Freitag, 5. Dezember 2014

René Schickele - Hymne





                         Hymne

In ihren Umarmungen blühte die Erde,
ihr Herzschlag in diesen Nächten rührte die Welt.
Der Morgen hob mit sorgsamer Gebärde
den Vorhang von dem Himmelszelt,
worin unsre Herzen schliefen.

Ihre Augen im Tau der Frühe waren diamantne Schächte.

Wir horchten, wie in unserm Blut die Stunden liefen,
Hand in Hand, und durch den Abend dann, von Gluten triefend
in die grenzenlosen Ebenen der Nächte.

Sie stürzten umschlungen, als auf einmal Nachtigallen riefen.

Auf der Sanftmut ihrer Haare senkten Dämmerungen sich hernieder,
schimmernde, bestirnte Himmel waren ihre Glieder,
zwanzig Nachtigallen litten Lust in ihrer Kehle.

Unter der Berührung ihrer Hände bebte die verschlungne Seele.

Aus ihren Haaren stieg der große Mond.

René Schickele (1883 – 1940); Dichter aus dem Elsass, setzte sich nach dem ersten Weltkrieg engagiert für die deutsch-französische Aussöhnung ein. Schon 1932 ahnte er, was sich in Deutschland anbahnte und emigrierte nach Südfrankreich. Dort lebte er, bis er einige Monate nach Einmarsch der Wehrmacht an Herzversagen starb. Auch seine Werke wurden von den Nationalsozialisten den Flammen übergeben.

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