Sonntag, 12. März 2023

Hedwig Dransfeld: Abend am Meer

 



Abend am Meer

I.

Nun neigt zum Meere sich die Sonnenbahn,
Ein schmerzlos‘ Sterben ist’s, ein rasch Verbluten
Der Abend treibt vorbei im Muschelkahn,
Und rote Rosen streut er in die Fluten.

Sie dehnen sich so still, so sternenweit,
Vom Scheidelicht des Himmels überfunkelt -
Nur in der Tiefe wie verschwieg’nes Leid
In grauer Finsternis die Klippe dunkelt.

Es blüht das Meer, es blüht der Wolkenflor,
Im Liebestaumel will das Licht sich galten...
Aus Gold und Purpur wächst der Fels empor,
Ein großer, stiller, lebensmüder Schatten.

Die Möwe schreit, die weiße Brandung grollt
Und zischt empor an seinen schroffen Flanken, -
Er liegt allein in Purpur und in Gold,
Ein Leichenstein auf jungen Rosenranken.

Den dunkeln Umriß seh’ ich - schroff und hart...
Ein stummes Weinen bebt um meine Lippe:
In Gold und Purpur liegt mein Herz erstarrt
Wie in der Tiefe dort die graue Klippe.

II.

Die weiße Brandung flammt im Abendschein
Und füllt die Luft mit ihren Orgelklängen...
Hier wohnt der Friede nicht - ins Land hinein
Muß ruhelos die blaue Woge drängen.

Wie sie zum Sprung den trotz’gen Nacken biegt
Und wächst und aufwärts rauscht mit Schaumesflittern
Ein junges Roß, dem weiß die Mähne fliegt
Und in verhalt’ner Luft die Flanken zittern.

Sein Wiehern tönt hinaus in Kampfesmut,
Ein volles, tiefes, wunderbares Rauschen...
O hüll’ mich ein, du purpurblaue Flut,
O laß mich ewig deinen Klängen lauschen.

Von Rosenfackeln flammt es um mich her,
Vergessen hab’ ich, was ich einst erlitten -
Mir ist, als käme durch das graue Meer
Das Glück rotgolden auf mich zugeschritten.

III.

Der Tag zerfließt in blauem Schattenduft,
Verwischt der Rosenfackel bräutlich Prangen;
In leisen Wonneschauern bebt die Luft,
Als hielten Meer und Himmel sich umfangen.

Ich möchte wie ein gold’ner Becher sein,
Auf kühlen Purpurwogen gleiten - trinken,
Noch einmal zitternd glüh’n im Abendschein
Und - vollgesogen - lautlos untersinken.

Hedwig Dransfeld, geboren am 24. Februar 1871 in Hacheney (heute Dortmund), gestorben am 13. März 1925 in Werl, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin.

Aus: Erwachen Gedichte von Hedwig Dransfeld, Verlag J. P. Bachem G. M. B. H. Köln 1925

Das Bild ist von Leon Spillaert (1881 - 1946)

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