicher über Land.

Er erzählt dir von Geschäften,
Sagt, daß er dich liebt,
Insoweit es heutzutage
Eben Liebe gibt.

Und verführt vom Duft der Wiesen,
Wald und Feld im Abendschein,
Sprichst du ihm von Deiner Sehnsucht,
Deinem Einsamsein.

Doch er meint, auf Seelenleben
Läge er nicht viel Gewicht
Und er säh’ im allgemeinen
Mehr auf Beine und Gesicht.

Und er hätte Glück bei Frauen,
„Weil er es versteht“,
Und du könntest ihm vertrauen.
Denn er sei diskret.

Doch du siehst längst aus dem Fenster
Starr und unverwandt,
Vögel zieh’n und bunte Blumen
Steh’n am Wegesrand.

– Eine Hand faßt heiß nach deiner.
– Wird das immer sein? –
Neben uns sitzt irgendeiner –
Und man ist allein.

Lilli Recht aus: Ziellose Wege, Druck von Heinrich Mercy Sohn, Prag 1936

Lilli Recht wurde am 17. Februar 1900 in Hodolany / Hodolein bei Olomouc / Olmütz geboren.1938 emigrierte sie gemeinsam mit ihrer Schwester nach Italien 1926 zog sie nach Prag, wo sie ihre Gedichte und Texte im Prager Tagblatt veröffentlichte. 1936 erschien ihr einziger Gedichtband Ziellose Wege. Lilli floh gemeinsam mit ihrer Schwester vor der nationalsozialistischen Besetzung nach Italien, 1941 wurde sie interniert. Nach ihrer Freilassung 1944 lebte sie in Neapel und später in Potenza. Weitere Lebensdaten sind nicht bekannt.

„Ich meine nicht die Braungebrannten
Wegwärts im grünen Wagen.
Ich meine jene stets Verbannten,
Die ihre Sehnsucht durch die Länder tragen.

Die Liebe suchen und die vor ihr fliehen
Und immer irgendwo ihr Glück versäumen.
Ich meine die, – die alle Welt durchziehen
Und in der Ferne von der Heimat träumen."

Das Bild ist von Arthur Segal (1875  -  1944)


Donnerstag, 16. Februar 2023

Jura Soyfer: Schlaflied für ein Ungeborenes

 


Schlaflied für ein Ungeborenes

»Halt die Ehe hoch in Ehren,
Wenn's nicht anders geht, im Prater!
Denn mein Volk soll sich vermehren
Wie der Weizen in den Meeren!«
Sprach der Staat zu deinem Vater.
Schlaf, Kindlein, schlaf.
Dich schützt der Paragraph.
Dich treibt die Mutter schon nicht ab,
Dich braucht der Staat fürs Massengrab
Im Wasgenwald, am Piave.
Schlaf, Kindlein, schlafe.

»Die Maschine, die Kanone
Brauchen Futter, brauchen Futter.
Bei dem Menschen geht's auch ohne,
Denn er ist der Schöpfung Krone.«
Sprach der Staat zu deiner Mutter.
Schlaf, Kindlein, schlaf.
Dich schützt der Paragraph.
Einst bringt der Staat viel Disziplin
Dir bei. Und wenig Vitamin,
Damit du still und brav ...
Schlaf, Kindlein, schlaf.

»Ist kein Platz für dich im Leben,
So doch im Geburtsmatrikel.
Paßt's dir nicht, trag doch ergeben
Dieses Leben. Es ist eben
Nur ein Konfektionsartikel!«
Singt der Paragraph.
Schlaf, Kindlein, schlaf.

Jura Soyfer wurde am 8. Dezember 1912 in Charkow, Ukraine geboren und starb am 16. Februar 1939 im KZ Buchenwald an Typhus. Er ist einer der bedeutendsten politischen Schriftstellern Österreichs in den 1930er Jahren.

„Es holt der Franz das Fräuln Marie
Zu einer Überlandpartie.
Doch sie steht verweint in der Küchel.
»Herr Franz, ham's schon ghört?
's is aus mit der Erd!«
So schluchzt sie ins patschnasse Tüchel.
Der Franz aber lacht:
»Was mir das schon macht?
Ich weiß mir dazu ein Sprüchel!
Ob ich auch das kleine Cafe
In Hernais nimmer seh –
Sag ich trotzdem ganz lustig ade!«

Gehn ma halt ein bisserl unter,
Mit Tsching-tsching in Viererreihn
Immer lustig, fesch und munter,
Gar so arg kann's ja net sein.
Erstens kann uns eh nix gschehen,
Zweitens ist das Untergehen
's einzige, was der kleine Mann
Heutzutag sich leisten kann.“

Diese Zeilen aus seinem Stück "Derf Weltuntergang" habe ich in meinem Lied Jetzt kommen wieder die goldenen Zwanziger verarbeitet:

           

Mittwoch, 15. Februar 2023

Johannes Theodor Baargeld: Der Vogelobre Hornebomm

 


Der Vogelobre Hornebomm

(vulgo dadamax er ist ein Mitglied der Z/w 3)

Strüh us strüh us dien Jungfernkorn
Der Vogelobre kommt der Hornebomm
Die hörnen Fähnchen uf dien Ei
Dien Sträusschen frei die Fähnchen frei
Der Utterschneck die Scherenbraut
Die stossen ihm die Kufen auf
Die nackten Inseln schlagen an
Die nackten Sträusschen schlagen an
Der Vogelobre Hornebomm das grosshell Fisch das Oberschiff
Nickt die Korallenwürmer auf
Nickt die Otterhöschen auf
Den Wasserhamster nickt er auf den hintendrauf
Kommen schon die 17 Bunteglas
Und Busenzottel die der an sich trägt
Der Zeterfisch der Fischkalb Halbesohn
Zwischen ein und halbe Sohn
Halber Zeter halber Sohn
Was scherts den Obre Hornebomm
Den Leckenmaul im Oberhorn
Ihm staht sein Rogeneuter ob dem Horn
Das staht ihm g’freit
Der Hornsturm drin der Hornsturm drin
Darinnen ist die Paarungszeit
Die tiefe Turm die tiefe Zeit
Die Horne Sträusschen und die Ei
Und immer wied die Paarungszeit
Das Schiffchen auf dem Türmegrund
Das Schiffchen auf dem Sträusschengrund
Die hornen Fähnchen hochgeweiht
Und allerob das Hochgeweih
Des hohe Vogel Hornebomm
Das Obergroßschiff Hornebomm

Johannes Theodor Baargeld 1920, der Künstlername von Alfred Ferdinand Gruenwald, Grafiker, Maler, Dadaist, Dichter und leidenschaftlicher Bergsteiger, geboren am 9. 10. 1892 in Stettin; verunglückte tödlich am 18. 8. 1927 am Mont Blanc.

Das Bild: Johannes Theodor Baargeld - Typische Vertikalklitterung als Darstellung des Dada Baargeld, 1920

Dienstag, 14. Februar 2023

Paul Zech: Morgenweihe

 


Morgenweihe

Das blaue Zwielicht will in Gold zergehn.
Ich höre schon die eichnen Türen schlagen
und frischen Wind vor meinem Fenster wehn.

Nun möchte ich durch das verklärte Land
Sturm laufen und Dir den Frühgruß sagen,
doch eine fromme Scheu hält mich gebannt.

Vielleicht erschreckt mein aufgeregtes Blut
Dein Herz, das von Empfindsamkeit getragen,
noch in den schönsten Purpurträumen ruht.

Will nur wie eine Glocke sein, die sich
durch die gedämpfte Morgenweihe tastet
und leise, leise klingeln: "Liebst Du mich …?"

Indes das Leben fern vorüberhastet.

Paul Zech (1881 - 1946), deutscher Schriftsteller und Übersetzer, aus: Die eiserne Brücke. Neue Gedichte von Paul Zech, 1914

Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

Sonntag, 12. Februar 2023

Georg Trakl: Vor Sonnenaufgang

 


Vor Sonnenaufgang

Im Dunkel rufen viele Vogelstimmen,
Die Bäume rauschen und die Quellen laut,
In Wolken tönt ein rosenfarbenes Glimmen
Wie frühe Liebesnacht. Die Nacht verblaut –

Die Dämmerung glättet sanft, mit scheuen Händen
Der Liebe Lager, fiebernass aufgewühlt,
Und lässt den Rausch erschlaffter Küsse enden
In Träumen, lächelnd und halb wach gefühlt.

