Donnerstag, 27. April 2017

Senna Hoy: Erich Mühsam


Erich Mühsam


von Senna Hoy

Es ist Einer, den wir lieben.

Wir, die wir noch nicht so übermenschliche Uebermenschen sind, daß wir Einen deswegen weniger schätzen, weil er ein gutmütiger Mensch ist und ein blödsinnig gutmütiger; die wir dem Dichter gestatten, auch Dichter zu sein, wo er auf Erden sich bewegt in verdammt prosaisch irdischen Problemen; die wir nicht mit dem strengen Richterblick Harmonie verlangen und Ausgeglichenheit und Abgeklärtsein kat exochen, das erhaben ist über den Mittagssturm der Empörung und Leidenschaft, wie über das Tauweinen der Sehnsucht und das Trauerwehen der Enttäuschung, - mit dem strengen Richterblick, der im Grunde und unter des Bewußtseins Schwelle das kluge Wort spricht: Richtet schnell, auf daß man Euch nicht richte ...

Daß du hart wärest, Erich Mühsam! daß Deine Kinderaugen einmal blitzen könnten, zornig zerschmetternd jene Bübchen, die Gold haben und morgen erzählen, sie hätten an deinem Tisch gesessen im Café des Westens oder du an dem ihrem, und du hättest schöne Witze erzählt und Schüttelreime, worüber sie sehr gelacht hätten, und es war sehr schön ... und jene Bübchen, die sich weltweit dünken, weil sie von Schönheit reden und sagen, daß sie den Jünglingskörper wahnsinnig gern sähen und verächtlich von den Weibern reden und schelten, wenn andre sie anschaun, namentlich "Weiber", und die so merkwürdig sicher urteilen über Menschen, Könner und Nichtkönner - meistens sind's Nichtkönner und fast immer Leute, wie sie schön sagen und uns schöne Worte verderben - und die kein Auge verwenden von denen, die gedruckt sind, und von Weibern, wenn sie glauben, man folge ihren Augen nicht; auch ihren innern...

Oder tun sie dir leid, Erich Mühsam, wie man so warmes Mitleid fühlt mit den kleinen Mädchen, denen man nichts gesagt hat, und um deren Augen heiße einsame wunschtolle Nachtstunden dunkle Schatten zeichnen?

Du bist Einer, den wir lieben.
Wie wir Peter Hille lieben, über den du so wundervoll geschrieben hast, Peter Hille, den wunderfeinen Menschen, dessen feinen Körper, dessen wunderfeine Seele man durch den Gehrock sah, den er statt der Toga trug, dem wir die feinen weißen Hände küssen konnten, - mit einer Liebe der Art lieben wir dich, Erich Mühsam.

Wären wir nicht stolz, würden wir sagen, es sei ein Stück heilige Ehrfurcht in dieser Liebe.

- Ich glaube: Du meinst immer noch, du seiest ein Zyniker. Und wenn Du den Radikalismus predigst, dann ist der Egoismus dein Fanal. - Ach Erich Mühsam, wer soll dir das glauben, der einmal in deine Augen gesehen hat, wenn du wußtest, daß einem geholfen werden müsse; der dich in deinem großen, stets halbdunklen Zimmer herumlaufen sah, dessen Wände Bilder tragen von Margarethe Beutler und Wilhelm Bölsche und manchen andern und Federzeichnungen und die heilige Maria, die deiner Wirtin gehört und deinen Schlaf beschirmt, - die Augen ratlos, die Hände tief in den Hosentaschen, den Kopf vorgestreckt und "Donnerwetter, was macht man da?!" murmelnd ...

Wer soll dir das glauben, der dich von deinem letzten Fünfgroschenstück sechs Sechser weggeben sah für Zigaretten, da irgendein lieber Kamerad gefragt , ob du welche habest, und Mittag hattest du noch nicht gegessen...Wer glauben, der deine Empörung gesehn, wenn du andre vergewaltigt sahst, der dich reden gehört in Versammlungen.

Und wer da weiß, daß man auf dich rechnen kann in jeder Stunde, und daß du dein Caféhaus opferst, wenn es nicht gerade dich angeht, was dazu veranlassen könnte, und wie du alles für andre hast: Zeit und Geld, erarbeitetes und erpumptes, Kraft, Worte, Hände...
Leider auch Gedichte.

Bei Eiselt sind sie erschienen in Gr.-Lichterfelde-Berlin, Büttenpapier, Buchschmuck von Kaspar Hauser, und kosten M. 2,40. "Wüste" heißen sie.

