Dienstag, 9. Juni 2020

Paul Adler: Zwei Lieder



Zwei Lieder

Ich gedenke, ich gedenke
wie so stumm schweigt die Nacht
Wie so schwer aller Schlaf ist
Und kein Wacher je wacht.

An die Wände, durch die Hände
Tropft die Zeit, wie von Zinn
Durch den Raum, der ein Wrack ist,
Und ich einzig darin.

Und ich leg mich still, Rumpf, der legt sich still.
Und die Flut bricht durchs Dach.
Starke Worte noch, Zauberworte noch
Halten je wach.

* * *

Ich weiß nicht mehr, was die Welt ist
Denn sie ist ja nicht, weiß Gott.
Ich weiß nur: all das Gefühl rings
Ist die Welt außer Gott.

Nichts hab ich mehr zu verkünden
Und nichts weiß ich von mir.
Allen Widerspruch, auch meine Sünden
Warf ich glücklich von mir.

Auf den Ewigen, der sie hütet
Als sein eigenes Kind
Auf den jüngsten Tag, wo sie alle
Seine Tugenden sind.

Aus: Verkündigung, Anthologie junger Lyrik, Roland Verlag München Pasing 1920

Paul Adler, geboren am 3. oder 4. April 1878 in Prag, gestorben am 8. Juni 1946 in
Zbraslav bei Prag. Nach dem Jurastudium praktizierte er kurze Zeit Jahre als
Rechtsanwalt in Wien, bevor er aus einem Gewissenskonflikt heraus seine Tätigkeit aufgab. Seit 1902 hielt er sich in Paris, Pola, Italien, Berlin und Wien auf. 1912 zog
er in die Gartenstadt Hellerau bei Dresden, in der sich eine Künstler- und
Kunsthandwerkerkolonie gebildet hatte, die der Lebensreform nahestand. Hier veröffentlichte er in der kurzen Zeitspanne von 1914 bis 1916 seine dichterischen
Hauptwerke Elohim, Nämlich und Die Zauberflöte. Ebenso arbeitete er für die von
Franz Pfemfert gegründete expressionistische Zeitschrift Die Aktion. Als überzeugter Pazifist wurde er vom Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg freigestellt, vor den Nationalsozialisten musste er schließlich 1933 aus Deutschland flüchten, den Holocaust überlebte er durch die Hilfe seiner Frau in einem Versteck bei Prag.

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