Mittwoch, 22. Januar 2025

Else Lasker-Schüler: Ballade

 



Ballade

Aus dem Sauerländischen

Er hat sich in ein verteufeltes Weib vergafft.
    In sing Schwester!

Wie ein lauerndes Katzentier
kauerte sie vor einer Tür
    und leckte am Geld seiner Schwielen.

Im Wirtshaus bei wildem Zechgelag´
saß er und sie und zechten am Tag
    mit rohen Gesellen.

Und aus dem roten, lodernden Saft
stieg er, ein Riese, aus zwergenhaft
    verkümmerten Gesellen.

Und ihm war, als blickte er meilenweit,
und sie schlürfte den Wahn seiner Trunkenheit
    und lachte!

Und eine Krone von Felsgestein
von golddurchadertem Felsgestein,
    wuchs ihm aus seinem Kopf.

Und die Säufer kreischten über den Spaß:
„Gott verdamm mich, ich bin der Santanas!“
    Und der Wein sprühte Feuer der Hölle.

Und die Stürme brausten wie Weltuntergang,
und die Bäume brannten am Bergeshang,
    es sang die Blutschande. . .

Und sie holten ihn um die Dämmerzeit,
und die Gassenkinder schrie´n vor Freud´
    und bewarfen ihn mit Unrat.

Seitdem spukt es in dieser Nacht,
und Geister erscheinen in dieser Nacht,
    und die frommen Leute beten. -

Sie schmückte mit Trauer ihren Leib,
und der reiche Schankwirt nahm sie zum Weib,
    gelockt vom Sumpf ihrer Tränen.

- Und mit der schweren Rotsucht im Blut
wankt um die stöhnende Dämmerglut
    gespenstisch durch die Gassen,

wie leidender Frevel,
wie das frevelnde Leid,
    überaltert dem lässigen Leben.

Und er sieht die Weiber so eigen an,
und sie fürchten sich vor dem Stillen Mann
    mit dem Totenkopf.

Else Lasker-Schüler, geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld, gestorben am 22. 1. 1945 in Jerusalem, aus: Lieder aus dem Rinnstein, gesammelt von Hans Ostwald, Karl Henckell & Co, Berlin 1903

Das Bild ist von Ernst Stoehr (1860 - 1917)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen