Dienstag, 9. Juni 2020

Peter Baum: Ich wandere



Ich wandere

Ich wandre und kenne nicht Zeit noch Raum
Und lächle ins Leben, als sei es ein Traum,
In wehenden Gärten, die Dämmerung umflicht –
Ich staun’ wie ein Kind in das zitternde Licht. –
Sie sagen, ich altere Jahr um Jahr,
Mir welke die Wange, mir bleiche das Haar,
Am Ende des Weges, da harre der Tod,
Weiß nicht, ob er lächelt, weiß nicht, ob er droht.
So wandre ich, wandre ich Nacht und Tag
Wolken Sternen und Schatten nach.

Peter Baum geboren am 30. September 1869 in Elberfeld, gestorben 6. Juni 1916 bei Keckau/Riga.

Seit 1898 stand Peter Baum in Verbindung zum Autorenkreis um Peter Hille. Eine Freundschaft verband ihn mit Herwarth Walden, an dessen Zeitschrift „Der Sturm“ er mitwirkte. Baum war Mitglied der lebensreformerischen Vereinigung „Die Kommenden“ und stand der „Neuen Gemeinschaft“ nahe. Er galt als engster Vertrauter von Else Lasker-Schüler. Peter Baum, der sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Freiwilliger gemeldet hatte, wie so viele seiner Dichtergeneration, fiel 1916 im Baltikum.

Paul Adler: Zwei Lieder



Zwei Lieder

Ich gedenke, ich gedenke
wie so stumm schweigt die Nacht
Wie so schwer aller Schlaf ist
Und kein Wacher je wacht.

An die Wände, durch die Hände
Tropft die Zeit, wie von Zinn
Durch den Raum, der ein Wrack ist,
Und ich einzig darin.

Und ich leg mich still, Rumpf, der legt sich still.
Und die Flut bricht durchs Dach.
Starke Worte noch, Zauberworte noch
Halten je wach.

* * *

Ich weiß nicht mehr, was die Welt ist
Denn sie ist ja nicht, weiß Gott.
Ich weiß nur: all das Gefühl rings
Ist die Welt außer Gott.

Nichts hab ich mehr zu verkünden
Und nichts weiß ich von mir.
Allen Widerspruch, auch meine Sünden
Warf ich glücklich von mir.

Auf den Ewigen, der sie hütet
Als sein eigenes Kind
Auf den jüngsten Tag, wo sie alle
Seine Tugenden sind.

Aus: Verkündigung, Anthologie junger Lyrik, Roland Verlag München Pasing 1920

Paul Adler, geboren am 3. oder 4. April 1878 in Prag, gestorben am 8. Juni 1946 in
Zbraslav bei Prag. Nach dem Jurastudium praktizierte er kurze Zeit Jahre als
Rechtsanwalt in Wien, bevor er aus einem Gewissenskonflikt heraus seine Tätigkeit aufgab. Seit 1902 hielt er sich in Paris, Pola, Italien, Berlin und Wien auf. 1912 zog
er in die Gartenstadt Hellerau bei Dresden, in der sich eine Künstler- und
Kunsthandwerkerkolonie gebildet hatte, die der Lebensreform nahestand. Hier veröffentlichte er in der kurzen Zeitspanne von 1914 bis 1916 seine dichterischen
Hauptwerke Elohim, Nämlich und Die Zauberflöte. Ebenso arbeitete er für die von
Franz Pfemfert gegründete expressionistische Zeitschrift Die Aktion. Als überzeugter Pazifist wurde er vom Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg freigestellt, vor den Nationalsozialisten musste er schließlich 1933 aus Deutschland flüchten, den Holocaust überlebte er durch die Hilfe seiner Frau in einem Versteck bei Prag.

Freitag, 5. Juni 2020

Margarete Beutler: Der kühle Tag






Der kühle Tag

O Tag, so kühl und sonnensatt
Hast du dich in die Welt geschmiegt!
So kühl wie dieses Rosenblatt,
Das zwischen meinen Lippen liegt,
So kühl wie jene Mädchenhand,
Die über meine Stirne ging,
Kühl wie ein seiden Nachtgewand,
Kühl wie ein weißer Schmetterling!

Was tu’ ich nun mit meiner Glut,
Die in die Sonne lechzt und drängt,
Wo du mit einer Schleierflut
Von Wolken mir das Licht verhängt?
Trag’ ich nun still mit heißer Hand
Recht wie ein wartekrankes Kind
Mein rotes Herz durch müdes Land
Bis an den grauen Abendwind.


Aus: Margarete Beutler, Leb’ wohl, Bohème!
Georg Müller Verlag,
Leipzig und München, 1911

 Margarete Beutler, geboren am 13. Januar 1876 in Gollnow, Provinz Pommern; starb am 3. Juni 1949 in Gammertingen auf der Schwäbischen Alb. Sie wirkte als Lyrikerin und Übersetzerin aus dem Französischen. In den Schriften zum „Café Größenwahn“ und zum „Romanischen Café“, wo sie gerne verkehrte und bekannt war, wird erwähnt, dass sie 1925 „verschollen“ sei. Nach der Geburt ihres Sohnes lebte sie mit ihrem Mann, Friedrich Freksa, einem Roman- und Krimiautor, in München. Beutler war u. a. befreundet mit den Autoren Christian Morgenstern und Frank Wedekind. Nach ihrer Scheidung lebte sie zurückgezogen. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten entschied sie sich gegen einen Eintritt in die Reichsschrifttumskammer. Beutler schrieb auch unter den Pseudonymen „Margit Friedrich“, und „Margarete Friedrich-Freksa“. Sie schrieb in ihrer Berliner Zeit (bis etwa 1925) im Berliner Dialekt und zählte sich selbst zur sog. Bohème (vgl. ihr Buch Leb wohl, Bohème! Ein Gedichtbuch, 1911). Gedichte aus ihrem ersten Gedichtband (1902) sind auch in die Gedichtsammlung Lieder aus dem Rinnstein von Hans Ostwald (Hrsg.) aufgenommen worden. (Wiki)