Montag, 20. Februar 2017

Walter Lindenbaum: Abgesang




Abgesang

So fließt der Strom der Zeit und nimmt die Bäche auf,
Die Tage, Wochen, Jahre, die alle in das große Wasser münden,
Die alle irgendwo im All entspringen und spurlos in der Flut verschwinden.
Das ist der Dinge und der Menschen Lauf.

So kreisen Zeiger auf den Uhren, der Räder monotoner Sang
Gräbt sich in unsre Herzen und mahnt an die Vergänglichkeit.
Drum hasten wir und haben keine Zeit.
Was nützt uns das? Die Zeit hat Zeit und geht gemächlich ihren Gang.

So folgt die Ebbe auf die Flut und junger Wein quillt aus den Reben,
Der Mensch verfolgt der Schwalbe Flug, er sieht das Feld mit reifen Ähren,
Betrachtet rätselhaftes Sterben und Gebären,
Daran zu ändern ist ihm nicht gegeben. So ist das Leben. . .




Walter Lindenbaum, geboren am 11. Dezember 1907 in Wien, war ein österreichischer Journalist und Autor jüdischen Glaubens. Als Sozialdemokrat und als schreibender Widerständler gegen den Nationalsozialismus wurden er und seine Familie verhaftet und  1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Im September 1944 wurde er nach Auschwitz überstellt und kam von dort mit einem Evakuierungstransport in das KZ Buchenwald, wo er am 20. Februar 1945 umkam. Seine Frau Rahel und seine Tochter Ruth wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet.

Sein Gedicht „Das Lied von Theresienstadt“ endet so:

Du Stadt der Kinder und der Greise
Die einen unser Hoffnungskeim
Die anderen, sie entschlafen leise
und kehren zu den Vätern heim.

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