Georg Trakl (3. 2. 1887 - 3. 11. 1914)

Bild: Piet Mondrian (1872 - 1944) 

Samstag, 11. Februar 2023

Paul Zech: Die Kugel kam geflogen. . .

 


Die Kugel kam geflogen. . .
Da sprang ein Strom heraus so rot.
Die Nacht stieg aus den Wogen
und hob uns in das schwarze Boot.

Die hohlen Ufer klangen
im Wind wie eine Herbstallee.
Gottalte Himmel sprangen,
Äonen riefen: Erde, steh!

Nun stehn wir Hergereisten
erwacht aus zauberischem Traum
und heben die verwaisten
Gesichter auf in soviel Raum.

Und finden uns nicht wieder,
wir sehn nur lauter Licht.
Wir horchen tiefer nieder
und fühlen uns noch immer nicht.

O ihr noch rot in Schlachten
von Rauch und Eisen überballt,
o ihr in nachtdurchwachten
Witwengemächern kalt und alt;

o alle ihr in uns Gelebten,
Urbruder und Urfeind -:
da wir von euch entschwebten
durchstoßen und beweint

und schon verschattet fuhren,
war noch ein Hauch von Mensch und Tier. . .
Jetzt sind die bunten Spuren
gelöscht. Jetzt sind wir nicht mehr wir.

Um uns ist keine Ferne,
von uns geht keine Wiederkehr.
Wir sind nur Mond und Sterne,
wir sind nichts anderes mehr.

Paul Zech - Stimme des Sohnes (wie Gesang durch den Raum, aus: Der Flug in die Sterne, Fragment einer Szene, in Die Weißen Blätter, März 1915
Paul Zech, geboren am 19. Februar 1881 in Briesen (Westpreußen), gestorben am 7. September 1946 in Buenos Aires, bevor er aus dem Exil nach Deutschland zurück kehren konnte. Ab 1904 veröffentlichte er Gedichte in lokalen Zeitschriften, 1909 trat er in Briefkontakt mit Else Lasker-Schüler. Durch sie wurden ihm Publikationsmöglichkeiten in der von Else Lasker-Schülers Ehemann Herwarth Walden herausgegebener Zeitschrift Der Sturm eröffnet. 1912 konnte er Gedichte in der ersten lyrischen Anthologie „Der Kondor“, heraus gegeben von Kurt Hiller, unterbringen. Erfolgreich wurde er mit einem Band Nachdichtungen: „Die Balladen und lasterhaften Lieder des Herrn Francois Villon“. 1933 emigrierte er nach Argentinien, wo er am 7. September 1946 in Buenos Aires verstarb.
Das Bild ist von Hans Baluschek (1870 - 1935), aus dem Album "Krieg" (1914 - 1916)

Freitag, 10. Februar 2023

Else Lasker-Schüler: Es rauscht durch unseren Schlaf. . .

 



Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide,
Wie pochendes Erblühen
Über uns beide.

Und ich werde heimwärts
Von deinen Armen getragen,
durch verzauberte Märchen,
durch verschüttete Sagen.

Und mein Dornenlächeln spielt
Mit deinen urtiefen Zügen,
Und es kommen die Erden
Sich an uns zu schmiegen.

Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide -
Der weltalte Traum
Segnet uns beide.

Else Lasker Schüler (geboren am 11. 2. 1869, gestorben am 22. 1. 1945), aus: Der siebente Tag, Gedichte von Else Lasker-Schüler, Verlag des Vereins für Kunst, Berlin 1905. Das Foto zeigt die Dichterin im Jahre 1907.

