Freitag, 14. Juni 2019

Heinrich Vogeler: Auf blankem Strom. . .

Heinrich Vogeler: Liebe  -  Radierung 1896


Auf blankem Strom
Zwischen Schilf und Ried
Mein gleitender Kahn zur Heimat zieht
Die Sonne vergoldet zum letzten Mal
Die Gräserspitzen im schweigenden Thal.
Es athmen die Wiesen Blumenduft
Die Schwalbe badet in goldener Luft.
Die Reiher ziehn in die Ferne -
Ach wenn ich mein Mädel im Arme hätt'
Das Eiland dort würd' unser Hochzeitsbett
Bleichrote Schilfblumen hielten Wacht
Vor unsrer einsamen Märchenpracht
Bis tief in die Nacht!
Dann könnte die Welt in Trümmer gehn
Im Himmel würden die Sterne wir sehn
In Seligkeit mit ihnen untergehn
Und auferstehn!


Aus: DIR, Gedichte von Heinrich Vogeler, Worpswede. Erschienen im Verlage der „Insel“ bei Schuster und Löffler, Berlin 1899

Heinrich Vogeler, geboren am 12. Dezember 1872 in Bremen; gestorben am 14. Juni 1942 im Kolchos Budjonny bei Kornejewka, Maler, Grafiker, Architekt, Designer, Pädagoge, Schriftsteller und Sozialist. Der vielseitig begabte Künstler ist besonders durch seine Werke aus der Jugendstilzeit bekannt geworden. Er gehört zur ersten Generation der Künstlerkolonie Worpswede, sein Wohnhaus, der Barkenhoff, wurde Anfang der 1900er Jahre zum Mittelpunkt der künstlerischen Bewegung.