Donnerstag, 26. Januar 2023

Konrad Weichberger: Sögestraße am Mittag

 


Sögestraße am Mittag

Bei solch feinem Schneegestöber,
und von unten ein bißchen Matsch
sehen die Damen alle so niedlich aus
und wissen es dann merkwürdigerweise selbst nicht.

Mit leicht wie vom Künstler geröteten Backen,
mit leicht vom Künstler hingehauchten Rotznäschen,
mit kurzen dicken Strümpfchen
über langen dünnen Strümpfchen.

Mit son paar Pelzchen um die Hälschen,
mit Käuferinnen- und Schenkerinnenfreude in den Grüßen
mit son paar Flocken in den Locken
mit Spritzerchen an den Schuhen und Eile in den Füßen.

Bei solchem feinen Schneegetriebe,
und von unten ein bißchen Matsch;
aus Kalt-Warm ihr Gedichtchen, aus Schnee und Liebe,
gegen euch andichten wollen ist Quatsch.

Konrad Weichberger wird am 10. Februar 1877 als Sohn des Malers Eduard Weichberger in Weimar geboren. Dort besucht er die Schule, studiert anschließend in Jena Philologie, promoviert über Eichendorff und ergreift den Lehrerberuf. Diesen interpretiert er als Verfechter der individuellen Entfaltung der Persönlichkeit oft eigenwillig und konträr zur offiziellen Schulpolitik. Neben der Beschäftigung mit altphilologischen Studien veröffentlicht Weichberger auch eigene literarische Arbeiten.

Kurt Tucholsky bezeichnet das Gedicht „Abschied“ als sein „allerliebstes Lieblingsgedicht, eines, darin die deutsche Sprache selber dichtet, man hört ihr Herz puppern; das ist überhaupt nicht auf Papier geschrieben, das ist in den Blumentöpfen eines Balkons gewachsen ...“

Weichbergers Gedichte sind zumeist komische Momentaufnahmen aus dem Alltag. Liebe und Liebesleid werden ebenso thematisiert wie Müßiggang, eine Kutschfahrt mit der Angeschmachteten, das Telefonieren oder der Bremer Freimarkt.
Weichbergers rastloses und intensives Vertiefen in altphilologische Fragestellungen und die ausbleibende Beachtung durch Fachkreise ziehen zunehmend Misstrauen und Wahnvorstellungen nach sich. Als aus Zeit und Raum Gefallener, als Abweichler und Querulant wird er schließlich wegen „Geisteskrankheit“ zwangspensioniert, später vorübergehend entmündigt.

Am 15. Juli 1948 stirbt Konrad Weichberger, infolge der ärmlichen Lebensverhältnisse an Lungenentzündung erkrankt, in einer Pflegestation des Weimarer Sophienkrankenhauses.
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"Das im Januar 2015 erschienene achtzehnte Heft unserer Lyrikheftreihe VERSENSPORN ist Konrad Weichberger gewidmet. Es enthält insgesamt 42 Texte, neben einer Auswahl aus dem 1903 erstmals erschienenem Gedichtband „Schorlemorle. Studentengedichte“ auch Texte aus verstreuten Publikationen."

Das Bild ist zwar nicht die Sögestraße, aber fast (Bahnhofstraße in Bremen 1912)

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