Samstag, 30. März 2019

Ludwig Fulda: Wenn / Nachtbild




Wenn

Ja, hätte mir von Anbeginn
So manches nicht gefehlt,
Und hätt´ ich nur mit anderm Sinn
Den andern Weg gewählt,
Und hätt´ ich auf dem rechten Pfad
Die rechte Hilf´ empfahn
Und so stattdessen, was ich tat,
Das Gegenteil getan,
Und hätt´ ich vieles nicht gemußt
Auf höheres Geheiß
Und nur die Hälft´ vorher gewußt
Von dem, was heut´ ich weiß,
Und hätt` ich ernstlich nur gewollt,
Ja, wollt´ ich nur noch jetzt,
Und wäre mir das Glück so hold
Wie manchem, der´s nicht schätzt,
Und hätt´ ich zehnmal soviel Geld
Und könnt´, was ich nicht kann,
Und käm´ noch einmal auf die Welt. -
Ja, dann!


Nachtbild

Längst wiegte schon die Nacht gelinde
In sanften Schlummer Wald und Flur;
Das leise Atmen nur der Winde
Verrät entschlafnen Lebens Spur.

Die Blumen blinzeln in die Ferne
In zarter Träume Zauberbann
Und schaun die funkelnd hellen Sterne
Als holde Himmelsschwestern an.

Ludwig Fulda, geboren am 15. Juli 1862 in Frankfurt am Main; gestorben am 30. März 1939 in Berlin durch Freitod.

Noch zu seinem seinem 70. Geburtstag im Sommer 1932 verlieh ihm Reichspräsident Paul von Hindenburg die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft. Weitere in- und ausländische Ehrungen folgten, zum Beispiel im April 1933 der Burgtheater-Ring. Am 8. Mai 1933 wurde er als Jude aus der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen und 1935 mit Publikationsverbot belegt.

1937 kehrte er von einem Besuch bei seinem im Jahr zuvor in die USA ausgewanderten Sohn Karl Hermann nach Deutschland zurück, was sich als fataler Fehler herausstellen sollte. Fulda bemühte sich dann lange um ein Ausreisevisum, erhielt jedoch keine Aufenthaltserlaubnis für die USA. Er nahm sich im Alter von 76 Jahren in Berlin das Leben.

Freitag, 29. März 2019

Hanns von Gumppenberg: Aus "Das teutsche Dichterross"




Abendlied

Mein Schifflein ruht im Hafen
Zu schauernder Abendstund',
Ein Posthorn tönt verschlafen
Aus kühlem Buchengrund;
Es rauschen so prächtig die Wälder,
Da wird die Seele so weit –
Die Muttergottes kommt über die Felder
Im glitzernden Sternenkleid.

Nach Joseph Freiherr von Eichendorff


Nächtlicher Gang

An dem öden Schilfgestade
Streift der finstre Jäger hin.
Denkt nicht mehr an Himmelsgnade,
Brütet schwarzen Höllensinn.

Manchmal schielt mit krassem Lachen
Er nach seiner Büchse Lauf:
Mitternächt'ge Donner krachen,
Und verzweifelnd schreit er auf!

Ach, er hat sein Lieb verloren,
Und sein Herz ist todeswund;
Trauernd, mit gesenkten Ohren
Schleicht ihm nach sein dunkler Hund.

Nach Nikolaus Lenau


letzter besuch

ob noch ein trost entquille jetzt uns beiden
ich hofft es wohl ich kam zum lampenmahle
doch da ich heißer dürste tief im leiden
dich trinken will entziehst du mir die schale

ich berge schweigend mich im beigemache
die unentschloßnen qualen zu verschonen
denn einsam fahle liebe, törig schwache
sie kann nicht meine träume mehr bewohnen

und glimmt noch jetzt durch leere nacht der zunder
in bitternis dich an mir festzulegen
so will ich deines grams geheimes wunder
mit sanftem saft mit meinen tränen pflegen

nach stefan george

Aus: Das Teutsche Dichterroß in allen Gangarten vorgeritten
von Hanns von Gumppenberg
Neunte und zehnte Auflage
Unveränderte Fassung der achten, vermehrten Auflage
München
Verlag Georg D. W. Callwey 1918

Hanns von Gumppenberg, geboren am 4. Dezember 1866 in Landshut; gestorben 29. März 1928 in München, Dichter, Übersetzer, Kabarettist und Theaterkritiker. Er benutzte die Pseudonyme Jodok und Professor Immanuel Tiefbohrer.

