Gebet
Aller Urgrund meiner Ruh’
Bist Du!
Du bist in mir, und weil Du in mir bist.
Bin ich, lebe ich, unsterblich Leben zu jeder Frist,
Und meine Seele jauchzt Dir zu.
Aller Urgrund meiner Unruh’
Bist Du!
Ich bin ein ewig Werden und Vergehen,
Ein rauschend Strömen, Niemals-stille-stehen,
Und meine Seele strömt Dir zu.
Aller Urgrund meines Sein
Ist Dein.
Du nimmst mein Herz in Deine Hände,
Wende und ende
Mein Leid und lass’ mich stille sein.
Dann aber werde ich von hinnen gehen,
Zum großen Tor der Ewigkeit gewandt,
Ich werde zögernd an der Pforte stehen,
Und nach dem Riegel, tastend, sucht die Hand.
Was ich gewesen, fällt von mir herab.
Was ich gewollt, getan, geträumt, gedacht,
Und was ich forderte und was ich gab,
1st die Sekunde einer kurzen Nacht.
Verschwunden ist das irdische Geschehen.
Ich bin ein Teil noch jener großen Macht,
Die mich ins Irdische hinein gesandt,
Um einst zu neuem Leben zu erstehen.
Nicht Ziel und Ende —
Anfang ist das Grab.
Aus: Wir - Gedichte von Frieda Mehler, Berthold Levy / Jüdischer Buchverlag, Berlin 1937
Frieda Mehler, Dichterin und Kinderbuchautorin, geboren am 20. Mai 1871 in Halberstadt. Am 28. Februar 1939 emigrierte sie in die Niederlande. Am 2. Juli 1943 wurde sie vom Lager Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo sie wahrscheinlich am 5. Juli 1943 ermordet wurde.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen