Sonntag, 28. Juli 2024

Aus dem Antiquariat: Ninon und Hermann Hesse - Leben als Dialog

 



Wenn ich einmal in eine Stadt komme, besuche ich gerne Antiquariate. Diese, die so ein bisschen anmuten wie das aus den Wilsberg-Krimis. Und ich suche zielgerichtet die Lyrikecke auf. (Es ist fast immer eine Ecke - oder an an einer Abseite, um der Lyrik ihren Platz zu zuweisen). Ich mag das Stöbern, die Möglichkeit, mir Unbekanntes zu entdecken. Diesesmal stelle ich ein Fundstück vor, das sich mit einem der Lieblingsdichter meiner Jugend befasst ("Der Steppenwolf" und "Siddharta" lasen damals so ziemlich alle in meinem engeren Bekanntenkreis). Doch kommt hier nicht nur der Dichter zu Wort, sondern vor allem Ninon Hesse, seine Lebensgefährtin für lange Zeit. Und ich bin erstaunt, was es da zu erfahren gibt. Und: Schade, dass sie nicht als eigenständige Dichterin gesehen wurde. "Verrate nichts vom Inhalt, den du birgst"


An eine gläserne Kugel

Glaskugel du - sei meine Welt,
umgib gleich einer Muschel, Schale mich,
schließ mich in dir ein!
Laß allen Glanz der Welt in dir sich spiegeln,
verrate nichts vom Inhalt, den du birgst.
Laß jeden Strahl der Sonne sich an deinen Wänden
brechen,
doch selber bleibe kühl und klar!
Vom Leid der Welt betaut sei deine kühle Hülle,
doch niemals dringe eine Träne in dich ein.
Sei Spiegel du! Ich fürchte diese Welt.
Vor Lust und Leid geborgen will ich in dir schlafen.

Ninon Ausländer (Hesse) (1895 – 1966)

„Obwohl Ninon Ausländer zeit ihres Lebens geschrieben und auch einiges, zum Teil unter Pseudonym, veröffentlicht hat, verstand sie sich nie als Schriftstellerin. Schreiben und Leben standen für sie in einem ungeklärten Verhältnis. Manchmal erschien ihr das Schreiben als die einzige und verlockendste Möglichkeit, die vielen Leben, nach denen sie Sehnsucht hatte, auszuprobieren, dann wieder schreckte sie bereits in Gedanken vor der Fülle der Wünsche zurück und sehnte sich nach einer »gläsernen Kugel«, die sie vor dem Selbstverströmen bewahren sollte.“

Aus: Ninon und Hermann Hesse - Leben als Dialog, von Gisela Kleine, ein Buch, das 1982 (2. Auflage 1984) im Thorbecke Verlag, Sigmaringen erschien.

Aus dem Klappentext: War Hermann Hesse wirklich der Einsiedler von Montagnola? Diese Doppelbiographie über ihn und Ninon Ausländer (1895-1966), mit der er mehr als 35 Jahre zusammenlebte, zielt auf eine Korrektur und Vervollständigung des bisherigen Hesse-Bildes vom Einspänner und Eremiten. Unter dem Aspekt "Leben als Dialog" vermittelt sie eine neue Perspektive auf Hermann Hesse und sein Werk.

Schon 1910 hatte Ninon als Schülerin mit Hesse Briefe gewechselt; im Sommer 1922 kam es zu einer ersten Begegnung, als sie, inzwischen mit dem namhaften Karikaturistcn B.F. Dolbin verheiratet, Hesse im Tessin besuchte. In der krisenhaften Zeit des "Steppenwolfesc" wurde sie ihm so unentbehrlich, daß Hesse 1931, wenn auch zunächst widerstrebend, mit ihr seine dritte Ehe einging, die erst mit seinem Tode 1962 endete.

Wer war diese eigenwillige Frau, und wodurch ermöglichte sie Bestand und Dauer dieser spannungsreichen Beziehung, die Hesse von der Zerrissenheit der Krisis-Jahre bis zur Ausgewogenheit seines Spätwerks führte? Gisela Kleine ist dieser Frage nachgegangen und hat in philologisch sorgfältigem Quellenstudium erstmals den Nachlaß Ninon Hesses gesammelt und gesichtet und daraus eine fesselnde Ehebiographie gestaltet. Dabei ist es ihr gelungen, den jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund überzeugend sichtbar zu machen.

