Dienstag, 31. Oktober 2017

Herwarth Walden: Zum „Tanz der Wehfreude“

Robert Delaunay (1885 - 1941): Herwarth Walden



Zum „Tanz der Wehfreude“

Tango von Herwarth Walden

Und alle Freude weint durch alle wehen Nächte
Und alle Wehen singen durch die frohen Tage
Und alle Tage sinken in die letzte Nacht
Und alle sind wir wegesmüde  -  lieber Tod.
Nun strömen alle hellen Wasser in das Schweigen
Nun fallen alle hellen Sterne in die Tiefen
Nun steigen alle Nebel in die hellen Sonnen
Nun stehen alle unsre Welten  -  unsre Welten
Noch müde schwingen Pendel sanfte Schläge
Nun stehen Herzen alle Herzen




Aus: Der Sturm, Juni 1923




Herwarth Walden (eigentlich Georg Lewin; geboren am 16. September 1878 in Berlin; gestorben am 31. Oktober 1941 bei Saratow) war ein deutscher Schriftsteller, Verleger, Galerist, Musiker und Komponist. Walden war einer der wichtigsten Förderer der deutschen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts (Expressionismus, Futurismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit). Er gründete 1910 die Zeitschrift Der Sturm, die bis 1932 bestand. Lasker-Schüler verdankte Lewin sein Pseudonym „Herwarth Walden“, inspiriert durch Henry Thoreaus Roman Walden; or, Life in the Woods (1854).

Egon Schiele: Weißer Schwan / Ein Selbstbild / Nasser Abend

Selbstportrait 1910


Weißer Schwan

Über den moorriechenden
Schwarzumrandeten Parksee
              Gleitet im
Regenbogenfarbenschaum
Der hohe, ruhige, runde
               Schwan.


Ein Selbstbild

Ich bin für mich und die, denen
Die durstige Trunksucht nach
Freisein bei mir alles schenkt,
und auch für alle, weil alle
ich auch Liebe, – Liebe

Ich bin von vornehmsten
Der Vornehmste
Und von Rückgebern
Der Rückgebigste

Ich bin Mensch, ich liebe
Den Tod und Liebe
Das Leben.

Aus: Briefe und Prosa von Egon Schiele (Richard Lányi, Wien 1921), herausgegeben von Arthur Roessler.

Nasser Abend

Ich habe lauschen gewollt des kühl-
atmenden Abends, der schwarzen
Wetterbäume, ich sage der schwarzen
Wetterbäume, dann
Mücken, der klagenden,
               der groben Bauernschritte,
               der fernhallenden Glocken.
               Die Regattenbäume hören,
               die Wettlaufalleen sehn,
und Mücken, sangen wie Drähte im
Windwinterland, - aber der große
schwarze Mann brach ihre Saiten-
                                            klänge. 

Die Aufgestellte Stadt war kalt im
         Wasser vor mir.


Aus: Die Aktion, Jg. 4 (1914), Nr. 15 (11. April)

Dienstag, 17. Oktober 2017

Paul Scheerbart - Die Welt ist laut. . ../ Ruhmeslied / Wanderlied

Bild "Sphinxkatze" von Adrian Hauffe


Die Welt ist laut...

Die Welt ist laut,
Und ich bin still!
Erloschen sind die Flammen.

Ich kann nicht mehr,
So wie ich will!
Den Rausch muß ich verdammen.

Die Welt ist laut,
Ich möcht so viel!
Doch bring ich's nicht zusammen.


Ruhmeslied

Meine Welt ist nicht von Pappe!
Dieses sag ich dir im Traum!
Trägst du eine Narrenkappe,
Trag sie unterm Lorbeerbaum!


Wanderlied

Wie weit der Weg!
Im tiefen Tale glänzt
Der Tau der letzten Sommernacht.
Wie weit der Weg!
Im hohen Weltall glüht
Der großen Sonnen Glück so heiß.
Wie weit der Weg!
In tollen Köpfen kreist
Die Schöpferkraft des ganzen Alls.
O still! Zum Ziel!
Es wird zu viel!


Paul Scheerbart, geboren am 8. Januar 1863 in Danzig, gestorben am 15. Oktober 1915 in Berlin, auch unter seinen Pseudonymen Kuno Küfer und Bruno Küfer bekannt, war Schriftsteller und Zeichner.

Scheerbarts skurrile Gedichtsammlung Katerpoesie erschien 1909 als eines der ersten Bücher im neu gegründeten Rowohltverlag