Im Grünen
(Aus dem Jüdischen)
Von Blumen und Wundern war ich umgeben,
Wo Tierchen in Strahlennetzen zittern,
Wo die Luft vom Schwirren und Girren bebt -
Umzaubert war ich zu Boden gesunken.
Und warm; und alles schön und mild.
Erstickte Gefühle drängen ans Licht,
Wollen zu Sonne -
Und taumeln, die weichen, schwachen, stillen
Und strecken die Häupter,
Wie Schlangen aus Höhlen die Leiber zieh´n,
Höher und höher -
Und Gottes Sonne blickt mild auf uns
So mild.
Und warm. Und alles gut.
Wie strahlt jetzt Gottes Welt!
Im tiefen Gras, da hüpft es und tanzt.
Der Rasen ist von Blüten voll,
Die Gott mit eigener Hand gepflanzt,
Mit tausend Farben schmückte.
Das weitet sich und breitet sich
Ohn´ Anfang und ohn´ Ende.
Und wie ich einsam lieg´ im Gras,
Fühl ich in mir die ganze Welt.
Das wehet her
Vom freien Feld
Ein Hauch - -
S´ ist still. Und rasch - ein Pfeil! -
So schwebt ein Traum
Von Kindheitstagen -
Und ist schon tausend Meilen fern.
Das war ein Blitz, das war ein Glanz,
So heimatstraut und wundersam,
Es kam durch dumpfe Jahre her,
Versunken und verloren.
Das war ein Blitz! Das war ein Glanz!
Das strömt´ und sprang mir in den Blick -
Ein Tropfen Tau von jungem Glück.
Und schon versiegt? Das war - -
Das blickte so
Der grüne Wald auf mich.
Ch. N. Bialik, aus: Gedichte, aus dem hebräischen übertragen von Ernst Müller, Jüdischer Verlag GmbH, Köln und Leipzig 1911
Chaim Nachman Bialik (jiddisch חיים נחמן ביאַלי , hebräisch חַיִּים נַחְמָן בִּיאָלִי , vereinzelt auch: Chaim Nachum Bialik; geboren am 9. Januar 1873 im Dorf Radin, in der Nähe von Schytomyr, Russisches Kaiserreich; gestorben am 4. Juli 1934 in Wien, war ein russisch-österreichischer jüdischer Dichter, Autor und Journalist, der auf Hebräisch und Jiddisch schrieb. Er ist einer der einflussreichsten hebräischen Dichter und wird in Israel als Nationaldichter angesehen.
Zudem übersetzte Bialik Shakespeares Julius Caesar, Schillers Wilhelm Tell, Cervantes’ Don Quichotte, Gedichte von Heine sowie Der Dybbuk des jiddischen Dichters Salomon An-ski ins Hebräische. Dabei war er sich der Grenzen des Übersetzens sehr bewusst: "Eine Übersetzung zu lesen sei wie die Braut durch den Schleier hindurch zu küssen."
Ein weiteres Gedicht aus diesem Gedichtband hier: Licht
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