Donnerstag, 9. Februar 2023

Iwan Goll: Schneemorgen

 


Schneemorgen

Der Schnee, der zu Morgen die Stadt befiel, war
      wie eine schauernde Erinnerung der vergang-
      nen Nacht:
Goldene Sternpailletten, bunte Karnevalsbänder,
      rote Liebesblumen: erblaßt war all die Pracht.
Aber die Stadt lag da wie ein geschliffener Dia-
      mant; das siebenfarbige Licht brach sich von
      allen Flächen los.
Die Plätze schüttelten die schattengrünen Domi-
      nos.
Die Straßen, orangehell unter den triefenden La-
      ternen, krümmten sich wie trockene Schalen.
Steinrunzlige Kirchen funkelten im Purpur der
      Morgenstrahlen.
Blaue Vergißmeinnicht blühten in erwachenden
      Fenstern auf.
Die Reiterstaue trug Schneesilber auf Pallasch
      Mantel und Knauf.

Die ersten Menschen, die das sahen, glaubten in
      ein gläsernes Paradies zu treten.
Schnee schluchzte in die Stadt wie ein stummes
      Seufzen, ein inneres Beten.
Es stäubte inniges, sinniges Leid
Über die harte Wesenheit.
Wie schmerzliches Lächeln, wie eine geschminkte
      Pierrotmaske lag der Schnee,
Wie ein trostlos trauriges Weh,
Ein müder Schnee,
Ein gütiger Schnee,
Ein grüblerisches Sinnen und Spinnen:
Gedanken über ein Totenlinnen.

Iwan (Yvan) Goll (1891 - 1950), aus: Die Aktion, Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst 1917. Als Pazifist vor dem Wehrdienst fliehend, emigrierte er zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 in die Schweiz, wo er in Zürich, Lausanne und Ascona lebte.

Das Bild „Winter“ ist von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875 - 1911)

Louise Brachmann: Augensprache

 

Augensprache

Schweige, Mund und redet Augen!
Andre Sendung will ich nicht.
Nur so zarte Boten taugen,
Wo ein zart Geheimniß spricht.

Durch der Wimpern Schattenschleier
Dringen Blitze, bang, doch kühn,
Süßes, wunderbares Feuer,
Spiegelnd in der Wangen Glühn.

Ja, mit Wundermacht entzünden
Licht sie im verwandten Sein,
Wissen schnell die Bahn zu finden
Tief ins Herzens Herz hinein.

Und die lieblichen Gesandten
Führen mächt 'ge Sprache dort,
Und so schlingt mit Wechselbanden
Sich der Blicke Botschaft fort.

Unentweiht von äußern Zeugen,
Nur im heilig stillen Raum,
Lang ' noch weil ' in zartem Schweigen,
Lichter, seel 'ger Himmelstraum....

Louise Brachmann (* 9. Februar 1777 in Rochlitz; † 17. September 1822 in Halle/Saale), aus: Auserlesene Dichtungen von Louise Brachmann, herausgegeben und mit einer Biographie und Charakteristik der Dichterin begleitet vom Professor Schütz zu Halle
Erster Band neue wohlfeile Ausgabe Leipzig 1834

Karoline Louise Brachmann wurde als Tochter des Kreissekretärs Christian Paul Brachmann und dessen Frau Friederike Louise geb. Vollhard in Rochlitz geboren. Bedingt durch die Versetzungen des Vaters lebte Brachmann neben Rochlitz auch in Döbeln, Kölleda und ab 1787 in Weißenfels. Die Mutter, eine gebildete Pfarrerstochter, unterrichtete ihre Kinder selbst.
In Weißenfels lernte Brachmann die Geschwister Sidonie und Friedrich von Hardenberg (Novalis) kennen. Novalis vermittelte die Publikation einiger Gedichte Brachmanns in Schillers Horen und seinem Musenalmanach für 1798 und 1799. Für einen kleinen Gedichtband von ihr fungierte Schiller ebenfalls als Herausgeber.
Dreiundzwanzigjährig unternahm sie wegen einer Ehrverletzung einen Suizidversuch. Nachdem in den darauffolgenden Jahren ihre Eltern, ihre Schwester und ihre Kindheitsfreunde, die beiden Hardenbergs, gestorben waren, versuchte sie, sich durch Schriftstellerei ein Auskommen zu schaffen und war zur Vielschreiberei gezwungen. Dabei machte sie besonders häufig ein stilisiertes Mittelalter mit entsprechend stereotypen Ritterfiguren, wie sie in dieser Zeit beliebt waren, zum Thema. Unterstützung fand sie bei ihrer Tätigkeit durch Friedrich Schiller, Sophie Mereau und Clemens Brentano sowie Friedrich de la Motte Fouqué. Ihre ungesicherte Existenz, literarische Misserfolge und fehlende künstlerische Anerkennung führten immer wieder zu depressiven Anfällen. Adolf Müllner charakterisierte sie als „deutsche Sappho“. Nach einer unglücklichen Liebesbeziehung ertränkte sich die 45-Jährige in der Saale. (Wiki)