Donnerstag, 28. März 2019

Wilhelm Holzamer: Letzte Feier

Wilhelm Holzamer 1904


Letzte Feier

Wenn ich tot bin, sollst du mein Gedächtnis feiern,
froh mit Liedern und mit frischen Blumen,
froh mit tausend seligen Gedanken, nur nicht weinen sollst du, nur nicht traurig sein,
froh sein, daß ein Irrender den Hafen, daß ein Leidender den Frieden
und ein Suchender die Ruhe fand.

Wenn sie kommen, die mich schmähen wollen –
Und sie kommen, jetzt schon seh ich
dumpfen Trittes sie zur Urne ziehn,
wenn sie Steine dann auf meine Asche häufen,
Stein um Stein, bis sich ein Hügel wölbte,
leide nicht, - und lächle hellen Auges,
singe Lieder, die den Frühling feiern,
streue Blumen, die den Sommer krönen,
teile Früchte aus, die dir der Herbst gegeben.

Sieh die Wege, die ich ging, sie waren vorgezeichnet,
und ein Höheres schützt mich, das ich selbst nicht weiß,
und das mich ehren wird, bin ich ihm treu gewesen,
und war ich untreu, ewig meine Spur verlöscht.
Kommt der Winter dann, Geliebte, sollst du träumen,
Träume, die in meiner Seele glühten,
da mein Leben all ein starrer Frost war.

Wenn ich tot bin, sollst du mein Gedächtnis feiern,
und in Liedern will ich und in Blumen leben,
in der Menge Wüten und Verachtung –
und in deinen Träumen, wenn ich schlafe!

Wilhelm Holzamer (1870 - 1907)

Sein Schicksal vorausahnend nimmt er im Gedicht „Letzte Feier“ kurz vor seinem Tod von seiner Lebenspartnerin Nina Mardon Abschied.

Freitag, 22. März 2019

Frida Bettingen: Priesterin ewig unennbarer Liebe



Priesterin ewig unnennbarer Liebe

Ich bin durch ein zartes Herz hindurchgeglitten
in das erhabene Herz der Erde.

Ich bin aller Dinge Wesen, Wanderschaft,
Abendziel, Geburt und Sterbegebärde.

Ich bin Sättigung aller Meere, und Durst.
Oh, meine Freunde, dürstet!
Heiliger Durst beseelt …

Ich bin mit Acker und Menschengebeten
und dem All-Odem der heiligen Sterne
vermählt:

Priesterin ewig unnennbarer Liebe.

Frida Bettingen (1865 - 1924)

Donnerstag, 21. März 2019

Friedrich Hölderlin: Der Frühling, Gedichte aus dem Turm



Der Frühling

Wenn neu das Licht der Erde sich gezeiget,
Von Frühlingsregen glänzt das grüne Tal und munter
Der Blüten Weiß am hellen Strom hinunter,
Nachdem ein heitrer Tag zu Menschen sich geneiget.

Die Sichtbarkeit gewinnt von hellen Unterschieden,
Der Frühlingshimmel weilt mit seinem Frieden,
Daß ungestört der Mensch des Jahres Reiz betrachtet,
Und auf Vollkommenheit des Lebens achtet.


Der Frühling

Der Mensch vergißt die Sorgen aus dem Geiste,
Der Frühling aber blüht, und prächtig ist das meiste,
Das grüne Feld ist herrlich ausgebreitet,
Da glänzend schön der Bach hinuntergleitet.

Die Berge stehn bedecket mit den Bäumen,
Und herrlich ist die Luft in offnen Räumen,
Das weite Tal ist in der Welt gedehnet
Und Turm und Haus an Hügeln angelehnet.


Der Frühling

Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde,
Die Tage kommen blütenreich und milde,
Der Abend blüht hinzu, und helle Tage gehen
Vom Himmel abwärts, wo die Tag' entstehen.

Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten
Wie eine Pracht, wo Feste sich verbreiten,
Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele,
So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele.


Der Frühling

Wie selig ists, zu sehn, wenn Stunden wieder tagen,
Wo sich vergnügt der Mensch umsieht in den Gefilden,
Wenn Menschen sich um das Befinden fragen,
Wenn Menschen sich zum frohen Leben bilden.

Wie sich der Himmel wölbt, und auseinander dehnet,
So ist die Freude dann an Ebnen und im Freien,
Wenn sich das Herz nach neuem Leben sehnet,
Die Vögel singen, zum Gesange schreien.

Der Mensch, der oft sein Inneres gefraget,
Spricht von dem Leben dann, aus dem die Rede gehet,
Wenn nicht der Gram an einer Seele naget,
Und froh der Mann vor seinen Gütern stehet.

Wenn eine Wohnung prangt, in hoher Luft gebauet,
So hat der Mensch das Feld geräumiger und Wege
Sind weit hinaus, daß Einer um sich schauet,
Und über einen Bach gehen wohlgebaute Stege.


Friedrich Hölderlin (1770 - 1834), Gedichte aus dem Turm, in dem er seit 1807 lebte.

Mittwoch, 20. März 2019

Hugo Ball: Frühling




Frühling

So hast du in Behutsamkeit
Mit Lauben und mit Ranken
Den Garten meiner Nacht umsäumt
Jetzt lächeln die Gedanken.

Nun singen mir im Gitterwerk
Die süßen Nachtigallen
Und wo ich immer lauschen mag
Will mir ein Lied einfallen.

Die Sonne scheint in deinem Blick
Und geht in meinem unter.
So schenkst du mir den schönen Tag
Ein mildes Sternenwunder.

So hast du meinen dunklen Traum
Durchleuchtet aller Enden
Und wo ich immer schreiten mag,
Begegne ich deinen Händen.

Hugo Ball (*22. 2. 1886 ; † 14. 9. 1927), als Dada zum Dadaismus wurde, wandte er sich mit Emmy Hennings anderen Gefilden zu. . .

Montag, 18. März 2019

Erich Mühsam: Ich bin ein Pilger. . . / Karl F. Kocmata: Der Dichter




Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
Der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
Vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
Der im Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
Der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
Der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
Der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
Das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
Das küsst und fortschwemmt - weint und froh genießt.

Wo ist, der meines Wesens Namen kennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.

Erich Mühsam (1878 - 1934)


Der Dichter

Dem Kameraden Erich Mühsam

Ich bin ein Fluss, der keine Mündung findet;
ich bin ein Narr, der keine Wege hat.
Bin ein Prophet, der seine Wahrheit kündet
und ein Apostel, der kein Lager hat.
Ich bin ein Wanderer auf schwankem Grunde
und bin ein Bettler ohne Raum und Zeit.
Ich bin ein Sprecher, und aus meinem Munde
spricht Liebe, Haß und reichste Ewigkeit.
Ich bin der Tag und weiche vor den Nächten,
ich bin die Nacht und Schatten ist mein Licht.
Ich bin der Satan mit der Sünde Prächten
und bin ein Mensch und such die Götter nicht.
Ich bin der Groll, der sich zum Donner rundet,
und bin der Blitz, der in die Welten schlägt,
wo Nichtstun sich zu strafender Vergeltung stundet:
ich bin der Mensch, der Herz und Haupt hoch trägt.

Karl F. Kocmata (1890 – 1941)

Aus: Karl Franz Kocmata - Einsamer Wald, Ausgewählte Dichtungen
Verlag von Frisch & Co., Wien und Leipzig, (1919)

Erich Mühsam (6. 4. 1878 - 10. 7. 1934), Dichter, Anarchist, Suchender mit kindlichem Herzen, Mitinitiator der Münchner Räterepublik, dafür von den Nazis gehasst und schließlich im KZ Oranienburg ermordet.

Das Bild ist von der 2016 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch. 

Sonntag, 17. März 2019

Georg Heym: Abende im Vorfrühling




Abende im Vorfrühling

In großen Höhen zieht ein Wölkchen kaum.
Das Land liegt rings in zarter Helligkeit.
Am Horizonte in den Bergen weit
Ruht grün und rot der Abendwolken Saum.

