Montag, 13. November 2023

Sophie van Leer, Wilhelm Runge: Lieder

 



Lieder

I

In meinem Blut
tanzt
Du

Säule
trägst Du mich
Wellen schlägst Du um mich her
Mantel aus Meer

Nacht singt Du
Traum träumt Du
Sinn sinnt Du
Fern
Du


II

In meine Schultern hülle ich Dich
und trage Dich zu mir

Ich wiege Dich im Kahne meines Bluts
und pflanze hoch die Wälder meiner Glieder
um Dich
ich bette Dich
in das rausche Gestrüpp meiner Locken


III

Wunde mich nicht
wende Dich nicht
weile
wölbe Dein Lauschen

Bieg Deine Glieder
beuge Dein Lächeln

Neige die Wange
in meinen Schoß

lausch meiner Sehnsucht
Rausche Rausche

Sophie van Leer, aus: Der Sturm, Nummer 2, 15. Mai 1916


Lieder

Undurchdringlich
ist mein Gedenken
wie eine Mauer
um dich her
ich bin
eine Brücke der Sehnsucht
über die Weiten
zu dir hin
darüber eilt mein banger Atem
der nur von deiner Liebe lebt
und meine Tränen fallen dir
zu Füßen


* * *

Deine Augen ruhen auf mir
kaum kann ich sie tragen
Frieden
schenke deinen Händen
sie erheben sich bei deinen Worten
demütig
ein betend Volk
Wein
bis du in allen Adern
trunken finden die Gedanken nicht
herzaus herzein
tasten alle hin an deiner Stimme
den verwirrten Weg
entlanggeführt.

Wilhelm Runge, aus: Der Sturm, Nummer 21 - 22, 1 Februar 1916

Sophie van Leer, geboren am 3. Februar 1892 in Amsterdam; gestorben am 3. Juni 1953 ebenda, Lyrikerin, 1915 ging sie dann nach Berlin, wo sie sich der Gruppe um Herwarth Walden anschloss. In deren Zeitschrift Der Sturm erschienen in den folgenden Jahren zahlreiche Lyrik- und Prosabeiträge van Leers. 1915 lernte sie bei einer Ausstellung den Maler Georg Muche kennen, in den sie sich stürmisch verliebte und mit dem sie sich verlobte. Die Beziehung zerbrach 1918. Gleichzeitig bestand allerdings eine Beziehung zu dem jungen Dichter Wilhelm Runge, der als Soldat an der Westfront kämpfte, und mit dem sie einen ausgedehnten Briefwechsel führte, der 2011 publiziert wurde. Während der Novemberrevolution wurde Sophie van Leer in München verhaftet und zum Tode verurteilt, kam aber einen Tag später bereits frei. Einem während der Inhaftierung abgelegten Gelübde folgend konvertierte sie zum Katholizismus und nahm dabei die Vornamen Francisca Maria an. (Wiki)

Wilhelm Runge, geboren am 13.6.1894 Rützen/Schlesien, am 22.3.1918 bei Arras „gefallen“. In Schlesien aufgewachsen, ging Wilhelm Runge 1914 als Kriegsfreiwilliger an die Front. Vor Ypern wurde er im Nov. 1914 verwundet, 1915 kam er nach Berlin u. studierte Medizin. Dort schloss er sich dem »Sturm«- Kreis um Herwarth Walden an. Besonders eng befreundete er sich mit Georg Muche, damals Lehrer an der Kunstschule des »Sturm«, und dessen Braut Sophie van Leer. Im »Sturm« erschien fast seine gesamte Lyrik. Anlässlich seines frühen Todes schrieben Franz Richard Behrens, Kurt Heynicke u. Walter Mehring poetische Nachrufe; Muche widmete ihm ein Ölgemälde zum Gedächtnis. Das einzige Buch, der Gedichtband Das Denken träumt (Berlin 1918), wurde von Wilhelm Runge noch im Feld korrigiert, aber erst nach seinem Tod veröffentlicht.

Das Bild ist von Otto Mueller (1874 - 1930)

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