Sonntag, 11. Juni 2023

Walter Rheiner: Die Straße

 



Die Straße

In meinem Hirn ist sie ein heller Pfad,
der unvermutet in die Wälder führt.
Oft bin ich stumm: ihr süßer Aufstieg rührt
mich fast zu Tränen, wenn in ihrem Bad

ich still verfließe. Wesen nahen sich,
die spülen leicht und einfach in mich ein.
Der Hunde, Pferde sanfter Widerschein
verklärt mir Mensch und Ding, verklärt auch mich.

Die Häuser neigen sich, mein Ohr zu küssen,
und hoch wallt eine Frau durch mildes Feld;
ich werde ihr noch oft begegnen müssen.

Dann kommen Fremde sprudelnd mir entgegen
und gehn vorbei. Doch bin ich ganz erhellt
und groß und klar, und wag mich nicht zu regen.

Walter Rheiner, aus: Die Aktion 1915

Walter Rheiner, eigentlich Walter Heinrich Schnorrenberg, geboren am 18. März 1895 in Köln; gestorben am 12. Juni 1925 in Berlin-Charlottenburg), Schriftsteller des Expressionismus.

Als er 1914 zum Kriegsdienst berufen wurde, nahm Walther Rheiner erstmals Rauschmittel – er gab damit vor, drogensüchtig zu sein, um der Wehrpflicht zu entgehen. Trotz dieses Umstands wurde er eingezogen und mit Beginn des Ersten Weltkrieges an die russische Front beordert. Eine Entziehungskur scheiterte, sein Täuschungsversuch kam 1917 ans Licht, worauf er vom Dienst suspendiert wurde und nach Berlin übersiedelte. Aus seinem anfänglich gemäßigten Drogenkonsum entwickelte sich jedoch mehr und mehr eine Sucht nach Kokain und Morphinen, die ihm letztendlich zum Verhängnis wurde. In einer armseligen Unterkunft in der Charlottenburger Kantstraße setzte er seinem Leben am 12. Juni 1925 im Alter von 30 Jahren mit einer Überdosis Morphin selbst ein Ende.

Das Bild ist von Artur Markowicz (1872 - 1934)

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