Es ist, als lebte jeder kahle Baum.
Die Äste fassen in den Himmel breit.
Sie zittern in dem Licht vor Freudigkeit:
Des Frühlings Düfte ziehen durch den Raum,

Durch sonntagsstille Gassen. Manchmal weht
Ein Windhauch durch den Winkel und verfliegt
An blinde Scheiben klopfend. Manchmal geht

Der Fenster eins, das in den Blumen steht,
In erste Frühlingsblumen eingeschmiegt.
Es läßt den Abend ein und schließt sich spät.

Georg Heym (1887 - 1912)

Samstag, 16. März 2019

Jakob Haringer: Das Hirtenlied



Das Hirtenlied

Ach, wird's im Frühling wieder schön sein wenn die Blumen blühn
Und die liebe Sonne zärtlich den alten Kurpark küßt,
Vom Café drüben klingt ein schmeichelnd Lied aus Wien,
Ach Gott, wie hab ich diesen Winter so arg verbüßt.
Dann sitz ich wieder mit einem lieben Buch auf einer verträumten Lindenbank,
Und manch schöne stolze Unbekannte Werd ich schaun.
0 Gott, was war ich diesen ewigen Winter arm und krank,
Und ich frier ja noch in Nacht und Tod und Graun.
Und doch träumt mein dummes Herz schon von Laub und Amselsang
Und Wind und goldner Fenster Märchenwehn
Vielleicht ist mir dann nimmer so weh und bang,
Und ich will auch wieder, Gott, in deine alten Kirchen gehn,
Wo die Mädchen süß ihr Glück in der Maiandacht hinjubeln.
Ach Gott, Was werden die armen Leut' froh und glücklich sein,
Dann weinen sie nimmer frierend und harrend in eiskalten Stuben.
Kein Postbot, kein Christkindl bracht' ihnen silbern Hoffnungswein.
Aber im Sommer und im Frühling, da Miefen die Stern in die Kammern,
Und aus den Gärten Wehn liebe Düfte herein,
Und die jungen Gesellen jauchzend über die schönen Berge wandern,
Vielleicht bin auch ich dann nimmer so arm und so klein.
Ach Frühling, lieber Frühling... Und manch Verlaßne, von der Welt betrogne Frau,
Wie wird ihr heißes Sehnen still wie ein Bergsee am Abend,
0 Frühling, mach du die Welt und unsre dunklen Herzen wieder blau
Und die Stunden wieder wie alte Heimatsagen.
Und ich glaub, dann ist nimmer so viel Neid und Haß und Falsch in der Stadt,
Vielleicht neigt sich ein Engel dann. Und eine stille Magd
Zündet meines Herzens letzte Ampel an und ich bin nimmer so tot und matt.
Da sie mich gütig nach meinen unsäglichen Leiden fragt.
0 Frühling! lieber Frühling, du mußt noch einmal kommen,
Laß mich nicht verdorrn, eh ich gut ward und grün,
Schau, der arge Winter hat uns alles genommen...
Ach, wird's im Frühling wieder schön sein, wenn die Veilchen blühn.


 Jakob Haringer (1898 - 1948)

Egon Friedell: Der verkleidete Dichter

Egon Friedell, Foto von Otto Skall (1884 - 1942)



Der verkleidete Dichter

 

Die Menschen sind sehr sonderbar. Sie irren mißlaunig und ratlos umher und suchen nach Kunst und nach Dichtern. Sie wollen ihr Leben erhöht sehen, den Sinn der Stunde erklärt wissen, Schönheit erblicken. Sie blättern in alten Büchern; aber die reden zu Menschen, die längst Gerippe geworden sind. Sie spähen ängstlich und angestrengt aus, ob sich nicht am Horizont ein neues Licht zeigt. Es zeigt sich nicht. Denn am Horizont – nein, da ist es nicht zu finden. Sondern es müßte mitten unter ihnen, neben ihnen, in ihnen selbst – da müßte es aufleuchten. Da aber suchen sie es niemals. Ein Dichter, denken sie, muß aufsteigen wie eine ferne, blendende Prachtsonne, in blutigroten, pompösen Farben. Es gibt aber keine »pompösen Dichter«.