Ninons Weg führte von Czernowitz über das völkervermischende Wien des Ersten Weltkriegs, über Paris und Berlin in Hesses Tessiner Dorf. Von Anfang an spürte sie den Widerspruch zwischen Hesses Selbstdarstellung als Außenseiter und seinem Bedürfnis nach Zugehörigkcit. Zum Schutz seiner dichterischen Arbeit war sie bereit zu Selbstrücknahme und Verzicht. Doch immer vibrierte in ihr die Unrast einer begabten Frau. Sie fürchtete ein Leben aus zweiter Hand und nutzte ihre Ausbildung und Begabung zu Arbeiten über Motivforschung und griechische Mythologie sowie zu Märcheneditionen. Durch die Sammlung von Hesses Briefwerk, die Auswahl und Veröffentlichung seiner nachgelassenen Prosa und ihre Edition
"Kindheit und Jugend vor Neunzehnhundert - Briefe und Lebenszeugnisse Hermann Hesses von 1877 bis 1895" setzte sie neue Maßstäbe für die Hesse Rezeption.

In der vorliegenden Publikation weist Gisela Kleine die lebens- und werkgeschichtliche Verflechtung bei Hermann Hesse ebenso überzeugend nach, wie seine Veränderung durch die dialogische Gemeinschaft mit Ninon.

Sonntag, 14. Juli 2024

Egon Schiele: Eine Jugendliebe

 


Margarete Partonek war die erste große Liebe des 16-jährigen Egon Schiele. Seine Briefe an sie geben nicht nur seine Zuneigung für sie preis, sondern fördern auch die ersten lyrischen Gehversuche des Künstlers zutage. In diesem Jahr (1906) wurde der 16-Jährige in die Wiener Akademie der bildenden Künste  aufgenommen. Wie lange genau diese Jugendliebe gewährte, ist nicht bekannt. 



An mein Ideal

I.

Der Kunst, der reich ich meine Rechte
Der Malerei streck ich sie hin,
Wenn’s nur was zweites geben möchte,
In Klosterneuburg oder Wien.

II.

Das nächste oder drauf das Jahr
Werd’ ich müssen weg von hier,
Mit der Hand und lockigen Haar,
Das ist der Künstler beste Zier.

III.


Und das zweite, – – ist mein Gretchen,
Dir reiche ich meine beiden Händ’,
Du bist das allerliebste Mädchen,
Mein Lieb, dass ich nur jemals fänd.

IV.

Du ros’ge reizende Natur,
Du herzzerreißende Figur,
Dir lacht der Frühling lieb entgegen
Mit wonn’gen Tagen, still verlegen.

V.

Nur luna [!] soll es einstens seh’n,
Der kann dann ruhig vorrübergeh’n;
Doch höre jetzt und schreib an mich
In kurzer Zeil’ – ich liebe dich.

E. [Egon] Schiele

30.III.06.



Woher haben Sie denn das erfahren?
Das ist mir jetzt noch nicht im Klaren;
Wohl kenn ich manches Mägdlein hier
Doch dafür [durchgestrichen] darum, kann ich nicht’s dafür.

Das machte einst der Jugend Freude
Und dieses tat mir viel zu Leide,
Dies Fräulein ist von blondem Haar,
Es hat ein braunes Augenpaar.

Doch längst vergessen ist die Zeit
Mit vielen Neid und Streitigkeit;
Jetzt dank’ ich Gott, den edlen Hort
Für dies Erlös, mein Ehrenwort.

Viel länger könnt’ ich dahin schreiben; –
Nur bitt’ ich dieses nicht zu zeigen,
Sie werden wohl das Fräulein kennen,
Die auf der Karte schrieb

„L. B.“ [?]

SCHIELE.

31.III.1906.



Mein Lieb

Und sollt’ ich Dich jetzt noch nicht lieben,
So sieh Dir meine Augen an,
In dessen Innern steht’s geschrieben,
Daß das nicht ist, ein kurzer Wahn.

Und solltest Du mir’s noch nicht glauben,
Daß ich zu lieben Dich begann,
So sieh Dir meine Lippen an – –;
Die werden manchen Kuß Dir rauben.

