Donnerstag, 24. September 2015

Alfred Lichtenstein - "Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot"


Am 25. 9. 1914 starb der Dichter Alfred Lichtenstein an der Westfront. Einer der vielen Dichter der expressionistischen Generation, die in den Krieg zogen, teilweise freiwillig, wie Ernst Wilhelm Lotz, der einen Tag später als Alfred Lichtenstein „fiel“, teils widerwillig und voll Todesahnung, wie Lichtenstein. 


 
                        Abschied

Wohl war ganz schön, ein Jahr Soldat zu sein.
Doch schöner ist, sich wieder frei zu fühlen.
Es gab genug Verkommenheit und Pein
In diesen unbarmherzgen Menschenmühlen.

Sergeanten, Bretterwände, lebet wohl.
Lebt wohl, Kantinen, Marschkolonnenlieder.
Leichtherzig laß ich Stadt und Kapitol.
Der Kuno geht, der Kuno kommt nicht wieder.

Nun, Schicksal, treib mich, wohin dir gefällt.
Ich zerre nicht an meiner Zukunft Hüllen.
Ich hebe meine Augen in die Welt.
Ein Wind fängt an. Lokomotiven brüllen.

                      Abschied (II)

Vorm Sterben mache ich noch mein Gedicht.
Still, Kameraden, stört mich nicht.

Wir ziehn zum Krieg. Der Tod ist unser Kitt.
O, heulte mir doch die Geliebte nit.

Was liegt an mir. Ich gehe gerne ein.
Die Mutter weint. Man muß aus Eisen sein.

Die Sonne fällt zum Horizont hinab.
Bald wirft man mich ins milde Massengrab.

Am Himmel brennt das brave Abendrot.
Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.
 
„Der einzige Trost ist: traurig sein. Wenn die Traurigkeit in Verzweiflung ausartet, soll man grotesk werden. Man soll spaßeshalber weiter leben. Soll versuchen, in der Erkenntnis, dass das Dasein aus lauter brutalen, hundsgemeinen Scherzen besteht, Erhebung zu finden.“

Alfred Lichtenstein

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