Mittwoch, 21. November 2018

Victor Hadwiger: Trüber Tag



                Trüber Tag

So graues Wetter in den Gassen
Und schmale, kranke Flammen im Kamin,
An allen Dingen ein Erblassen
Und die Gebärden, müde im Erfassen
Schwanken verworren drüber hin.

Es fliegen ernste Vögel durch dein Land,
Und Lieder, die ihr pflegt und heilig haltet,
Weil sich darin ein liebes Bild gestaltet,
Sie sind mir wie von fern gesandt,
Ein Märchen, sonderbar entfaltet.

Es werden Dinge über uns geschehn,
Die sich in unsre armen Stirnen graben;
Und nur die Stummen werden es verstehn
Mit uns und über uns hinaus zu gehn,
Wenn wir genug verstanden haben.

Die süßen Schläfen komm ich dir zu küssen,
Und deine guten Hände trink ich aus. -
Und für alles, was wir wissen müssen,
Liegt mir ein Kranz bereit zu deinen Füßen
Und Sterne wandern um dein stilles Haus.


Victor Hadwiger, 1878 - 1911

Aus: Die Aktion Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur
Herausgegeben von Franz Pfemfert
Nr. 20 Jahrgang 1911

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