So machen es die Menschen in allem. Sie erwarten immer etwas »Besonderes«. Das Besondere ist aber die dahinrinnende Stunde, auf die sie niemals achten. Sie begeben sich auf große Reisen und betrachten absonderliche Pflanzen, fremde Tiere, exotisch gebaute Städte, andersfarbige und andersdenkende Menschen. Diese Dinge gehen sie aber gar nichts an. Was sie allein etwas angeht, das ist ihre kleine Stube mit den tausend Lappalien und Nichtigkeiten, die aber die ihrigen sind. Dies gehört ihnen: nichts anderes. Sie suchen den ganzen Planeten nach Poesie ab und finden nicht ein Stückchen; inzwischen aber sitzt in ihrem Zimmer die Poesie und wartet, wartet unaufhörlich und vergeblich.

Und ihre Dichter warten ebenso vergeblich. Sie gehen inkognito unter ihnen herum wie die Könige in den Anekdoten. Sie sprechen mit dem Volk, das Volk antwortet ihnen kaum und sieht an ihnen vorbei. Später kommt dann einer und erklärt den Leuten, wer das gewesen sei. Aber inzwischen hat sich der verkleidete König längst davongemacht. Zweihundert Jahre nach Shakespeares Tode kamen einige Menschen und sagten: »Ja wißt ihr denn, wer dieser kleine Schauspieler und Schmierendirektor war, von dem seine Zeit nichts aufbewahrt hat, als daß er einmal wegen Wilderns in Untersuchung war? Es war William Shakespeare!« Da waren alle sehr erstaunt, aber Shakespeare hatte sich längst davongemacht.

Das, was von einem Dichter »bleibt«: seine dürftigen und mühseligen Aufzeichnungen – das ist der am wenigsten wertvolle Teil seiner Persönlichkeit. Es sind ein paar dünne Licht- und Wärmestrahlen; nicht die Licht- und Wärmequelle selbst. Freilich leuchtet und wärmt diese, auch erkaltet, noch weiter; aber das liegt nur daran, daß ihre Strahlen so langsam zu uns dringen. 



Egon Friedell, sein Geburtsname war Egon Friedmann, geboren am 21. Januar 1878 in Wien, war Journalist, Schriftsteller, Dramatiker, Theaterkriter, Kulturphilosoph.

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich schrieb Friedell am 11. März 1938 an Ödön von Horváth: „Jedenfalls bin ich immer in jedem Sinne reisefertig“. Freunde rieten ihm vergeblich zur Ausreise; Friedell war so verzweifelt, dass er sie auf Knien um Gift oder eine Pistole bat.

Am 16. März 1938 erschienen gegen 22 Uhr zwei SA-Männer vor Friedells Wohnung und fragten nach dem „Jud Friedell“. Einigen Quellen zufolge sollte Friedell bei diesem „Besuch“ der SA noch nicht verhaftet werden. Friedell erwartete jedoch seine Verhaftung. Während sie mit seiner Haushälterin sprachen, nahm er sich das Leben, indem er aus einem Fenster der im 3. Stock gelegenen Wohnung sprang. Verbrieft ist, dass er dabei nicht verabsäumte, die Passanten umsichtig mit dem Ausruf „Treten Sie zur Seite!“ zu warnen.

Freitag, 15. März 2019

Jakob Haringer: Zum Lieben und Träumen



Zum Lieben und Träumen

Ich freu mich so, wenn’s draußen lustig regnet,
In meiner Kammer träum ich faul im Bett.
Mir ist, als hätt’ der Regen mich gesegnet,
Und sei das Schicksal auch noch einmal nett.

So ewige Nächte floß die dunkle Wunde,
Die mir die Liebe schlug und ihre Pein –
Doch eine Nacht kam diese süße Stunde,
Da schlief dies ganze, ganze Elend ein.

Der Regen ist mir Himmel ach und Klause,
Er rauscht so schön als sei noch Kinderzeit.
Beim Regen geht mein irres Herz nach Hause,
Als sei die schöne, schöne alte Zeit.

Jakob Haringer (1898 - 1948)

Donnerstag, 14. März 2019

Jakob Haringer: Gebet um Sünde



Gebet um Sünde

O Gott! aus diesen lauen grauen Tagen
Glüh mich zur Sünde hin, weil mich so friert –
Eh daß mein Herz vereist in frommen Sagen,
Mach mich ein bißchen teuflisch und vertiert.

Ihr toten Tage ausgehöhlt entgöttert,
Wie ungewürzte Speise leer und schal,
Sauer wie Schweiß um blöd vertane Arbeit –
Ihr Toten – ach erstickt mich tausendmal;

Wie Wein, in den es jahrelang geregnet.
Auf euch ruht nimmer Gottes Mutterhand...
Behängt mit meinen nie geweinten Tränen,
Mit meiner letzten Wünsche Kindertand.

