Der Flüchtling
Das Haus war starr von Nacht und scharfen Waffen,
und Brandgeruch belagerte den Zaun,
als er, das Schicksal sich vom Hals zu schaffen,
sich unter blasse Sterne konnte traun.
Und als die Schritte langsamer sich fanden
und böser Aufruhr wie ein Traum verblich,
erblickte er sich bange auferstanden,
und seine wehen Worte sangen sich:
„Wie vieles nannt ich Du vor diesen Tagen!
Und wieder harrt die Pforte angelweit,
nichts wehrt mir, mich mit Kränzen umzutragen
für Mädchen, Himmel, Baum und Abendzeit,
für bunte Fahnen, die im Taumel wehen
und für die Schatten, welche immerzu
den Feiertagen sich entgegendrehen -
Ich aber zu mir selber sage: Du!“
Und also ausgestoßen aus der Mitte
berührte er den steilen Küstenstrich,
Gerölle taumelte um seine Schritte,
und unten schrie die Brandung.
Dem Sturme überließ er seine Schwelle
(die arme Wohnung atemlos und leer)
und mündete im Augenblick der Welle
aus seiner Wunde in das große Meer.
Rudolf Fuchs, aus: Die weißen Blätter, Dezember 1916
Rudolf Fuchs, geboren am 5. März 1890 in Poděbrady, Mittelböhmen, Österreich-Ungarn; gestorben am 17. Februar 1942 in London war deutsch-tschechoslowakischer Dichter und Übersetzer. Sein erster Gedichtband erschien 1913 in Heidelberg, bis zu seinem Tod im Exil in London, wo er bei einem Bombenangriff starb, sollten noch zwei weitere folgen. Sein letzter war "Gedichte aus Reigate", dessen erstes Gedicht die "Variationen nach Heinrich Heine" waren. Dass er ausgerechnet am Todestag des von ihm verehrten Dichters selber starb, und auch im Exil, wenn auch nicht in Paris, sondern in London, ist vielleicht eine Ironie der Geschichte. . .
Die weißen Blätter waren eine Monatsschrift, die in ihrem Erscheinungszeitraum von 1913 bis 1920 zu einer der wichtigsten Zeitschriften des literarischen Expressionismus wurde.
1915 übernahm René Schickele die Herausgabe. Von 1916 bis 1917 gab der Verlag Rascher in Zürich die Zeitschrift heraus, 1918 der Verlag der weißen Blätter in Bern, von 1919 bis 1920 publizierte Paul Cassirer die Zeitschrift in Berlin.
Das Bild ist von John Macallan Swan (1846 - 1910)
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