Benennung
Noch einmal seh´ und nenn´ ich
Erhabenes Antlitz der Bäuerinnen,
Heiligen Kinderknix in Kirchen,
Riesigen Blick des Priesters - -
Ah, ein Vogel hüpft - hüpft über die Straße.
O Menschenschritt! Noch einmal - - -
(Wie unbenannt die Welt noch
Unbenannt, ihr Freunde) - - -
Noch einmal seh´ und nenn´ ich,
Eh´ ich dahin ein Wind bin,
Ich Wolkenzug,
Ich ohne Bindung, Heimat, ich Halbtraum,
Ich Flüchtling aufgebrauchter Städte,
Geborgener ich aus uralter Feuersbrunst,
Schlaf, Wollust und den Namen Gottes rettend. -
Noch einmal weiß ich mich,
Freundin, in deinem Dahingehn,
Das Schicksal weiß ich, Nächte weiß ich,
Die mich in die Schleuder tun,
Daß ich mit euch bin, der ich bin,
Ich erlöschender Fluß,
Hinstickend schon durch die Höhlen,
Daß ich mit euch noch hier bin, ich Oednis,
Daß ich mit euch noch bin, umrollt von Lauf,
Befohlen von Gestirnen,
Kreis und heiliger Zahl,
Daß du Geliebte welkst an mir hinab . . .
So faß ich mich nochmals,
Nenne mich
Ich Heimat-, Höllen., Himmelloser,
Mein Haus aufbauend auf
Zufälligen und flüchtigen Gesängen.
Franz Werfel, aus: Daimon, Eine Monatsschrift, Herausgeber Jakob Moreno Levy, Redakteur E. A. Reinhardt; 2. Heft April 1918, Verlag Brüder Suschitzky, Wien
Franz Werfel, geboren am September 1890 in Prag, Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker, ging 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich ins Exil, zuerst nach Frankreich, dann in die USA. 1941 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er starb am 26. August 1945 in Beverly Hills, Kalifornien.
Das Bild „Le réfugié" ist von Felix Nussbaum (geboren am 11. Dezember 1904 in Osnabrück; gestorben nach dem 20. September 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen