Donnerstag, 26. Januar 2023

Oskar Wiener: Siehe, ich bin Herr und König. . .

 


Siehe, ich bin Herr und König,
Herr und König aller Träume,
Und ich winke mit der Hand nur
Und es rauschen Palmenbäume;
Und ich breite nun die Falten
Meines Regenbogenkleides,
Wandle farrengrüne Wege
Weit, weit ab des Erdenleides.
Und der Himmel glüht in Flammen
Und die Erde loht in Gluten
Und es ist, als wollte alles,
Alles sterben und verbluten. –

Siehe, ich bin Herr und König,
Herr und König aller Zonen,
Und ich kann im Purpurmantel
Auf gesäumten Wolken thronen;
Und ich kann durchs Weltall sausen,
Durch das Weltall auf Kometen,
Und mein Augenblitz kann alles
Jäh vernichten und ertöten.
Und der Himmel glüht in Flammen
Und die Erde loht in Gluten
Und es ist, als wollte alles,
Alles sterben und verbluten. –

Siehe, ich bin Herr und König,
Herr und König aller Weiber,
Und ich schreite über Blüten,
Über schlanke Mädchenleiber;
Und ich treibe adlerstolze
Flügelrosse auf die Weide
Und bin doch - ein bleicher Träumer,
Krank vom herben Alltagsleide.

Aus: Gedichte von Oskar Wiener, Schuster & Loeffler, Berlin 1899
Oskar Wiener, geboren am 4. März 1873 in Prag, Er gab auch Anthologien mit Werken Prager Dichter heraus. Besonders erfolgreich war die 1919 veröffentlichte Sammlung "Deutsche Dichter aus Prag"
Am 6. Juli 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er am 20. April 1944 ermordet wurde

Das Bild ist von Melozzo da Forlì (1438 - 1494)

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