Dienstag, 29. Januar 2019

Kurt Finkenstein: Nie aber. . .





Nie aber ...

Wie leergesengt sind unsere armen Augen,
Feuergarben fielen in ihre Pupillen.
Jetzt wollen sie nicht mehr zum Leuchten taugen,
Nichts kann ihren Hunger stillen.
Sie fressen gierig alle Glut des Taggestirns,
Krampfen in alle Strahlen sich fest,
Wühlen in Schlünden offenen Hirns,
Wo Werdendes sich ahnen lässt,
Steigen in dunkele Tiefen,
Wo Erde unter Äxten ächzt,
Tasten in vergilbten Briefen,
Suchen, was nach Freiheit lechzt.

Nie aber werden unsere Augen satt ...



Kurt Finkenstein wurde als Sohn eines deutschen Offiziers und einer polnischen Jüdin am 27.3.1893 in Straßburg geboren. Seine pazifistische Gesinnung und literarische Interessen führten ihn zur Mitarbeit an der Zeitschrift. "Die Aktion" (Hg. Franz Pfemfert). 1935 wurde er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Käte Westhoff verhaftet. Mehr als 27 Monate war er in Kasseler Gefängnissen in Untersuchungshaft; im November 1937 wurde er zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilt. Käte Westhoff wurde nach ihrem Freispruch 1937 in das (Frauen-)KZ Moringen, von dort in das KZ Lichtenburg gebracht. In der Gefangenschaft erfuhr Finkenstein vom Tod seiner früheren Frau und seiner beiden Söhne, die als Soldaten in Russland ihr Leben ließen. Am letzten Tage der Verbüßung der Zuchthausstrafe wurde er von der Gestapo in Schutzhaft genommen und erneut nach Breitenau, später von dort nach Auschwitz deportiert, wo er am 29. Januar 1944 ums Leben kam.


Samstag, 19. Januar 2019

Maria Waser: Warum? / Auferstehung





Warum?

 

Warum bist du so weit
Von mir gegangen?
Meine Tage sind tot,
Alle Sterne verhangen.
Auf den Straßen liegen Steine,
Hart und grau,
Die dürren Wiesen schreien
Umsonst nach Tau.
Fuß und Hände und meine Stirne
So schwer —
Doch die Stunden, die da gehn,
Jede leer.

Einst war ein Tag, da alle Blumen sangen.
Weit, sehr weit bist du von mir gegangen.


Auferstehung

 

Die grünen Schleier sanken,
Der Wald ist Orgelklang.
Ich folge heimlichen Pfaden,
Geheimem Zwang.

Muß suchen jene Wege,
Die einst wir gingen zu zwein —
Wie werd ich sie ertragen,
Da ich allein?

Das Tälchen, grün verhangen,
Am Bach unser Weidenbaum,
Der steht noch in goldenem Bluste,
Und ist kein Traum?

Und atmet nicht jede Blüte
Deiner Augen Wimperhauch?
Und sprießt nicht dein goldenes Lachen
Aus jedem Strauch?

Wie kann ich nun das Wunder,
Das heilige Wunder verstehn?
Ich spür' deine reine Seele
Durch meine wehn.

So bist du nicht vergangen
Und lebtest weiter im Licht?
Ich aber ging im Dunkeln
Und wüßt' es nicht.

Die wundergroße Gnade
Soll meiner Seele geschehn:
Sie darf in deiner hellen
Auferstehn.

Und will die dunkle Welle
Sich schließen über dir,
Sie kann dich mir nicht rauben:
Du lebst in mir.

Und türmten Tod und Schicksal
Sich zwischen dich und mich,
Sie konnten uns nicht trennen,
Ich sank in dich.

Und ob auch Erd‘ und Himmel
Sich wider uns gestellt,
Sie werden uns nicht zwingen:
Wir sind die Welt!

Die grünen Schleier sanken,
Alle Bäume stehn im Licht,
Licht und Liebe sind eines:
Sie sterben nicht.