Wo ist der Engel, der da gut und weise
Euch wachsen ließ wie Veilchen aus dem Schnee?
Dies stille Frommsein ist ja gut für Greise –
Die Sünder tun einander nimmer weh.

O in der Sünde festlichem Gewimmel –
Ach, bloß die Laster machen gut und rein.
Ich bin so ungeeignet für den Himmel!
Laß lieber mich ein frommer Heide sein.

O laß mich lieber Dir mit Sünden danken...
Die Sünden weinen sich die Augen aus.
Die Heiligen mit ihren Löwenpranken
Zerschlagen ganz mein armes Blumenhaus.

„Lieber Gott! Du solltest wirklich deinen allerletzten Freund nicht so behandeln!... Weißt du, bloß Kleinigkeiten sind es nun einmal, die auf Erden uns armen Würmern die Wege erleichtern ... und selbst mit denen geizest du... Das Glück ist immer gegen die armen Leute. ... Weißt du, es ist schon hundsgemein, daß du nicht helfen magst! Du, schick sofort ein Wunder!! ... Ich habe nie gespart wie deine Braven, ich habe all deine schönen Dinge gekostet und genossen und verschenkt... Wenn deine andern endlich krepieren, liest man ja immer von ihrem edlen, großzügigen ‚Vermächtnis’ – allerdings habe ich noch nie gelesen und gehört, was sie zu Lebzeiten wahrhaft Gutes getan. Wie lieb ich all deine schönen Sachen: ein Amselruf im Morgenrot, ein Mädchenknie, eine Leberwurst, eine kleine süße Melodie, Frauenhüften, Gewürze, Duft der Parfüms, Zigarren, die liebe Einsamkeit, Stille, Hunger, mit einem guten Kameraden essen und trinken. Und wie schön hast du erst die Sünde, das gute Laster gemacht!“

Jakob Haringer (1898 - 1948)

Die Größe Haringers ist sein urlyrisches Genie : zu sehen und Worte zu haben für das Gesehene. Eine Welt ging in ihn ein. Haringer, der Vagant, ein kranker, nicht mehr junger Mann, hungert in einem Asyl, einem Krankenhaus, in einer Höhle der Berge. Reißt ihn das Buch aus seiner Armut, dann werden seine Verse glätter, seine Gesichte aber blasser werden. Sein Buch ist wie ein Bergpfad, der in großer Höhe durch Kalkgestein führt : spitzes und abgebröckeltes Gestein — und dann wieder Ansiedlungen seltenster Pflanzen, wahre Fundgruben der Form. Es lohnt sich, in diesem Bande zu wühlen, um Oasen der Sprache aufzuwittern. Du findest dann am Wegrand eine Zeile wie diese :
                         In den Stunden des Glückes hast du Genossen und Frauen.
                         In den Gewittern des Narrens weinst du verzweifelt allein.“

Otto Zarek (1898 – 1958)



Mittwoch, 13. März 2019

Hedwig Dransfeld: Die Spur im Sande




Die Spur im Sande

- - Abseits vom breiten Pfade
Irrte auch ich,
Denn ich verstand nicht
Das Tun der Menschen.
Da nahm die Wüste mich auf -
Und durch den Sand
Schritt ich mit blutenden Füßen
Weiter und weiter,
Und ich sah nicht zurück,
Wo der bläuliche Nebel
In endlosen Weiten
Die Dörfer der Menschen verschlang.

Da kreiste am Himmel
Mit ausgebreiteten Schwingen
Ein Riesengeier,
Die Einsamkeit.
Da sank die Sonne
Mit brandigem Schimmer,
Und Schatten huschten vorüber
Wie abgeschiedene Geister.
Da brachen aus ihren Höhlen
Die Tiere der Wüste,
Und ihr Gebrüll
Durchtoste das Sandmeer,
Lüstern nach Raub.
Und mir entgegen
Grinste der Hunger,
Grinste der Durst
Und die seelentötende Einsamkeit.

Und ich in der Wüste
Der einzige Mensch.

Da höhnte der Geist:
»So sprich, warum bist du
Dem Pfade der Menschen entflohn -
Dem breiten Pfade
Durch Weizenfelder? -«

Und ich neigte die Stirne und sprach:
»Ich habe nicht Teil an ihnen.«

Und wieder höhnte her Geist:
»Daß du entwichen,
Dem eigenen Geschlecht,
Ist nun dein Fluch -
Denn die einsamen Pfade
Führen zum Tod ...
Du dürstest nach Menschen
Und stirbst am Durste ...«

Und ich wanderte weiter,
Umbrüllt von hungrigen Tieren,
Umflattert von irrenden Schatten -
Und es höhnten die Steine am Weg:
»Der einzige Mensch!«

Und weiter und weiter -
Endlos der Himmel,
Endlos die Wüste,
Und mitten darinnen
Ein kleines, klopfendes Herz!

Umfiebert die Stirn,
Vertrocknet die Lippe,
Keuchend der Atem! - -
Da stieg mir der Wahnsinn empor.
Und ich küßte am Wege den Stein.
»O hätte Menschenfuß
Dich je betreten!
O wäre auf diesem Pfade
Ein andrer gewandelt!
O einmal nur
Ein Kinderlachen,
Ein Glockentönen,
Bevor ich sterbe - -
Mich dürstet nach Menschen.«

Da - vor mir im dünnen Sande
Auf glatten Felsen
- Barmherziger Gott! -
Eine Menschenspur!
Und weinend brach ich ins Knie.

Nicht mehr der einzige Mensch
Ein anderer vor mir!
Wohin sein Pfad?
Verschlang ihn die Wüste?
Kehrte er heimwärts
Zu seinem Geschlecht?
Schritt er im Wahnsinn?
Schritt er, von Sehnsucht beschwingt,
Nach leuchtenden Zielen?
So rede, rede,
Heilige Spur! - -

Doch die Einsamkeit sprach:
»Wozu die Frage? -
Ein Mensch, ein Mensch,
Der gelitten wie du
Und geirrt wie du!
Ein Mensch in der Wüste,
Abseits vom Pfade
Der Weizenfelder,
Suchend das Licht!« - -

Da wich der Wahnsinn
Da strahlte die Nacht,
Da stand der Himmel in Flammen -
Und wund geküßt
Auf nacktem Stein
Hab' ich die brennende Lippe ...

Ein Mensch in der Wüste!
Im Sand eine Spur! - -

Hab' Dank, o Fremdling ...


Hedwig Dransfeld, geboren am 24. Februar 1871 in Hacheney (heute Dortmund), gestorben am 13. März 1925 in Werl, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin.

Das Bild ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch

Arthur Silbergleit: Heimweh / Hiob



Heimweh

Manchmal schluchzt eine Weise
Beim hellen Kerzenschein,
Dann schleicht das Heimweh leise
Tief in das Herz hinein. . .

Das Wachs tropft von den Kerzen,
Und Glanz erlischt und Glück,
Und nur im tiefsten Herzen
Bleibt still das Weh zurück. . .

Hiob

Ich bin zu gläubig in die Welt gegangen,
Zu tief enttäuscht aus ihr zurück gekehrt.
Aus allen Qualen trieb mich Heimverlangen:
Herr, mach mich wieder Deiner Nähe wert!

Jahrzehnte wie in einem Turm gefangen
Blieb ich in mir, und keines Blitzes Schwert
Und kein Vulkan ließ mich erschüttert bagnen.
O Herr, zu streng hast Du mich Leid gelehrt!

Elias Wagen wurde mein Gefährt,
Von Purpurgluten, meinem Blut verklärt.
In seinen Feuern lohten alle Flammen,

Die Brände meiner Seelenwunden mit.
Zu lange schien mich Satan zu verdammen.
Nun lieb mich, Himmel, weil ich Höllen litt!

Aus: Der ewige Tag. Gedichte. Hrsg. von der Künstlerhilfe der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Levy, Berlin, 1935

Arthur Silbergleit, geboren am 26. Mai 1881 in Gleiwitz in Oberschlesien; wurde am 13. März 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo er noch im gleichen Monat starb.

