Donnerstag, 2. November 2023

Georg Trakl: Im Winter, Else Lasker-Schüler: Georg Trakl

 



Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.

Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.

Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

Georg Trakl, aus: Gedichte, 1. Auflage, Kurt Wolff Verlag Leipzig, 1913

Am 3. Februar 1887 wurde Georg Trakl in Salzburg geboren, am 3. November 1914 starb der Dichter. Trakl wurde als Militärapotheker einberufen und begab sich angesichts der Gräuel, welcher er an der Front teilhaftig wurde, in den Freitod. Else Lasker–Schüler widmete ihm zwei Gedichte, eines davon:

Georg Trakl

Seine Augen standen ganz fern.
Er war als Knabe einmal schon im Himmel.

Darum kamen seine Worte hervor
Auf blauen und weißen Wolken.
Wir stritten über Religion,

Aber immer wie zwei Spielgefährten,

Und bereiteten Gott von Mund zu Mund.
Im Anfang war dass Wort.

Des Dichters Herz, eine feste Burg,
Seine Gedichte: Singende Thesen.

Er war wohl Martin Luther.

Seine dreifaltige Seele trug er in der Hand,
Als er in den heiligen Krieg zog.

- Dann wusste ich, er war gestorben -
Sein Schatten weilte unbegreiflich

Auf dem Abend meines Zimmers.

Else Lasker-Schüler, aus: Gesammelte Gedichte, Verlag der weißen Bücher, Leipzig 1917

„Er ist der Schwermütigste von Allen. Auf jedem Vers, den er schrieb, liegt jene tiefste, hoffnungsloseste, süßeste Melancholie – jene Melancholie, die zu müde, zu schwer ist, um in eigenen Worten noch zu sprechen, die in Musik und in Farben zerfließt. Sein Lebenswerk, seine gesamte Dichtung ist eigentlich keine Kunst mehr. Es ist ein unterbrochenes, verworren-süßes Lied von seiner untröstbaren, von seiner tiefen, tiefen Schwermut. Die paar Dinge, die er lieb hatte auf Erden, kehren immer wieder in seiner Dichtung: die paar Farben – purpurn, braun, blau – die flötende Amsel, die schmale dunkeläugige Gestalt der Schwester, die er Karfreitagskind nannte, und das Süßeste von allen: die Knabengestalt mit den modenen Augen und der hyazinthenen Stimme – Elis.

. . .

Ein Orgelchoral erfüllte ihn mit Gottes Schauern. Aber in dunkler Höhle verbrachte er seine Tage, log und stahl und verbarg sich, ein flammender Wolf, vor dem Antlitz der Mutter. Mit purpurner Stirne ging er ins Moor, und Gottes Zorn züchtigte seine metallenen Schultern.

Wer solche Sätze schrieb, steht außerhalb.“

Aus: Klaus Mann - Über Georg Trakl, Weltbühne 2. Oktober 1924

Das Bild ist von Pekka Halonen (1895 - 1933)

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