Donnerstag, 14. März 2019

Jakob Haringer: Gebet um Sünde



Gebet um Sünde

O Gott! aus diesen lauen grauen Tagen
Glüh mich zur Sünde hin, weil mich so friert –
Eh daß mein Herz vereist in frommen Sagen,
Mach mich ein bißchen teuflisch und vertiert.

Ihr toten Tage ausgehöhlt entgöttert,
Wie ungewürzte Speise leer und schal,
Sauer wie Schweiß um blöd vertane Arbeit –
Ihr Toten – ach erstickt mich tausendmal;

Wie Wein, in den es jahrelang geregnet.
Auf euch ruht nimmer Gottes Mutterhand...
Behängt mit meinen nie geweinten Tränen,
Mit meiner letzten Wünsche Kindertand.

Wo ist der Engel, der da gut und weise
Euch wachsen ließ wie Veilchen aus dem Schnee?
Dies stille Frommsein ist ja gut für Greise –
Die Sünder tun einander nimmer weh.

O in der Sünde festlichem Gewimmel –
Ach, bloß die Laster machen gut und rein.
Ich bin so ungeeignet für den Himmel!
Laß lieber mich ein frommer Heide sein.

O laß mich lieber Dir mit Sünden danken...
Die Sünden weinen sich die Augen aus.
Die Heiligen mit ihren Löwenpranken
Zerschlagen ganz mein armes Blumenhaus.

„Lieber Gott! Du solltest wirklich deinen allerletzten Freund nicht so behandeln!... Weißt du, bloß Kleinigkeiten sind es nun einmal, die auf Erden uns armen Würmern die Wege erleichtern ... und selbst mit denen geizest du... Das Glück ist immer gegen die armen Leute. ... Weißt du, es ist schon hundsgemein, daß du nicht helfen magst! Du, schick sofort ein Wunder!! ... Ich habe nie gespart wie deine Braven, ich habe all deine schönen Dinge gekostet und genossen und verschenkt... Wenn deine andern endlich krepieren, liest man ja immer von ihrem edlen, großzügigen ‚Vermächtnis’ – allerdings habe ich noch nie gelesen und gehört, was sie zu Lebzeiten wahrhaft Gutes getan. Wie lieb ich all deine schönen Sachen: ein Amselruf im Morgenrot, ein Mädchenknie, eine Leberwurst, eine kleine süße Melodie, Frauenhüften, Gewürze, Duft der Parfüms, Zigarren, die liebe Einsamkeit, Stille, Hunger, mit einem guten Kameraden essen und trinken. Und wie schön hast du erst die Sünde, das gute Laster gemacht!“

Jakob Haringer (1898 - 1948)

Die Größe Haringers ist sein urlyrisches Genie : zu sehen und Worte zu haben für das Gesehene. Eine Welt ging in ihn ein. Haringer, der Vagant, ein kranker, nicht mehr junger Mann, hungert in einem Asyl, einem Krankenhaus, in einer Höhle der Berge. Reißt ihn das Buch aus seiner Armut, dann werden seine Verse glätter, seine Gesichte aber blasser werden. Sein Buch ist wie ein Bergpfad, der in großer Höhe durch Kalkgestein führt : spitzes und abgebröckeltes Gestein — und dann wieder Ansiedlungen seltenster Pflanzen, wahre Fundgruben der Form. Es lohnt sich, in diesem Bande zu wühlen, um Oasen der Sprache aufzuwittern. Du findest dann am Wegrand eine Zeile wie diese :
                         In den Stunden des Glückes hast du Genossen und Frauen.
                         In den Gewittern des Narrens weinst du verzweifelt allein.“

Otto Zarek (1898 – 1958)



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