Samstag, 3. Juni 2023

Georg Kaiser: Auf jedem Markt

 


Auf jedem Markt

Auf jedem Markte dies: das Mal des Unbekannten.
Wer aus des Hauses Sicherheit vorüberzieht,
soll immer so erinnert sein, des Ungenannten,
daß alles das mißlang, was euch so gut geriet.

Er strich auf wehen Sohlen durch die kalten Straßen
und sucht´ ein kaltes Lager auf dem harten Stein -
er wagte nie die Bitte, ihn doch einzulassen
und euer lieber Nächster eine Nacht zu sein.

Ihr saßet dreimal satt an den bedeckten Tischen
und voll Behagen rundum im erwärmten Raum -
und da er zögernd pochte, war es von den Fischen
der Rest, den ihr verschmäht, ihm reichtet, kaum.

Er war nur einer derer, die sich selbst verbannten
und tiefster Einsamkeiten hoher stiller Held -
Errichtet auf dem Markt das Mal des Unbekannten
ihm, wenn er lautlos zwischen euch zusammenfällt.

Aus: „An den Wind geschrieben - Lyrik der Freiheit 1933 - 1945“, gesammelt, ausgewählt von Manfred Schlosser unter Mitarbeit von Hans-Rolf Ropertz, Agora, eine humanistische Schriftenreihe, Darmstadt 1961

Georg Kaiser, geboren am 25. 11. 1878 in Magdeburg war ein deutscher Schriftsteller. Er war der erfolgreichste Dramatiker der expressionistischen Generation. Mit seinem 1917 in Frankfurt am Main aufgeführten Drama Die Bürger von Calais (1912/13) errang Kaiser einen ersten großen Erfolg. In diesem Stück geht es um die moralische Haltung, „den Hass ... durch Menschenliebe und stellvertretendes Opfer zu überwinden“. Seine Werke wurden ein Opfer der Bücherverbrennung vom 10. 5. 1933 Trotzdem versuchte er, noch in Deutschland zu bleiben. Er schloss sich Widerstandskreisen an und verfasste Flugblätter. Erst kurz vor einer Gestapo-Hausdurchsuchung flüchtete er 1938 in die Schweiz. Kaiser, der sich seit November 1944 auf dem Monte Verità in Ascona aufhielt, starb dort am 4. Juni 1945 an einer Embolie. In seinen letzten Lebensmonaten schrieb er noch mehr als 150 Gedichte.

Das Foto zeigt Georg Kaiser vor 1921

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