Ode
Zum
Jahreswechsel 1916 / 1917
Es birst ein Jahr und
fährt in die Ewigkeit.
Ein Jahr des Todes und
dunkler Geschicke voll
stürzt es dem vorigen
nach in sein Blutmeer,
räumt es der Zukunft die
trostlosen Stätten.
Die kommt gezogen zögernd
im Faltenkleid,
umraucht vom Kriege, doch
über dem Haupte schon
dämmert ihr neblig ein
flackernder Lichtkranz.
Naht sich dem Weltall die
Hoffnung auf Frieden?
Es betet brünstig, wer
noch an Götter glaubt,
sie möchten enden den
schrecklichen Völkermord,
über den Trümmern
verschütteter Sehnsucht
Schöneres aufbaun, als
Grabmäler decken.
Denn unten faule ewig in
Staub und Schutt
der arge Geist, der den
Menschen die Waffen schliff.
Nimmer erwache den
Völkern die Machtgier:
Feindin der Schönheit und
Urgrund des Hasses.
Die Tränen aber,
jeglichen Tropfen Bluts,
der Mütter Leid und der
Bräute zerstörtes Glück,
sammelt im Herzen zu
eifernder Andacht,
wehred dem Kriegszorn mit
sieghafter Liebe.
Erich Mühsam (6. 4. 1878 - 10. 7. 1934), Dichter, Anarchist, Suchender mit kindlichem Herzen, Mitinitiator der Münchner Räterepublik, dafür von den Nazis gehasst und schließlich im KZ Oranienburg ermordet.
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