Dienstag, 21. November 2023

Walter Benjamin: Sonette - XIV.

 



Sonette - XIV.


Ich bin im Bunde mit der alten Nacht
Und wurde alt von ihr nicht unterschieden
Hat Traurigkeit im Herzen ohne Frieden
Die Herdstatt ihrer Schatten angefacht

Was so entfernte Not zu Einer macht
Die sonnenlose irdische hienieden
Und mein Verfinstern das der Freund gemieden
Das habe ich im Wachen oft bedacht

In solcher Nacht ist Schlafen mehr denn selten
Dem Schlummerlosen schenkt sie ihre Helle
Die könnte nicht für Tag den Menschen gelten

Und doch bestrahlt sie seine wahren Welten
Kein andres Licht blüht ja auf seiner Schwelle
Erinnerung sein Mond und sein Geselle.

Walter Benjamin, geboren am 15. Juli 1892 in Berlin; gestorben am 26. September 1940 in Portbou, Spanien, Philosoph, Kulturkritiker und Übersetzer.

1933 entzog er sich als säkularisierter Jude der NS-Herrschaft und ging ins Pariser Exil. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutschen Truppen nahm er sich auf einer missglückten Flucht in der spanischen Grenzstadt Portbou das Leben.

Walter Benjamins Sonette galten als verschollen. Erst 1981 wurden sie in der Pariser Nationalbibliothek aufgefunden. Benjamin hatte sie mit anderen ihm wichtigen Papieren vor seiner Flucht im Frühjahr 1940 Georges Bataille übergeben. 1986 erschienen sie in der Bibliothek Suhrkamp.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

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