Und wolltest ihn vielleicht nicht haben,
Gestohlen sollt er doch nicht sein;
Nur Liebende, die gern’ sich haben,
Die küssen sich so ganz allein.

Und kann ich dich jetzt nicht erlangen,
So schick’ ich Dir viel herzlich Grüß;
Und schick Dir auch, auf Lipp und Wangen,
Viel tausend zuckersüße Küß.

Wenn diese Schrift, mit roter Tint'
Erhalten hast, am heut’gen Tag
So denk’, daß zweie es nur sind,
Denen ich einmal was G’schriebnes gab.

S. [Schiele] Egon.




Der erste Kuß der Liebe!

Traumgebilde, Fantasien
Schweben vor des Jünglings Blicken,
Und der Lieb’ Magnete ziehn
Hin zu ihr, ihn zu entzücken.

Und er sieht sie vor sich stehen,
Und es faßt ihn mit Gewalt
Und reißt ihn gleich, Sturmeswehen
Blitzesschnell hin zu ihr bald.

Und die braunen Haare hängen
Sanft, geschmeidig, dicht herab
Über ihren roten Wangen,
Denen Lieb’ das Glühen gab.

Und nur Freundlichkeit nicht Tücke
Spielen um den schönen Mond
Und ihr geben, seine Blicke
Was die Zarte fühlet kund.

Es erfaßt ihn mit Entzücken
Und im seel’gen Hochgenuß
Drückt er auf die ros’gen Lippen,
Seiner Liebe – ersten Kuß.

Margarete Partonek an Egon Schiele



Liebstes Fräulein. . . 

Mein neues „Drüben“ verdirbt mir meine ganze Aussicht. Früher konnte ich Sie
wenigstens hinter einem grünen Versteck sehen, doch jetzt ist dieses Dach am Fenster zu kurz.

Warum schreiben Sie nichts mehr so wie vor einigen Wochen? Wenn solcherlei Sachen bis jetzt noch niemand außer den Nächsten in unserer Umgebung weiß, glaube ich wird es niemand, am wenigsten bei Ihnen in der Schule erfahren; vorausgesetzt daß Sie selbst nichts weiter Ihren Freundinnen & Kolleginnen sagen oder vorlesen. Sie haben mir erst drei Schreiben durch Ihren Bruder geschickt, die bei mir gut aufgehoben sind, während ich Ihnen deren schon mehrere
zukommen lassen haben [!].

Würden Sie vielleicht wirklich nicht schreiben können, aus Gründen die Sie mir
nicht sagen wollen, so gibt es noch ein Zweites, bei dem ich an Ihrer Stelle keine Ausrede finden würde. Sie gehen abends oft auf der Gasse mit Fräulein Hermine, könnten Sie nicht zumindest den Weg in eine andere Gasse einschlagen? Es kommt nur an Ihren Willen an den Sie leicht bezwingen können; dann möchten Sie Ihre Worte erfüllen, die Sie mir so deutlich schrieben. Wie oft gehen Sie in die Obere Stadt, wie z.B. am Montag, da könnten Sie doch diesen vorhergenannten Weg beim hin oder Retourgehen benützen.

Wenn ich auch jetzt vielleicht Unangenehmes schrieb, so bitte ich um Verzeihung, denn aus vielen werden Sie sehen, daß ich so schreibe wie ich denke. Würden Sie mir Verzeihung nicht gewähren, so bitte ich dieses zurückzusenden.
Hoffentlich aber werden Sie von meinen Ratschlüssen auswählen, so daß nicht der schönste Monat ohne Ausnützung verfließt.

Sie sind jeden Sonntag fort am 22. waren Sie in Hadersfeld, wo waren Sie am letzten Sonntag? Umsonst werden Sie nicht Ausflügemachen. Es grüßt Sie herzlichst 

Ihr ES [Egon Schiele]

Egon Schiele, geboren am 12. Juni 1890 in Tulln an der Donau, Österreich-Ungarn; gestorben am 31. Oktober 1918 in Wien, Maler des Expressionismus. Neben Gustav Klimt und Oskar Kokoschka zählt er zu den bedeutendsten bildenden Künstlern der Wiener Moderne.



 Gemälde Egon Schieles von 1906



Ein Mädchenbildnis Egon Schieles aus dem Jahr 1906, wohl nicht Margarete Partonek