Sonntag, 2. April 2023

Emma Bonn: Ich habe meinen Vater sterben sehen. . .

 


Ich habe meinen Vater sterben sehen,
Das war, als Gott ihm seinen Hauch entzog
Und jählings eine Stille mich anflog.
Durchs Zimmer ging ein leises kühles Wehen.

Und eh die Träne fiel, durft´ ich verstehen,
Bevor der Schmerz mich traf und niedersog
Wie hier des Todes Hand stumm seine Runen zog:
Nun war die Schrift geprägt. Und im Vergehen

Vollendete der Leib sich, überglänzt
Von einem Licht, das unserem Aug´ verborgen,
Erschlossen einem Sein, das uns noch fremd;

Das Wachs der hohen Stirn von Fittichen umkränzt,
Der streng verschwiegne Mund vom wahren Morgen,
Uns still entrückt in seinem Sterbehemd.

2. April 1935

Emma Bonn (1879–1942) aus: Angela von Gans, Emma Bonn (1879 – 1942). Spurensuche nach einer deutsch-jüdischen Schriftstellerin, Oktober 2021, STROUX Edition.

Anfang Juni 1942 wurde in München das das Israelitische Kranken- und Schwesternheim aufgelöst. Unter den Patientinnen und Patienten, etwa 50, die am 3. Juni in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert werden, befand sich auch die Schriftstellerin Emma Bonn. Wahrscheinlich kam sie am 4. Juni dort an und starb zwei Wochen später.

Hier geht es zum Buch von Angela von Gans

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