Dienstag, 7. Februar 2023

Paul Paquita: Elegie

 

Elegie

(Vom westlichen Kriegsschauplatz)

Bis wir dort sind, ruhn ermüdet
Wohl die Bäume Hauf zu Hauf -
Liebeatmende, ach lüdet
Ihr uns ein, nun nachthinauf!

Ob uns wohl ein Stern begegnet
Und der Mond, der sanfterwärmt
Liebesspuren übersegnet,
Auf den hellen Hügeln schwärmt?

Hohe Heimat, über alles,
Die zu schaun wir nie geübt,
Weil die Well´n des Wasserfalles
Uns den trunknen Blick getrübt,

Bis die Woge, feurig scheiternd,
Nun ein schaumig Wimpel schwenkt
Und ein goldner Zirkel weiternd
Hold sich auf und blau erheiternd
Sich die liebe Nacht uns schenkt.

Paul Paquita, aus: Die weißen Blätter, Nr. 9, September 1915

Paul Paquita, Pseudonym von August Ewald, geboren 1887, sind weitere biografische Einzelheiten unbekannt, er schrieb 1913–1919 in expressionistischen und anderen Zeitschriften (Inselschiff, Horen).

Montag, 6. Februar 2023

Dagmar Herrmann: wir treffen uns. . .

 


wir treffen uns im hinterzimmer
um erinnerungen auszutauschen
die gedanken und ich zwängen sich
durch die schmalen ritzen einer tür
die ich geschlossen halten wollte

von der scheune, die wir verbrannten
im heu lagerten alte verblichene
abziehbilder unserer früh verloren
gegangenen illusionen, abgepackt,
in braunen unscheinbaren
pappkartons, der welt verborgen
es waren viele bilder, denen ich
versuchte, auszuweichen, du
hatestt sie verstreut in alle winde
wer hätte sie zusammenhalten wollen
keines gab es, das in einem rahmen
besser zur geltung gekommen wäre

eines das zu jenen gehört, die
über eine prägung verfügen, die
sich nicht ausradieren lässt
das unbewohnte gesindehaus
gewährte unterschlupf und
nur winzige bruckstücke waren
aufbewahrt: auf dem dachboden
standen ein paar alte möbel
die keiner mehr brauchen konnte
die dielen knarrten, von den schrägen
dachziegeln tropfte verdampfte
feuchtigkeit, wenn der putz bröckelte

dazwischen gab es in sparsamen
dosen den für dich sorgenden blick,
den starken arm, vorübergehende
geborgenheit, die schelte, die von
dauer, das schweigen zwischen uns
zu erklären fällt nicht schwer
wir hatten eine abmachung
ohne unterschrift und siegel
die für beide seiten von vorteil
gewesen wäre, doch du weigerst
dich, die verschwiegenheit
zu wahren, immer aufs neue
triffst du vorkehrungen, mir
zu begegnen

worte, klänge,
huschende bilder
entzünden den mutwillen
der gedankengänge, sie
machen sich auf den weg,
mich zu beunruhigen
die hand erzittert
und malt tintenherzflecken
auf das schreibpapier
der salzige geschmack
des faden rinnsals einer
träne aus dem augenwinkel
liegt auf der zunge
und schmeckt
nach vergangenheit

Dagmar Herrmann (2014), Dichterin und Malerin aus Bremen, das Bild „Energie – Des frühen Kindes späte Macht“, Acryl auf Leinwand ist von ihr, mit freundlicher Genehmigung.