Deine Gedichte sind gut, Erich Mühsam. Nicht gar sehr oft sind bessre erschienen. Und öfter nicht gute, wie diese. Ich habe sie mit dem tiefen Atmen gelesen, das uns die Brust hebt, wenn der Flügelschlag des Genies den Alltagstag gestreift. Und mir tut es leid, Erich Mühsam, daß du deine Wüstengedichte in die Welt gesendet hast; hinausgestreut. Nicht, weil sie so wunderfein klangen aus dem individuellen tönenden Manuskriptpapier, darauf dein Herz sie geschrieben, auch nicht, weil schlechte darunter, die nicht du sind, sondern Heine sein sollen und andre, - sondern weil "Man" sie lesen wird, wenn man gerade eine halbe Stunde Zeit hat und auf der Couchette liegt oder auf der Hochbahn fährt, und weil man von ihnen sagen wird: sie seien süß oder frech oder goldig oder entzückend oder weil man hinzufügen wird: "Donnerwetter, das hätt' ich diesem Mühsam nicht zugetraut!" O Gott, dieses "Man" und dieses "zutraun"! Zum Teufel mit beiden und mit allen, die Dir was zutraun und nicht zutraun! Als seiest du eine Maschine, die man mit veritablen Pferdekräften mißt, und als hättest du sie für sie geschrieben. Aber sie haben sie ja gekauft bei Lazarus oder bei Lilienthal für M. 2,40.

Aber von uns laß dir danken. Wir wissen, daß du ein Guter bist, und ich weiß, daß du ein Könner bist, den ich so gern bei Dalbelli neben Peter Hille sah, dieser menschgewordene [!] Aesthetik, dieser körperlichen Harmonie. Und du bist das menschgewordene Leben mit seinen Tiefen und Untiefen, mit seinen öden zerstörenden Wüsten und seinen goldenen Sommertagen, seinem tosenden Frühlingsföhn und seinen sehnenden, aufpeitschenden Winternächten. Und seinen Caféhausnächten.
Ach ja, Erich Mühsam, seinen Caféhausnächten! -

Und wenn sie sagen, ich hätte Blödsinn über dich geschrieben, das sei gar nichts, dann sehn wir uns an, und du drückst mir wieder die Hand, wie nur wenige mir sie gedrückt haben. Dein Auge blickt mich an mit dem merkwürdigen augurenlächelnden Kinderblick, - den du wohl gelernt hast, als du den Kamin ließest und auf die Straße gingst...
Damals kannte ich dich nicht, aber ich liebte dich damals. Ich liebe überhaupt immer Abstraktes.

Es sind jetzt sieben Jahre vorüber, da diese Zeilen geschrieben wurden. Der sie schrieb war ein Zwanzigjähriger. Heute ist er auf achtundzwanzig Jahre in der Citatelle zu Warschau begraben. Im Namen der russischen Willkür. Dem er sie schrieb, Erich Mühsam, darbt in dem Nationalzuchthaus Deutschland. Im Namen der deutschen Presse. Ein Protest unserer Großen (Heinrich Mann, Thomas Mann, Frank Wedekind) gegen das Folterverfahren unserer Redaktionen verpuffte wirkungslos. Denn unbarmherziger als alle Zarendiener sind deutsche Zeitungen. Sie schämen sich nicht, Unbeträchtlichkeiten vom Schlage eines Leo Heller zu drucken und Dichter auszuhungern. Daß sie im Falle Mühsam einen schmunzelnden Zuschauer in Karl Kraus gefunden haben, sei nur nebenbei erwähnt.

Franz Pfemfert.

Senna Hoy: Erich Mühsam. In: Die Aktion 1. Jg. 1911. Nr. 5. Sp. 139-141. Zuerst in: Das neue Magazin Nr. 73. 1904. S. 292f.

Senna Hoy (eigentlich Johannes Holzmann; * 30. Oktober 1882 in Tuchel; † 28. April 1914 in Meschtscherskoje bei Moskau), deutscher Anarchist und Schriftsteller.

Senna Hoy

Seit du begraben liegst auf dem Hügel,
Ist die Erde süß.

Wo ich hingehe nun auf Zehen,
Wandele ich über reine Wege.

O deines Blutes Rosen
Durchtränken sanft den Tod.

Ich habe keine Furcht mehr
Vor dem Sterben.

Auf deinem Grabe blühe ich schon
Mit den Blumen der Schlingpflanzen.

Deine Lippen haben mich immer gerufen,
Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.

Jede Schaufel Erde, die dich barg,
Verschüttete auch mich.

Darum ist immer Nacht an mir
Und Sterne schon in der Dämmerung.

Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden
Und ganz fremd geworden.

Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt
Und wartest auf mich, du Großengel.

Else Lasker Schüler





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