Samstag, 14. Oktober 2023

Paul Scheerbart: Ich hab ein Auge. . . / Hafentraum / Die alte Laube / Kein Gedicht

 



Ich hab ein Auge. . .


Ich hab ein Auge, das ist blau
Mir gestern Abend geschlagen.
Ich schrie fünfhundertmal »Au! Au!«
Was wollt ich damit sagen?
Ich weiß es heute selber nicht;
Ich hab ein Heldenangesicht.


Hafentraum

Ich hab in dieser ganzen Nacht
Still wie ein Stall geschlafen.
Ich hab in dieser ganzen Nacht
Geträumt von tausend Schafen.

*

Sie waren alle dick und rund,
Ich aber war nicht ganz gesund,
Ich kam allmählich auf den Hund;
Es war in einem Hafen.

*

In diesem Hafen trank ich viel
Mit großen Welt-Matrosen,
Die spielten Handharmonika
Und mit den tausend Schafen.


Die alte Laube

Ich habe so viel vergessen.
Ich weiß nicht mehr
Woher ich komme.
Ich saß in einer Laube
Von großen grünen Smaragden;
Sie schimmerten wie Glühwurmlicht.
Mehr aber weiß ich nicht.
Es war ganz hinten im Raume
Und fast wie in dem Traume,
Der uns der allerliebste ist.


Kein Gedicht

Ich möchte so gern wie ein Vogel
Durch die Lüfte fliegen.
Ich möchte so gern wie ein Löwe
In der Wüste liegen.
Ich möchte so gern wie ein König
die lange Weile besiegen.
Doch der Glanz der ewigen Sonnen
Begeistert mich heute nicht.
Ich habe Vieles begonnen.
Doch das macht noch kein Gedicht.

Aus der „Katerpoesie“ von Paul Scheerbart, geboren am 8. Januar 1863 in Danzig, gestorben am 15. Oktober 1915 in Berlin. Scheerbarts skurrile Gedichtsammlung Katerpoesie erschien 1909 als eines der ersten Bücher im neu gegründeten Rowohltverlag. Von Walter Mehring stammt die unbewiesene Behauptung, Scheerbart sei an Entkräftung gestorben: Er habe als ein überzeugter Pazifist aus Protest gegen den Ersten Weltkrieg jede Nahrungsaufnahme verweigert.

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