Donnerstag, 10. August 2023

Ilse Blumenthal-Weiss: Liebesstrophen / Für Peter David Blumenthal

 



Liebesstrophen

Wir haben uns lieb. Und der Himmel ist blau.
Wir haben uns lieb. Und die Nacht ist lau.
Wir haben uns lieb. Mann und Frau.

Die harte Erde ist warm und weich.
Und Abschied und Armut machen uns reich.
Und die Sonne vergoldet den Teich.

Wir haben uns lieb. Und der Schnee tut nicht weh.
Schickt alle Tränen nach Haus.
Wir haben uns lieb. Und wir ruhen aus
bei Sternen und Totenklee.

(1944)


Für Peter David Blumenthal


So wandre ich durch tausend Marterzellen
Und pflücke tausend Schmerzen von den Wänden.
Und tausend Träume, die die Nacht umstellen,
Sie stehen auf aus tausend Bilder-Bänden:

In jeder Ecke klingt noch Deine Stimme.
In jedem Lufthauch echot noch Dein Lachen.
Und jeder Lichtstreif, der den Raum erhellt,
Ist wie ein Abglanz Deiner Strahlenaugen.
Tot bist Du? - Tot. - Ich muss es langsam lernen,
Dass man das Licht so ganz zerstören kann.

Ich muss es lernen, wenn sie sagen: Mord
Dass dieses Wort, dass dieses eine Wort
Dich meint, Dich, junges Kinderblut,
Dich: Jubel! Jauchzen! Jugend! Übermut! -
Gott hat genommen. Einst hat Gott gegeben.
Ich muss es lernen, ohne Dich zu leben.

(1945)

Ilse Blumenthal-Weiss, aus: An den Wind geschrieben, Lyrik der Freiheit 1933 - 1945, gesammelt, ausgewählt und eingeleitet von Manfred Schlösser unter Mitarbeit von Hans-Rolf Ropertz; Agora, eine humanistische Schriftenreihe, Darmstadt 1960

Ilse Blumenthal-Weiss (geboren als Ilse Weiß 14. Oktober 1899 in Schöneberg; gestorben 10. August 1987 in Greenwich (Connecticut)) war eine deutschsprachige Lyrikerin.

Sie veröffentlichte Gedichte im Berliner Tageblatt und in der Vossischen Zeitung und schrieb für den Hörfunk. Im Jahr 1921 stand sie im Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke.

1937 floh sie mit der Familie in die Niederlande, wurde ab April 1943 zunächst im Durchgangslager Westerbork gefangengehalten und dann am 6. Dezember 1944 von hier aus nach Theresienstadt deportiert, wo sie die Befreiung erlebte.

Ihr Sohn, der Student Peter David Blumenthal (* 4. April 1921 in Berlin) wurde am 23. Oktober 1941 in Mauthausen, ihr Mann, der Zahnarzt Dr. med. Herbert Blumenthal (* 25. Februar 1886 in Berlin) am 21. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.

Nach dem Krieg lebte Ilse Blumenthal-Weiss erst einmal wieder mit ihrer Tochter in den Niederlanden. 1947 übersiedelten beide nach New York. Dort arbeitete Blumenthal-Weiss 19 Jahre lang als Bibliothekarin am Leo-Baeck-Institut. Sie veröffentlichte in zahlreichen amerikanischen Zeitungen, so z. B. im Aufbau, hielt Vorträge und gab Vorlesungen an Universitäten. Sie versuchte sie, dem unfassbaren Erlebten sprachlichen Ausdruck zu verleihen, und schrieb Gedichte. Zu Paul Celan, Hermann Hesse und Nelly Sachs unterhielt sie freundschaftliche Beziehungen. (Wiki)

Das Leo Baeck Institut (LBI) ist eine unabhängige Forschungs- und Dokumentationseinrichtung für die Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums mit drei Teilinstituten in Jerusalem, London und New York City mit Zweigstelle in Berlin. Es wurde 1955 von Hannah Arendt, Martin Buber, Siegfried Moses, Gershom Sholem, Ernst Simon und Robert Weltsch gegründet und setzt sich zum Ziel, deutsch-jüdische Geschichte und Kultur wissenschaftlich zu erforschen und ihr Erbe zu bewahren.

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