Dienstag, 23. Dezember 2014

Oskar Loerke - Die Laubwolke




                                                 Die Laubwolke


Beständig ist das leicht Verletzliche.

Lange hing die grüne Wolke über der Erde,
Wohin ging sie?

Im neuen Frühling schwebt sie wieder an
Und erfüllt ihren Ort
Zwischen Grund und Höhe.
Vom Winde gesteuert,
Vom Regen gedrängt,
Vom Licht gehoben,
Kehrt sie immer zurück
Und bleibt so viele Jahre.

Jedesmal in den herbstlichen Lichtern
Klagts aus ihr: ich sinke, warum ich?
Und lauter mit dem Sinn von Dichtern :
Es stürzt mich, ja, warum nicht mich?

Wird es dann Winter -
Im Himmel kriecht gekrümmtes Gestäbe,
Den einmal gewachsenen Abstand nicht ändernd,
Eins des andern vielleicht nicht gewahr,
Doch beisammen in gleicher Spreizung.

Zwischen Grund und Höhe,
Von der Säge des Gärtners unzerrissen,
Von der Axt des Fällers nicht getroffen,
Bleibt das Gesetz:
Beständig ist das leicht Verletzliche.




"Beständig ist das leicht Verletzliche", eine Textzeile, die sich wie mit Widerhaken in mein Gehirn festgesetzt hat, seitdem ich sie das erste mal las. Sie stammt von Oskar Loerke (1884 - 1941), diesem deutschen Dichter, dem die Nationalsozialisten zuwider waren, und der sich trotzdem mit ihnen arrangierte. Wie so viele zog er sich in die "innere Emigration" zurück.

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