Sonntag, 3. September 2023

Theodor Etzel: Blüten

 



Blüten

In deinem lichten Garten standest du
zur Blütezeit.
Die braunen Flechten wandest du
zu einer Krone um dein Haupt.
Dann nahmst du in die frischen Hände
voll junger Kraft und Fröhlichkeit
den blütenroten Pfirsichbaum
und schütteltest den schwanken Stamm.
Es fielen Blüten ohne Ende
auf dich herab und in den Raum
der Flechtenkrone über deiner Stirn.
Du freutest dich und sprangst zum Apfelbaum,
der meiste Blüten trug,
und fülltest höher deinen Kronenkorb.
Und so beim dritten, vierten Blütenbaum.
Und hattest nie genug. . . 

Doch wie du nach der Gartenmauer kamst,
von der ich lang dein seltsam Spiel betrachtet,
da sahst du mich. Und hurtig nahmst
du eine Handvoll Blüten aus der Kron
Und botst sie mir: „Ich will mir neue schütteln,
mein Garten ist noch übervoll davon!“ -
Ich wehrte ab und schalt dich kühn:
Die Bäume, die so üppig blühn,
sie tragen dir, wenn's herbstet, keinen Lohn.
„Wenn's herbstet -?“ lachtest laut du. da,
wie ich noch nimmer lachen sah -
„wenn's herbstet -! O, das mag ich nicht,
dass man die leichten Frühlingsblüten
im Herbst als schwere Früchte bricht.
Ich will nicht, das die Blüten reifen!“
- Und liefst zurück zu neuem Spiel,
Dass Blut' auf Blüt' in deine Krone fiel.
- Ich aber lernte dich begreifen.

Theodor Etzel, geboren am 9. 1. 1873 in Gelnhausen, starb am 3. 9. 1930 in Bad Aibling.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

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