Maria Waser, aus der Sammlung „Vom Traum ins Licht“


Maria Waser, geboren am 15. Oktober 1878 in Herzogenbuchsee/Kanton Bern, gestorben 19. Januar 1939 in Zollikon/Kanton Zürich.







Donnerstag, 17. Januar 2019

Emmy Hennings: Kindheit / Die kleine Gasse am Abend; Hugo Ball: An Emmy

Hanns Bolz (1885 - 1918): Portrait Emmy Hennings, 1911


Kindheit


Mein Jugendhimmel - eine Glocke aus Glas.
Wir trugen Florentinerhüte.
Auf Kinderhände fiel Kirschenblühte,
Schneeflocken fielen weich und naß.

Die Berge Jütlands und blaue Heide,
und in Vaters Hof fielen manchmal die Sterne.
Da erzählte der Seemann von einer Taverne
Und bunten Mädchen in leuchtender Seide.

„Na Mädel, willst du mit? Sag ja!“
Matrose gab mir einen Kuß,
„Weil heute ich noch reisen muß.“
Schön sind die Mädchen von Batravia. . .


Die kleine Gasse am Abend

Bunte Mädchen lugen aus schmalen Fenstern.
Der Mond wirft geisterhaftes Licht;
Aus blauem Schatten ragt grelles Gesicht,
In der Halle wimmelt es von Gespenstern.

Ein Droschkenkutscher hält sein Pferd umschlungen,
Und himmelhohe Liebe rauscht im Blut
Und die Rosen verkauft die kleine Rut
- In Montana in Banden wird gesungen. . .

O, das Klavier tut, was es kann.
Gewiß, man spielt nicht schön, doch laut.
Ein Schlafbursche umarmt eine fremde Braut,
Schwört ewige Treue so dann und wann.


Hugo Ball: An Emmy

Sag mir …
Sag mir, daß Du Dich im Föhnwind sehnst
Und daß Du trauern würdest,
Wenn ich ginge.
Sag mir, daß diese Tage schön sind
Und daß Du weinen wirst,
Wenn ich nicht singe …

Sag mir, daß Du dem Leben gut bist.
Sag meiner Stimme, daß sie nie verwehe …
Und daß Du heiter und voll frohen Mut bist
Auch wenn ich lange Zeit Dich nicht mehr sehe.

Sag mir, daß ich ein töricht Kind bin
Und streichle mich wie eine junge Meise.
Sag mir, daß ich zu Dir zurückfind',
Auch wenn die Nächte dunkel sind,
Durch die ich reise …

Emmy Hennings , geboren am 17. Januar 1885 in Flensburg; gestorben am 10. August 1948 in Sorengo bei Lugano.

Hugo Ball, geboren am 22. Februar 1886 in Pirmasens; gestorben am 14. September 1927 in Sant’Abbondio-Gentilino (Schweiz)


Dienstag, 15. Januar 2019

Isaac Schreyer: Häuser vor dem Regen / Klage

Edvard Munch (1863 - 1944): Herbstregen


Häuser vor dem Regen


Sie lassen keine Helle herein:
Nebel fasert mit feuchten Händen
silbrige Fäden aus Dämmerschein
und spannt sie kühl über die lauschenden Wände.

Ducken die Häuser sich tief nach innen,
bücken sich, lauschen, ob nicht in den Rinnen
tönende Kunde von draußen erwacht; -
ob nicht wohl irgend auf dämmrigen Stufen
Schritte flehen und flüsternde Rufe: -
ob nicht vielleicht auf den Giebeln und Dächern,
ob nicht wo in den Luken und Löchern
sickernde Tropfen sich breit gemacht ...

Nun wagt kein Fenster hinauszublicken,
alle sind blind. -
Angst flügelt über ihnen wie Wind,
will sie packen, will sie umstricken:
Erst locken sie leise
mit Tropfen am Rand,
mit rinnenden Weisen
und glitzerndem Tand. -

Es schließen sich drin in den Zimmern die Klinken,
an Türen und Toren knarren die Riegel;
Schwermut preßt ihr dunkles Siegel
in jedes Auge, auf jeden Mund
und läßt es fernher flatternd blinken. -
Da werden die Stimmen verschwiegen und leise,
Regen rauscht schwermütige Weise ...


Klage

Schwermut hieß unsere Amme;
Frühe schon säugt sie uns
Mit der bittern Milch unserer Kindheit.

Wir sind die Eulen
Auf den Ruinen des Lebens. –

Tags der vermoderte Glanz der Städte,
Erblindet im Schein des Nichts,
Also wachen wir auf zur Nacht
Und heben die Klage an.
Die hehre Klage herben Verzichts
Und greisen Abschieds. –

Wer sargt unsere Hoffnung ein
Und wer die lieblichen Auen der Träume,
Wenn fromm unser Auge grast
Auf den grünen Triften des Glücks
Und fern dem drohenden Ruf
Des härtesten Hirten.

Eisig umflügelt uns wehe Erkenntnis.
Mit fiebernden Händen
Retten wir taumelnd
Die Scherben unserer zerfallenen Welt. –

Isaac Schreyer, Lyriker und Übersetzer, geboren am 20. Oktober 1890 in Wiżnitz (Bukowina); starb am 14. Januar 1948 in New York an einer Herzattacke.

„Schmal ist sein Werk an Umfang, doch seelische Reinheit und innerer Ernst gehen ihm nicht ab. Schwermütig tönen seine Melodien, und durch den Fall der freien Strophen kann man fast die Melismen und Kadenzen von alten Ritualgesängen mitschwingen hören. Expressives und Hymnisches waltet vor. Hölderlin und Trakl heißen Schreyers Götter, doch münden ihre elegischen Stimmen immer in den gewaltigen Orgelschwall der biblischen Psalmen, so daß aus allen drei Elementen schließlich doch ein Neues, unzweifelhaft Eigenartiges entsteht.“

Ernst Waldinger über Isaac Schreyer

Donnerstag, 10. Januar 2019

Heinrich Lautensack: Das verstörte Fest




Das verstörte Fest

Alle Uhren wurden angehalten.
Nie mehr werde Tag! hieß die Parole
in dem Saal, der voller Spukgestalten
schwamm im starken Duft der Nachtviole.

Und die Zeit stand still in Uhrgehäusen.
Und phantastisch – ohne Augenlider! –
hingen Tausende von Fledermäusen
– Kopf nach unten – als Girlanden nieder.

Zaub'rer, Teufel, Wichte und Lemuren!
Goldner Sekt gefror im Silberkühler.
Aus der Damen kupfernen Frisuren
streckten Nachtinsekten Riesenfühler.

– Plötzlich sprangen Tor und Tür entsiegelt,
und – wie graute da den Nachtgespenstern! –
von den Porphyrsäulen abgespiegelt
glomm ein rosa Licht in allen Fenstern.

Und herein trat – tauig frisch die Wangen,
deren Karmesin sich noch erhöhte,
als sie spürte, wie sie hier empfangen! –
eine Huldgestalt: die Morgenröte.

Viele flohn, unnennbar eingeschüchtert,
mit den Stirnen fast im Staub darnieder.
Selbst der Trunkenste schien jäh ernüchtert.
– Tag ward. – Und die Uhren gingen wieder.

Heinrich Lautensack, geboren am 15. Juli 1881 in Vilshofen; gestorben am 10. Januar 1919 in Eberswalde

Montag, 7. Januar 2019

Hans Benzmann: Ich sah dich wandeln





Ich sah dich wandeln

Ich sah dich wandeln unter dunklen Bäumen,
Als sich die andern tummelten im Spiel;
Du lauschtest, still beglückt in deinen Träumen,
Wie Blatt auf Blatt zerstäubend niederfiel ...

Nur wenn die andern manchmal lärmend nahten,
Entwichst du scheu erschrocken in den Wald;
Und deine Augen sanft um Schonung baten,
Wenn hinter dir der Jubel neckend schallt ...

Doch einmal war’s, wie wenn aus deinen Träumen
Der Tod kühl wehte über Spiel und Tanz –
Ich sah die muntren Füße säumen,
Und hier entsank ein Zweig und dort ein Kranz.





