Samstag, 4. November 2017

Franz Janowitz: Der rastende Wanderer / Auf der Terrasse; Karl Kraus: Franz Janowitz

Ein Bild der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch


Der rastende Wanderer

Wie ruft des Landes hingestreckte Ruhe
mich in der tiefsten Seele an!
Verwurzelt scheinen meine schweren Schuhe
in dem ergrünten Wiesenplan.
Es landen Vögel leicht in Lindenkronen:
Ich biete ihrem Flug mein Haupt
und lasse sie — für sie bin ich belaubt —
zufrieden mir im Astwerk wohnen.
Ein Herz scheint uns Getrennte zu beleben.
O liebe Flur, wann kommt doch unser Glück,
da hochzeitlich wir ineinander schweben,
und Gott in uns und wir in ihn zurück?

Aus: Arkadia, Jahrbuch für Dichtkunst, Kurt Wolff, Berlin 1913


Auf der Terrasse

Drei kleine Lichter zeigen,
wo das Städtchen liegt.
Der Mond ist hell im Steigen,
im Baum die Grille singt.
Die Augen wollen sich neigen,
der Nachtwind Blüten bringt.
Im Innern beginnt es zu schweigen,
die Erde von dannen fliegt.

Aus der Sammlung Auf der Erde. Gedichte.

Franz Janowitz wurde am 28. Juli 1892 in Podiebrad geboren, am 4. November 1917 starb er nach einer Schussverletzung im Feldspital in in Unter-Breth

16 seiner Gedichte wählte Max Brod für sein Jahrbuch Arkadia aus, das im Kurt Wolff Verlag herauskam.

Zwei Jahre nach seinem Tode gab Karl Kraus im Kurt Wolff Verlag aus seinem Nachlass einen schmalen Band seiner Lyrik unter dem Titel „Auf der Erde“ heraus.


Meinem Franz Janowitz

(getötet am 4. November 1917)

Ein Landsknecht du? Vier Jahre deines Seins
hast du dein frühlinghaftes Herz getragen
durch Blut und Kot und alle Pein und Plagen
und wurdest der Millionen Opfer eins?

Und durftest, was du mußtest, uns nicht sagen
und fühltest Vogelsang des grünen Rains
und lebtest stumm am Rande dieses Scheins
und fromm genug, um ferner nicht zu fragen.

Und da dein reines Herz erstickt in Kot,
das Mitgefühl der Zeit mußt du entbehren.
Ein treuer Bursch nur stand bei deinem Tod.

Doch seine Tränen wird die Welt vermehren,
färbt einst nicht Blut mehr, färbt die Scham sie rot.
Bis dahin mag sie ihre Henker ehren!

Karl Kraus

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