Freitag, 30. November 2018

Ite Liebenthal: Ich weiß noch Wälder / Nun schlafen die Gärten. . .




Ich weiß noch Wälder, in denen Gott wohnt.
Da geht er groß und gelassen im Schweigen
heiliger Bäume, die sich schützend verzweigen,
auf Wegen, die noch jeder Fuß verschont.

Und um ihn her sind nur die unschuldigen
Tiere, die träumend im Moose ruhn,
und die mit ihren stillen, geduldigen
Augen einander nichts Böses tun;

die dicht am Rand seines Kleides spielen
und doch nicht wissen, wem sie nahe sind.
Aber die Gräser und Blumen auf hohen Stielen
beugen sich ihm entgegen im singenden Wind.

Wer, du mein Freund, weist uns den Weg ins Gehege.
Ob wir in Ewigkeit wandern, wir finden ihn nie.
Und doch wartet Gott auf einen, der an sein Knie
kindlich gelehnt das Haupt in den Schoß ihm lege ...



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Nun schlafen die Gärten; die Teiche schlafen.
Wetter verziehen; die Winde sind still.
Auf Wegen, wo unsere Spuren sich trafen,
liegt Schnee, der die Zeichen begraben will.

Am einsamen Fenster, von Blumen verdunkelt,
die frostiger Anhauch zum Blühen gebracht,
erwart ich den Stern, der allein mir noch funkelt
am ruhigen Himmel in schlafloser Nacht.

Doch heut ziehen Nebel, und Wolken umgleiten,
gespenstige Schiffe, den frierenden Mond,
verstoßne Gestalten, verlorener Zeiten,
die nun keines Lächelns Erinnerung lohnt.

Und wie von zerrissenen Segeln und Fahnen
fliehn zitternde Schatten vorüber der Welt.
Doch sieh, es öffnen die ferneren Bahnen
sich leuchtend vom einzigen Lichte erhellt.

Ite Liebenthal, Lyrikerin, geboren am 15. Januar 1886 in Berlin, am 27. November 1941 wurde sie zusammen mit anderen deutschen Juden nach Riga deportiert. Dort wurde sie unmittelbar nach ihrer Ankunft am 30. November mit allen anderen Insassen des Massentransports im Wald von Rumbula bei Riga ermordet.

Bereits 1906, mit 20 Jahren, veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband (Aus der Dämmerung). Weitere Veröffentlichungen folgten in der Zeitschrift Die Argonauten. 1921 erschien ein Band mit Gedichten im Erich Lichtenstein Verlag Jena. Eines der letzten Gedichte in diesem Band ist das folgende:

Mehr als mich wirst du die Erinnerung lieben,
wenn das lebendige Bild hinter den Schleier entweicht,
wenn nur der schwebende Hauch verwehender Worte geblieben,
wenn dich der letzte Sinn versunkener Blicke erreicht.

Dann werd ich ganz dein alterndes Leben umschließen,
Einsamster unter den Menschen, daß nie deine Seele verdirbt.
All meine inneren Quellen, die heut noch verborgen dir fließen,
münden gestillt in dein Herz, und alles Leiden stirbt.


(Wiki)

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