"Silbergleit ist ein Dichter, der am Webstuhl der Natur sitzt, in dem Göttliches noch ursprünglich wirkt. Er kommt vom Religiösen her, alles in ihm, an ihm ist stark und tief von Gläubigkeit durchglüht. In seinen Werken verknüpfen sich Stoff und Idee, Welt und Geist, verbinden sich Wissenschaft und Dichtung. Arthur Silbergleit kann selbst in seinen weltlichen Werken nicht verleugnen, dass er ein Spross seiner Litauischen Ahnen ist, die als Priester in den Zelten Israels heimisch waren."

Max Tau (1897 - 1976), deutsch-norwegischer Schriftsteller.

"Die Benennung Sänger trifft auf Silbergleit vorzüglich zu, auf die Geschmeidigkeit und Beherrschung des Reims, auf die innere Regentschaft über Klang und Reim, auf die sorgfältige Vokalisierung, auf den bel canto, der jede lyrische Empfindung begleitet."

Max Hochdorf (1880 - 1948)

„Berühmt“ ist mir als origineller Ausspruch des längst vergessenen Lyrikers Arthur Silbergleit in Erinnerung geblieben: „Berühmt sind wir alle einmal.“ Wie richtig, wie goldrichtig ist das! Zum Abgewöhnen richtig!

Oskar Maria Graf (1894 - 1967)

Das Bild ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch

Dienstag, 12. März 2019

Arno Nadel aus: Das Leben des Dichters





Zwei Wolken,
Wie ein Liebespaar,
Im tiefen Blau,
Dem Bett der Götter.
Sie dringen, gegen Wind,
Wie Leiber ineinander.
Nun sind sie
Eins. 




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Die milde Sonne
Die die Lampe sendet,
Sie blinkt in den Pupillen
Deiner Augen.
Nun strahlt sie auch, Geliebte,
Im weißen Hügel ringsum
Und blinkt
Wie an den Ufern des Meeres
Zur Sommerzeit.


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Die Liebe ist
So langsam,
Daß sie,
Zum Ziele zu gelangen,
Am Leben nicht genug hat.
Sie geht
Bis an den Tod,
Und fängt vielleicht
Den Weg
Von neuem an.


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Das Grün der Zweige
Wiegt sich sanft,
Es ist
Kein Wind
Zu spüren.
Blatt stößt
An Blatt,
Es ist
Wie zartes Küssen,
Die Stämme rühren sich
Unsichtbar mit.
Ein grünes Amen weht
Durch Sommerglut.


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Wie ihr die Welt
Nicht ganz begreift,
So werdet ihr mich
Nicht begreifen
Und meine Liebe nicht,
Die launisch süß ist
Wie die Welt,
Und die nur ist,
Doch nicht,
Um zu genügen.


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Ich frage nicht,
Wie ich die Welt erfülle.
Die Welt bedarf nicht meiner.
Und was ich
In das Zeichen
Setzte,
War mir
Geschenk vor Allem.
Nur: wie beglück ich,
Fragt ich jede Stunde.


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Es muß wohl alles
Nur einmal sein.
Einmal das Glück,
Einmal das Leiden.
Und auch dies Leben
Wohl einmal nur.
Denn Gottes ist die Fülle.


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Und wie mein Herz gesundet,
Fängt es zu singen an.
Es lebt,
Das ist schon Singen.
Ich sang die Welt
Hinüber
Und blieb fast selber
Ohne Ding und Leben.





Aus: Arno Nadel Das Leben des Dichters
Nummerierter Privatdruck 1935
Gedruckt bei Victor Otto Stomps Berlin




Arno Nadel, Schriftsteller Musikwissenschaftler und Maler, sein literarisches Werk besteht aus Gedichten und Theaterstücken. Geboren wurde er am 5. Oktober 1878 in Wilna, am 12. März 1943 wurde er in das KZ Auschwitz deportiert, wo er im gleichen Monat noch verstarb.

Seit 1903 war er Mitarbeiter der Zeitschrift Ost und West; er schrieb auch für die Zeitschrift Der Jude, der Vossischen Zeitung und dem Vorwärts.

Ab 1916 war er Chordirigent der Synagoge am Kottbusser Ufer und bald musikalische Führungspersönlichkeit und gefragte Autorität für alle Synagogen Berlins. Obwohl seine beiden Töchter emigrierten, blieb Arno Nadel 1933 in Deutschland.

Das Bild "Landschaft oben und unten" ist von der 2017 verstorbenen Fredelloher Künstlerin Andrea Rausch