Mittwoch, 25. Januar 2017

Christian Morgenstern: Palmström wird Staatsbürger (und andere aus dem Nachlass)


Palmström wird Staatsbürger

I

Palmström weigert sich (ganz selbstverständlich),
irgendwelchen Heeresdienst zu tun.
Doch die Mehrzahl schilt dies feig und schändlich.

Denn man ist noch rings um ihn katholisch
oder protestantisch usw.
und da gilt es diabolisch,

einen Christenmenschen nicht zu morden,
heischen dies Gott, König, Vaterland.
Palmström ist hierauf verhaftet worden.

II

Im Gefängnis sitzt der Brave,
doch er sagt sich: ins Gefängnis
sollte jeder, der kein Sklave.

Alle wahrhaft freien Seelen
sollten diese ihrer einzig
werte Stätte nicht verfehlen.

Ohne Murren, ohne Zucken
Sollten sich der Freien Nacken
unter der Gewalt Joch ducken.

Bis das Volk der breiten Fährte
erst durch Staunen, dann durch Denken
gleichfalls sich zur Freiheit klärte.

III

Korf geht mitten durch die Wachen,
die ihn pflichtbeflissen greifen,
doch sie greifen in die Leere.

Und sie stoßen die Gewehre
hin und her durch ihn, doch heiter
wandert er zu Palmström weiter.

IV

Mit dem Wärter, der das Essen
bringt, betritt er die Kamurke,
drin sein Freund der Schurke Palmström,
haust.

Stotternd, stolpernd, stürzt der Wächter
fort und fabuliert von Geistern,
die er nicht zu meistern wisse. . .
Man

kommt in copore gelaufen. . .
Alle werfen sich auf Korfen - -
Doch umsonst geworfen! Korf ist –
    Geist. . .

V

Es ist unmöglich, Palmström zu behalten
(obwohl er selbst am liebsten bleiben möchte);
denn Korfs Erscheinung ist nicht auszuschalten.

In zwölf Gefängnissen ist Palm gewesen. . .
Doch haben überall so Direktoren
wie Untergebne den Verstand verloren.

So daß man ihn mit aufgehobnen Händen
zuletzt beschwört, sich heimwärts zu entschließen,
und ihm erlaubt, niemanden totzuschießen.

Ein Interview

Palmström wird gefragt, wie er sich zu der
Todesstrafe stelle.
Er erwidert: „Lieber Herr ud Bruder,

gibt´s denn da noch wirklich ein Sich-Stellen
innert eine Welt
menschlicher Geschwister und Gesellen?

Bester Herr, was wollen Sie dem Armen
mit Gewehr und Beil?
Ist der Mensch so bar noch an Erbarmen?

Oder lassen sie mich anders sprechen:
Ist man ohne Teil
an dem sei´s auch traurigstem Verbrechen?

Wer es ist, der trete vor und hebe
seine Hand zum Licht. . .
Oder aber unser Bruder - - lebe!“

Die Heldin

Muhme Kunkel geht voraus
wo´s ein Tier zu schützen gilt.
Tapfer hält sie ihren Schild
vor die kleinste Ackermaus.

Ihre Dienstmagd Lulu Hammer,
welche Fleisch frißt wie ein Wolf
sperrt sie, samt dem Kälblein Rolf
eines Tags in ihre Kammer.

Legt ein Beilchen ihr parat,
spricht: Wofern dir Fleisch tut not
schlag denn dieses Fleisch selbst tot  -
oder aber iß Salat.

Lulu, ganz in sich gewandelt
fühlt, wie grauslich ihre Gier,
bittet ab dem Bruder Tier.
Ja, noch mehr, sie hat gehandelt

wie sonst nur des Helden Weise:
Nämlich gab, fürwahr, sie tat es,
Rolf die Köpfe des Salates
und verblieb selbst ohne Speise.

Schließlich ruft sie nach der Muhme. . .
Diese läßt die Zwei heraus.
Lulu lebt seither im Haus
reinerer Moral zum Ruhme.

Christian Morgenstern, geboren am 6. 5. 1871 in München, gestorben am 31. 3. 1914 in Untermais, Tirol

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