Ein Bild der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch |
Frühsommerphilosophie
Die roten Tulpenflammen sind verglüht;
Maiglocken wachen auf; der Flieder blüht;
Die Eiche, die so lange sich besann,
Steht nun in Laub; es steckt die Kerzen an,
Die grünen Kerzen, übertrieft von Saft,
Der alten Fichten innerliche Kraft.
Um jede Blüte ist ein Surretanz
Von Schwebewesen, ein lebend´ger Kranz
Von Schillerflügeln gelb, grün, blau von Glanz,
Und an den Stengeln kriecht im Drängelauf
Das Käfervolk bunt, tausendfüßig auf.
Die liebe Welt! Ob sie auch lange ruht,
Sie machts zuletzt doch immer wieder gut.
Mag sie nicht schelten.
Eh´ eine andre uns nicht voller mißt,
Glaub ich einstweil, daß sie die beste ist
Von allen Welten.
Aus: Emil Rudolf Weiss. Der Wanderer. Mit acht symbolischen Holzschnitten und Buchumschlag. 1895 bis 1900. Baden-Baden, Eigenverlag 1900.
Emil Rudolf Weiß, geboren am 12. Oktober 1875 in Lahr, Baden; gestorben am 7. November 1942 in Meersburg, war Typograf, Medailleur, Grafiker, Maler, Lehrer und Dichter.
Da er sein Augenmerk nicht nur auf alle gestalterischen Aspekte eines Buches richtete – das heißt neben Satz und Schrift auch auf Illustration, Einband- und Umschlaggestaltung –, sondern regelmäßig auch die poetischen Texte selbst beisteuerte, wurden seine Bücher echte Gesamtkunstwerke.
Seit 1910 als Professor an der Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin tätig, wurde er aufgrund einiger als entartet verunglimpften Gemälde 1933 von den Nationalsozialisten in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.
Dein Bild
Der Regen rauscht
schwer nieder,
mein Herz lauscht
auf Lieder.
Meine Augen gehen
von den frühen Blumen,
die im Glase stehen
vor deinem Bild,
in die Regenwelt,
stumm und kühl und wild,
die dein Bild im Herzen
einzig mir erhellt.
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