Gedichte im Garten
Die Arche
Ich wandere
Am schwarzen Wald entlang
Nachhaus.
Aus einem einzigen Stern am Himmel
Bläst der Wind
Immer den gleichen Funken,
Als fürchte er die Nacht im Wald
Und hüte für das Tal, das sie bedroht,
Dies Lichtlein in der Not.
Plötzlich gießt der Mond
Sein Füllhorn aus!
Der Hügel blüht als Weißdornhecke
An einem See,
Darinnen Dorf und Tal versunken.
Mein weißes Haus, die Arche,
Schwimmt darauf
In atemvoller Stille.
Nicht einmal die Hunde rühren sich,
Da ich den Hof betrete,
Im Traum nur hören sie mich kommen.
Süß beklommen
Öffne ich die Tür und trete
In ein Geheimnis ein . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Im dunklen Zimmer,
Im dunklen Bett,
Die Augen geschlossen,
Im dreifachen Sarg,
Sehe ich den Weißdornhügel,
Von seinem Licht umflossen,
Und, wie es sich von ihm löst,
Mein Haus, meine Arche,
Auf dem breiten Tale schwimmend,
Das wiederum ein See ist
Wie vor tausenden von Jahren.
Weiße Herbstastern
Kleine Nebel, nachtentbunden,
Schwebtet ihr frühmorgens aus dem Tal?
Von der Erde überwunden,
Blühn sie wie ein Stern, doch tausendmal!
Von der Erde angezogen,
Spiegeln Himmel sie am lichten Tag,
Sind dem Tage schon entflogen,
Wo an Nacht kein Herz noch denken mag.
Bebend, wenn der Abendstern aufreitet,
Steigen, schwärmen sie zuhauf,
Und, indes die Nacht sich vorbereitet,
Nehmen sie der Erde Lauf:
Blenden fast, bevor sie blassen,
Weil der Sterne Donnerlicht erscheint,
Weil des Todes Schauer sie umfassen,
Der sie doch dem höhern Bild vereint.
Schicksal
Ich liebe dich -
Das ist wie die Blume,
Die jedes Jahr wiederkommt,
In Treue beflissen,
Sobald der Specht, klopfend,
Sie an ihr Versprechen gemahnt.
Ich liebe dich -
Das ist wie die Blume,
Die vergeht, wenn der Wind,
Ein Bote der Sterne,
Die Vögel, ihre Spielgefährten,
Auf einmal entführt.
René Schickele, aus: Klingsor, Siebenbürgische Zeitschrift, Erstes Jahr April bis Dezember 1924, Klingsor Verlag Kronstadt
René Schickele (1883 – 1940); Dichter aus dem Elsass, setzte sich nach dem ersten Weltkrieg engagiert für die deutsch-französische Aussöhnung ein. Schon 1932 ahnte er, was sich in Deutschland anbahnte und emigrierte nach Südfrankreich. Dort lebte er, bis er einige Monate nach Einmarsch der Wehrmacht am 31. 1. 1940 an Herzversagen starb. Auch seine Werke wurden von den Nationalsozialisten den Flammen übergeben.
Das Bild ist von Else Berg, einer niederländischen Malerin, geboren am 19. Februar 1877, die am 19. November 1942 im KZ Auschwitz Birkenau ermordet wurde.
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