Sonntag, 14. Januar 2018

Hans Schiebelhuth: Aus "Wegstern"

Andrea Rausch (Fredelsloh): Landschaft oben und unten


Reisesegen


Tut Türen weit auf. Viel Licht
Fließ über Fliesen.
Wandrer steh auf. Gürte dich.
Freu dich ins Fremde.

Geh gegen Wolken. Zieh wider Wind,
Berg und Tal, stille Straße.
Überm Weg weben Wünsche,
Gold, Glück.


Trostvogel

Seit deines Abschieds Düsterhimmel aufstieg,
Hockt jede Nacht ein fremder weißer Vogel
Zu Füßen meiner Bettstatt, bis es graut,

Und tröstet mich, dieweil ich traurig bin,
Mit solchen Worten, einer solchen Stimme,
Wie nie sie Sterblichen vom Mund entfuhr.

Viel Weisheit sagt er, Dinge, die auf Erden
Unsichtbar sind. Gibt Wissen mir um Wege,
Die Sehnsucht-Kraft durch Zeit und Raum sich baut.

Und vortags fliegt davon auf weiten Schwingen
Trostvogel er. Und trägt im goldnen Schnabel
Mein Lied für dich zum ewigen Azur.


Geistige Landschaft

Wenn nachtgangs nun dich gütig Mond begleitet,
Der Himmel sich für dich mit Sternen schmückt
Und dich der dünne Nebelrauch entzückt,
Ein silbrig Netz aufs Ährenfeld gebreitet,

Ist es umsonst, dass dich mein Lied geleitet:
Dem Duft der Gärten bist du so entrückt
Und siehst von Regenbögen überbrückt
Dein Sehnsuchtsland in langem Traum bereitet.

Ein Trunkner, dem Berauschtsein widerstreitet,
Bleib ich zum Wunderbrunnen tief gebückt –
Sternspiegel, dessen Zauber mich erdrückt! –

Forschend und formend, lust- und qualzerstückt,
Nur hoffend Herz und gülden übersaitet
Von deinem Glück, das mir nie ganz geglückt.

Hans Schiebelhuth (* 11. Oktober 1895 in Darmstadt; † 14. Januar 1944 in East Hampton, New York, USA) war ein expressionistischer Schriftsteller und Dichter. Die Gedichte sind aus seinem Band "Wegstern" von 1921

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