Herbstmorgen
im Kerker
Wenn morgens über Gras
und Moor
sich weißlich-trüb der
Nebel bauscht,
unfroher Wind mit müdem
Stoß
im dürren Laub des
Herbstes rauscht;
wenn eiterig der fahle
Tau
von welken Blütenresten
tränt,
des Äthers
dichtverquollenes Grau
dem neuen Tag
entgegengähnt -
und du, gefangen Jahr um
Jahr,
gräbst deinen Blick in
Dunst und Nichts:
da wühlt die Hand dir
wohl im Haar,
und hinter deinen Augen
sticht´s.
Du starrst und suchst
gedankenleer
Nach etwas, was du einst
gedacht,
bis endlich, wie aus
Fernen, schwer
das Wissen um dein Selbst
erwacht.
Du musterst kalt das
Eisennetz,
das dich in deinen Kerker
bannt;
in dir erhebt sich das
Gesetz,
zu dem dein Wille sich
ermannt:
Treu sein dem Werk und
treu der Pflicht,
der Liebe treu, die nach
dir bangt;
treu sein dir selbst, ob
Nacht -
ob Licht,
dem Leben treu, das dich
verlangt!. . .
Aus jedem Morgen wird ein
Tag,
und wie die Sonne einmal
doch
durch Dunst und Schleier
drängen mag,
so bleibt auch dir die
Hoffnung noch. –
Im Nebel dort schläft
Zukunftsland.
Du drehst den Kopf zurück
und blickst
an der gekalkten
Zellenwand
zu deines Weibes Bild.
Und nickst.
(Erstdruck:
Erich Mühsam, Sammlung, 1928)
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