Palmström wird Staatsbürger
I
Palmström weigert sich (ganz
selbstverständlich),
irgendwelchen Heeresdienst zu tun.
Doch die Mehrzahl schilt dies feig
und schändlich.
Denn man ist noch rings um ihn
katholisch
oder protestantisch usw.
und da gilt es diabolisch,
einen Christenmenschen nicht zu
morden,
heischen dies Gott, König, Vaterland.
Palmström ist hierauf verhaftet
worden.
II
Im Gefängnis sitzt der Brave,
doch er sagt sich: ins Gefängnis
sollte jeder, der kein Sklave.
Alle wahrhaft freien Seelen
sollten diese ihrer einzig
werte Stätte nicht verfehlen.
Ohne Murren, ohne Zucken
Sollten sich der Freien Nacken
unter der Gewalt Joch ducken.
Bis das Volk der breiten Fährte
erst durch Staunen, dann durch
Denken
gleichfalls sich zur Freiheit
klärte.
III
Korf geht mitten durch die Wachen,
die ihn pflichtbeflissen greifen,
doch sie greifen in die Leere.
Und sie stoßen die Gewehre
hin und her durch ihn, doch heiter
wandert er zu Palmström weiter.
IV
Mit dem Wärter, der das Essen
bringt, betritt er die Kamurke,
drin sein Freund der Schurke
Palmström,
haust.
Stotternd, stolpernd, stürzt der
Wächter
fort und fabuliert von Geistern,
die er nicht zu meistern wisse. . .
Man
kommt in copore gelaufen. . .
Alle werfen sich auf Korfen - -
Doch umsonst geworfen! Korf ist –
Geist. . .
V
Es ist unmöglich, Palmström zu
behalten
(obwohl er selbst am liebsten
bleiben möchte);
denn Korfs Erscheinung ist nicht
auszuschalten.
In zwölf Gefängnissen ist Palm
gewesen. . .
Doch haben überall so Direktoren
wie Untergebne den Verstand
verloren.
So daß man ihn mit aufgehobnen
Händen
zuletzt beschwört, sich heimwärts zu
entschließen,
und ihm erlaubt, niemanden
totzuschießen.
Ein Interview
Palmström wird gefragt, wie er sich
zu der
Todesstrafe stelle.
Er erwidert: „Lieber Herr ud Bruder,
gibt´s denn da noch wirklich ein
Sich-Stellen
innert eine Welt
menschlicher Geschwister und
Gesellen?
Bester Herr, was wollen Sie dem
Armen
mit Gewehr und Beil?
Ist der Mensch so bar noch an
Erbarmen?
Oder lassen sie mich anders
sprechen:
Ist man ohne Teil
an dem sei´s auch traurigstem
Verbrechen?
Wer es ist, der trete vor und hebe
seine Hand zum Licht. . .
Oder aber unser Bruder - - lebe!“
Die Heldin
Muhme Kunkel geht voraus
wo´s ein Tier zu schützen gilt.
Tapfer hält sie ihren Schild
vor die kleinste Ackermaus.
Ihre Dienstmagd Lulu Hammer,
welche Fleisch frißt wie ein Wolf
sperrt sie, samt dem Kälblein Rolf
eines Tags in ihre Kammer.
Legt ein Beilchen ihr parat,
spricht: Wofern dir Fleisch tut not
schlag denn dieses Fleisch selbst
tot -
oder aber iß Salat.
Lulu, ganz in sich gewandelt
fühlt, wie grauslich ihre Gier,
bittet ab dem Bruder Tier.
Ja, noch mehr, sie hat gehandelt
wie sonst nur des Helden Weise:
Nämlich gab, fürwahr, sie tat es,
Rolf die Köpfe des Salates
und verblieb selbst ohne Speise.
Schließlich ruft sie nach der Muhme.
. .
Diese läßt die Zwei heraus.
Lulu lebt seither im Haus
reinerer Moral zum Ruhme.
Christian Morgenstern,
geboren am 6. 5. 1871 in München, gestorben am 31. 3. 1914 in Untermais, Tirol
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