Hans Benzmann, geboren am 27. September 1869 in Kolberg; gestorben am 7. Januar 1926 in Berlin war Lyriker. Er wurde unter anderem als Herausgeber von zahlreichen Anthologien bekannt, darunter: Die moderne deutsche Lyrik (1904) und Die deutsche Ballade (1913).

Das Bild "Fensterblick: Der verwunschene Wald" ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch

Samstag, 5. Januar 2019

Jakob Haringer: Portrait / Der Dichter

Erich Büttner (1889 - 1936): Portrait Jakob Haringer


Portrait

Ich kann ja nichts als meine armen Verse schreiben,
Ich habe kein Geschick zu Dramen und Roman,
Das Leben hat ja Platz auch in acht Zeilen –
Und Bände da zu schmieren dünkt mich Wahn.
Was soll man Leiden da in Akte pressen,
Das kleine Glück wird schöner wohl als kleines Lied –
Und da wir sowieso ja alles stets vergessen,
Alles, was gestern noch gejauchzt und heut verblüht,
So will ich nichts als so ein kleiner Niemand bleieben,
Und nimmer freut sich meine Seele kindergut und groß,
Ich kann ja nichts als meine armen Verse schreiben,
Sie wollen, dass ich ewig fremd und mutterlos.
Es weiß ja keiner, wie dies Bluten schmerzte,
Und es ist gut, dass keiner mich erkannt,
In tiefer Nacht brenn ich mein Herz als Kerze,
Wohl, weil ich keinen Stern auf Erden fand.
So will ich gern ein kleiner Niemand bleiben,
Vielleicht kenn ich ich das Leben trotzdem mehr als ihr!
Ich kann ja nichts als meine armen Verse schreiben –
Dies große Herz ja, auf ein kleines Blatt Papier!


Der Dichter

Alles Glück, es ward nie Seligkeit,
Und der schönste Stern wird nie zum Licht,
Aber auch das tiefste Erdenleid
Ward kein Leid: es wird bloß zum Gedicht!
Und des Lebens schönste Dinge sind
Strophen bloß und euerm Herz zum Tand:
Jeder Dichter ist ein blindes Kind.
Worte sind sein armes Vaterland!
Sucht auf alles Leben nur den Reim!
Ach der Reim ihm alles Sein verdirbt –
Fand er keine Hand und kein Daheim.
Der ist Dichter bloß, der ewig stirbt.
Dichter ist nur, wer nie ein Gebet
Und als Toter durch das Leben geht.
Ist die Welt ihm eine tote Stadt,
Weil er bloß sein Herz zum Leben hat –


 In den Stunden des Glückes hast du Genossen und Frauen.
 In den Gewittern des Narrens weinst du verzweifelt allein.

 Jakob Haringer (1898-1948) 

Freitag, 4. Januar 2019

Jakob Haringer: An die Freunde

  Erich Büttner (1889 - 1936): Portrait Jakob Haringer  


An die Freunde:
Spielt nur Theater, ihr Lauen,
Euch ist alles Herz bloß ein Spiel.
Edelste Treue, Vertrauen –

Selbst euer Gott läßt euch kühl.
Garnt ihr ein Reh, ein scheues,
Oh! es wird euch zum Spott.
Ach, ihr müßt tändeln- und sei es

Noch mit dem Tod und mit Gott.
Nie! Vor den eigenen Türen...
Aber die Splitter des Freunds!
Lästern und Spionieren,

Sehnsucht und Trug ist euch eins.
Käm auch das edelste Wunder,
Euch ist's ein komisches Stück.
Euch sind die Sterne nur Plunder

Und eine Puppe das Glück.
Wenn euer Leben verspielt ist
Und der Tod euer letzte Malheur- -
Wenn auch mein Abend dann kühl ist ,

Zieht doch ein Stern drüber her.
Trügt nur, ihr Puppen, ihr Schlauen...
Aber die Wunder sind mein!
Lügt nur Theater, ihr Lauen!

Spielt, aber laßt mich allein- -

Jakob Haringer (1898-1948)