Montag, 6. März 2017

Heinrich Kämpchen: Am goldenen Sonntag / Waldpoesie




Am goldenen Sonntag


Herrlichkeiten sondergleichen,
Schmuck und Pelze, Seidenstoffe,
Seh’n wir wieder aufgestapelt
Ueberall im reichsten Maße. –

Leck’res auch zum Essen, Trinken,
Wildpret, Weine und Geflügel –
Was das Herz erfreut, begehret,
Lockt durch blanke Spiegelscheiben. –

Und der Arme, der die Straßen
Notgedrungen muß passieren,
Wird magnetisch angezogen
Von dem Prunk und von der Fülle. –

Dicht, ganz dicht vor seinen Augen
Liegt der Ueberfluß gebreitet –
Nur ein dünnes Glas ist Schranke
Zwischen ihm und all’ den Schätzen. –

Einmal essen, einmal trinken
Von dem Schönen, o wie gerne!
Einmal auch sich besser kleiden,
Aber Geld – er ist Prolete. –

Kaufen, kaufen! Wie zum Hohne
Tönt der Ruf ihm in die Ohren –
Kaufen soll der arme Teufel,
Und ganz leer sind seine Taschen. –

Hungern kann er nur und lungern
Vor den ausgestellten Waren –
Und er geht, mit einem Fluche
Auf die Satten, auf die Reichen. –




Heinrich Kämpchen, geboren am 23. Mai 1847 in Altendorf an der Ruhr; gestorben 6. März 1912 in Linden, das heute zu Bochum gehört,  war ein deutscher Bergmann und Arbeiterdichter.

Heinrich Kämpchen war Sohn eines Bergmannes und wurde ebenfalls Bergmann. Über sein Leben ist wenig bekannt. Lange Zeit hat er in seinem Beruf auf Zeche Hasenwinkel gearbeitet. Während des Streiks der Ruhrbergarbeiter 1889 wird er der Sprecher der Belegschaft seiner Zeche. Das, und dass er Gedichte wie „Am goldenen Sonntag“ oder das Werk über Streikbrecher „Lumpenparade“ schrieb, führte dann zu seiner Entlassung nach einer Betriebszugehörigkeit von 24 Jahren. Das Schreiben von Gedichten hat er sich autodidaktisch beigebracht.




Aus: Lumpenparade

Kameraden, seht euch die Lumpen an,
die da kommen des Wegs heran –
eskortiert von der Polizei –
Kameraden, herbei, herbei!

Da ganz vorne (ihr kennt ihn ja)
stelzt der „Lange“ von dingesda.
Ihm zur Seite, das „Huhn“ genannt,
trippelt der lahme Ferdinand.

Gleich dahinter, dicht an dicht,
„Wisper-Wilm“ und das „Affengesicht“.
Litten an Arbeitswut sonst nie –
jetzt auch mit den „braven“ schuften sie!

Ihnen folgen, im schönen Kranz,
„Pulver-Fritze“ und „Hagel-Franz“.
Taugten noch nimmer zu Kampf und Not,
letzten sich immer nach Lohn und Brot

[…]

Und so reihen sich, Mann für Mann,
alles „Defekte“ im Zug heran.
Keiner, der nicht schon von uns „geeicht“ –
Muckser und Ducker, soweit das Auge reicht.

Drum, Kameraden, gebt gut acht ...
dass ihr sie wiedererkennt im Schacht!


Doch auch solche Gedichte zu schreiben, war er befähigt:

 

Waldpoesie

 

Willst du wirklich gute Verse reimen,
Geh hinaus zu luft’gen Waldesräumen,
Wo mit Eichen Buchen sich vermählen.
Und wenn ihre schwanken Gipfel rauschen,
Werde nimmer müde dann zu lauschen,
Was dem jungen Dichter sie erzählen. –

Waldnacht ist die heil’ge Zauberbinde,
Die dem jungen Genius gelinde
Von der Stirn die letzten Schatten streifet. –
Waldnacht leiht der Dichterseele Flügel
Und verschiebt der Phantasie den Riegel,
Daß sie in Unendlichkeiten schweifet. –

Aus der Sammlung Reisebilder

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